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Zwischen den Jahren ruht in Deutschland auch der Fußball. Nicht so in England, wo sie über Weihnachten am »Boxing Day« kicken. Aber wirklich »zwischen den Jahren«? Diese kalendarisch zweifelhafte Datierung hat durchaus ihre historische Berechtigung, denn früher schwankte der Jahreswechsel in deutschen Landen je nach Religionszugehörigkeit zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar.

Zwischen den Jahren ruht in Deutschland auch der Fußball. Nicht so in England, wo sie über Weihnachten am »Boxing Day« kicken. Aber wirklich »zwischen den Jahren«? Diese kalendarisch zweifelhafte Datierung hat durchaus ihre historische Berechtigung, denn früher schwankte der Jahreswechsel in deutschen Landen je nach Religionszugehörigkeit zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar.

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Noch ne Kugel vom Wörterweihnachtsbaum: Der »Boxing-Day« hat nichts mit Boxen zu tun, auch nichts mit der »Box« (vor dem Tor), sondern hat seinen Namen von der »Christmas Box«, in der früher die Bediensteten ihre Geschenke erhielten. Diesmal bekam ein deutscher Bediensteter ein Geschenk, überreicht von einem spanischen. Kloppo sieben Punkte vor Pep! Der ist »bedient«, und zwar derart, dass Synonyme nicht reichen, um seinen Frust auszudrücken. »Bedient sein« = »sich ärgern, es satt haben, Ekel empfinden, die Nase voll haben, angeekelt sein.« Aktueller umgangssprachlicher Zusatz: Guardiola ist sowas von angepisst!

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Auch die »Nostalgie« hängt an meinem Wörterbaum, sie prägt die »Wer bin ich?«-Serie, deren letzte Runde in den ersten Januartagen aufgelöst wird. Vorab die Lösung der ersten Frage, es war die leichteste, und das hatte seinen nostalgischen Grund. Dieter Metz (Marburg): »Ich ahne, was der spezielle WBI-Anlass ist: War Ottmar Walter nicht die richtige Antwort auf die erste und damit die Mutter aller WBI-Fragen?«

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Richtig! Unser Leser ist in Kaiserslautern zur Schule gegangen, »eigentlich ist das WBI inzwischen viel zu schwierig für mich«, aber der Heimatvorteil hilft: »Ich kann die erste Frage! Und da das ›Kaisers-‹ in dem Stadtnamen von Kaiserslautern von Barbarossa kommt (erste Stunde Heimatkunde 1964), erlaube ich mir, ein großes Werk der Neuen Frankfurter Schule wie folgt zu variieren:

In Kaiser Rotbarts ganzem Reich

kam niemand Ottmar Walter gleich

und seinen vielen Toren.

Mit ihm kam kaum ein Tormann klar,

mit ihm hat drum der FCK

so gut wie nie verloren.

Dieter Metz freut sich »auf noch viele schöne und lesenswerte Kolumnen«. I will do my very best und freue mich auf viele schöne Leser-Mails wie diese.

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Zur WBI-Problematik (»inzwischen viel zu schwierig«) demnächst mehr. Seit sieben Jahren betreue ich die Rate-Serie, die WBI-Profis werden immer cleverer, vor allem im Umgang mit Suchmaschinen. Den Schwierigkeitsgrad anzupassen und dennoch für alle Leser interessante Texte zu schreiben, fällt mir immer schwerer. Was tun? An dieser WBI-Lösung knabbere ich noch.

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Ich »betreue«? Als ich ein Tagebuch des Schriftstellers Walter Kempowski las, erfuhr ich, dass »betreuen« ein Nazi-Wort ist. Jedenfalls gab’s das Verb zuvor gar nicht. Nachzulesen auch in Dolf Sternbergers »Wörterbuch des Unmenschen«. Sternberger: »Die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) betreute Mutter und Kind, der Reichsnährstand die Bauern, die Arbeitsfront die Arbeiter, ja wahrhaftig: Die Geheime Staatspolizei betreute die Juden.« Im Verb betreuen drücke die Vorsilbe »be« eine »Unterwerfung des Gegenstandes aus. Beispiele: beherrschen, betrügen, beschimpfen, bespeien, bestrafen, benutzen.« – Weia! Wenn das die braven Betreuer im Sportverein wüssten ... Womöglich wäre es besser, wenn wir gar nichts wüssten über die Missbrauchs-Historie von Wörtern und Begriffen, sonst müsste man wohl gänzlich verstummen.

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Die Nostalgie ist zumindest ein nazistisch unverdächtiges Wort. Sie verklärt Vergangenes um so mehr, je unschöner die Gegenwart scheint. Stichwort »lose Kanone« an Bord des westlichen Weltenschiffes. Ach, alleine schon der Name des unberechenbar hin und her Schleudernden macht trübsinnig, zumal er einen guten, alten Entenhausener Vornamen trägt. Da flüchte ich lieber in die Nostalgie, obwohl auch sie als Krankheit auf die Welt kam. Der Schweizer Arzt Johannes Hofer schrieb 1678 eine Doktorarbeit über einen jungen Mann aus Bern, der zum Studium nach Basel kam und dort derart von Heimweh geplagt wurde, dass er lebensbedrohlich abmagerte. Als letzter medizinischer Schluss blieb, ihn nach Bern zurückzuschicken. Bereits auf halbem Weg fühlte sich der Student wieder gesund. Hofer übersetzte dessen Heimweh ins Griechische, indem er aus »nostos« (Rückkehr nach Hause) und »algos« (Schmerz) den Neologismus »Nostalgia« bildete.

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Sind Nostalgie und Heimweh das Selbe oder das Gleiche? Wer »Selbes« und »Gleiches« verwechselt (wie anscheinend/scheinbar oder wie/als), dem hilft der stets raunende Philosoph Heidegger: »Das Selbe ist nicht das Einerlei des Gleichen, sondern das Einzige im Verschiedenen und das verborgene Nahe im Fremden.« – Alle Klarheiten beseitigt?

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Wenn wir schon mal, zwischen den Jahren und von lästiger Sportpflicht befreit, in dieser Kolumne die Kugeln vom Wörterbaum pflücken, darf ich auch meine liebste Zielgruppe fragen: Warum gibt es bei euch keine Frauschaften, sondern nur Mannschaften, allenfalls paradoxe Frauenmannschaften? Und warum tauchen immer noch Landsmänninnen auf, obwohl ich doch, als früher Frauenrechtler, die »Landsfrau« schon 1990 in den sportjournalistischen Sprachgebrauch einführen wollte (erste urkundliche Erwähnung von »Landsfrau« hier in dieser Kolumne)?

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Fragen über Fragen. Die allerletzte: »Nichts legitimiert Gewalt gegen Frauen«, sagt die weibliche Hälfte des Grünen-Führungsduos, die alleine schon wegen ihrer leistungssportlichen Vergangenheit meinen Respekt hat. Aber wieso die perspektivische Verengung auf Frauen? Nichts legitimiert Gewalt gegen Menschen! Diese Forderung im nächsten Jahr etwas besser umzusetzen als im vergehenden ... schön wär’s.

(gw)

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(www.anstoss-gw.de mit gw-Blog »Sport, Gott & die Welt« / Mail: gw@anstoss-gw.de)

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