Jetzt wartet der König

Es sind besondere Tennis-Tage in Paris. Für Alexander Zverev geht es um seinen ersten Grand- Slam-Titel, für Rafael Nadal nach seiner Nachtschicht im nun folgenden Duell gegen den Hamburger vielleicht um seinen letzten. Denn die Zukunft des Königs von Paris ist unsicherer denn je.
Alexander Zverev war schon lange in seinem Hotel, als Rafael Nadal der epischen Geschichte im Stade Roland Garros ein weiteres emotionales Kapitel hinzufügte. Am letzten Tag im Mai hatte Nadal sein Viertelfinale gegen seinen großen Rivalen Novak Djokovic begonnen, am ersten Tag im Juni endete es mit seinem 110. Einzelsieg in Paris und Tränen in Nadals Augen.
»Merci, Merci, Merci, Merci«, rief der 35 Jahre alte Mallorquiner den auch weit nach 1°Uhr noch tobenden Tennis-Fans auf dem Court Philippe Chatrier zu. »Das ist ein sehr emotionaler Tag für mich«, sagte Nadal nach seinem brillanten 6:2, 4:6, 6:2, 7:6 (7:4) in 4:12 Stunden gegen den Weltranglisten-Ersten und Titelverteidiger Djokovic. Nadal hat den Sandplatz-Klassiker 13-mal gewonnen, der Centre Court im Bois de Boulogne ist längst zu seinem Wohnzimmer geworden. Hier hat er sich zu dem entwickelt, der er ist - und hier könnte in diesen Tagen eine der größten Karrieren der Tennis-Geschichte enden. Denn mehr denn je ist unklar, wie es mit Nadal nach den French Open weitergeht.
Der Rekord-Grand-Slam-Sieger spielt mit einer chronischen Fußverletzung, dem sogenannten Müller-Weiss-Syndrom. Dabei sterben Knochenanteile des Kahnbeins am Fuß ab, was besonders Auswirkungen auf das Sprunggelenk haben kann. Noch vor drei Wochen hatte Nadal im Rom am Ende eines Matches kaum noch laufen können. Ein Start in Paris schien fraglich.
»Ich habe was ich habe in meinem Fuß. Wenn wir also nicht in der Lage sind, eine Verbesserung oder eine kleine Lösung dafür zu finden, dann wird es superschwer für mich«, sagte Nadal. Für seinen Traum vom 14. Titel in Paris nimmt Nadal die Schmerzen noch einmal in Kauf. Er hat einen Arzt dabei, um die Beschwerden erträglich werden zu lassen. Gegen Djokovic und auch schon zuvor beim Fünf-Satz-Krimi gegen den Kanadier Felix Auger-Aliassime merkte man Nadal die Probleme nicht an. Der Spanier tat das, was er im Stade Roland Garros immer tut - atemberaubendes Tennis spielen. »Der König ist noch da«, schrieb die französische Sportzeitung »L’Equipe« nach Nadals nächster Tennis-Gala.
Eine solche wird er auch am Freitag im Halbfinale brauchen. Denn Zverev stand Nadal am Super-Dienstag im Viertelfinale gegen Tennis-Wunderkind Carlos Alcaraz fast in nichts nach. Der Olympiasieger zeigte sein mit Abstand stärkstes Match in diesem Jahr und war danach stolz. Es sei sicherlich eines der besten Grand-Slam-Spiele seiner Karriere gewesen, sagte Zverev. »Aber es war weit davon weg, perfekt zu sein.«
Womit der 25-Jährige wieder einmal etwas zu hart mit sich ins Gericht ging. Denn die Art und Weise, wie Zverev den spanischen Senkrechtstarter entzauberte, war beeindruckend. So fokussiert wie dieses Mal hat man den gebürtigen Hamburger ganz selten gesehen. Vom ersten Ball an merkte man Zverev an, dass er jedem beweisen wollte, dass er auch noch da ist. Dass er »auch mit meinen alten 25 Jahren und auch, wenn mich viele irgendwie schon abgeschrieben haben« zu den Besten der Szene gehört.
In Paris geht es für Zverev jetzt nicht nur um seinen ersten Titel bei einem Grand-Slam-Turnier, sondern auch im Platz eins in der Weltrangliste. Schon jetzt steht fest, dass Zverev in zwei Wochen auf jeden Fall die Nummer zwei der Welt sein wird. So gut stand er noch nie da. Sollte Zverev in der französischen Hauptstadt den Titel holen, würde er sogar Platz eins im Ranking übernehmen - als erster Deutscher seit Boris Becker 1991.