Gutes Wolf-Debüt

Die deutsche Fußball- Nationalmannschaft gewinnt schmucklos mit 2:0 gegen Peru, weil Hansi Flick mit Verspätung den Wert von Mittelstürmer Niclas Füllkrug erkennt. Der Bremer erzielt beide Treffer.
Ter Stegen: Viele Ballkontakte - aber fast alle mit den Füßen. Der Neuer-Vertreter wird am Dienstag gegen Belgien sicher mehr zu tun bekommen.
Wolf: Ein früher Fehlpass brachte den Debütanten nicht aus dem Tritt. Der Dortmunder war aktiv und leitete mit guten Pässen Offensivaktionen ein. Gute Vorarbeit zum 2:0.
Ginter: Der Freiburger organisierte zuverlässig die Abwehr, unterband mit gutem Stellungsspiel den Aufbau der Peruaner.
Schlotterbeck: Der BVB-Verteidiger überzeugte mit guter Spieleröffnung - wie mit dem Vertikalpass vor dem ersten Tor. Holte den Havertz-Elfer heraus.
Raum: Ein paar gute Flanken, mehr nicht. Auf der Problemposition links hinten bleibt er - auch mangels Konkurrenz - in der Pole Position.
Kimmich: Der Kapitän zeigte im 75. Länderspiel eine reife Leistung. Sehr präsent in der Zentrale mit vielen Balleroberungen. Toller Chip-Ball auf Gnabry.
Can: Beim Comeback demonstrierte der BVB-Profi seine Qualitäten. Robustheit. Leidenschaft. Technische Einlagen gingen aber schief.
Wirtz: Nach langer Verletzungspause mit verhaltenem Startelf-Debüt im DFB-Trikot. Wird sein großes Potenzial noch mutiger zeigen müssen.
Havertz: In der Form ein Schlüsselspieler für Flick. Bewegte sich geschickt in den freien Räumen, öffnete das Spiel mit klugen Pässen. Schönheitsfleck: Der verschossene Strafstoß.
Füllkrug: Was für ein cooler Mittelstürmer. Tore-Doppelpacker und Sieggarant. Der Bremer ist der Hoffnungsträger für den Neuanfang. Nach 75 Minuten unter Fan-Jubel raus.
Werner: Vergebene Großchancen, versprungene Bälle. Für den Leipziger lief das Comeback nach der verpassten WM unglücklich.
Goretzka: Bei der Arbeitsteilung mit Can in der zweiten Halbzeit die elegantere Variante als Sechser. Dafür fehlte es dem Münchner an der gewohnten Dynamik.
Götze: Gleich nach der Einwechslung rüde von Cartagena gefoult. Berappelte sich schnell und zeigte seine Dribbel-Qualitäten. Ein entscheidender Pass gelang nicht.
Gnabry: Der Münchner musste mit blutender Nase behandelt werden. Dann mit viel Power unterwegs. Ein Seitfallzieher knallte an die Latte.
Berisha: Der Augsburger kam in der Schlussviertelstunde zu seinem Debüt. Seine Strafraum-Qualitäten konnte er nicht mehr demonstrieren.
Schade: Der junge England-Profi war beim Debüt gleich mit großem Einsatz unterwegs. Genau diesen Biss will Flick von den Junioren sehen.
Kehrer: Kam in den Schlussminuten für Schlotterbeck. Machte beim Kurzeinsatz hinten dicht. DPA
Deutschland: ter Stegen (FC Barcelona/30 Jahre/31 Länderspiele) - Wolf (Dortmund/27/1), Ginter (Freiburg/29/49), N. Schlotterbeck (Dortmund/23/9 - 86. Kehrer (West Ham/26/25)), Raum (Leipzig/24/16) - Kimmich (München/28/75), Can (Dortmund/29/38 - 46. Goretzka (München/28/49)) - Havertz (Chelsea/23/34 - 75. Schade (Brentford/21/1)), Wirtz (Leverkusen/19/5 - 46. Götze (Frankfurt/30/66)) - Füllkrug (Bremen/30/5 - 75. Berisha (Augsburg/24/1)), Werner (Leipzig/27/56 - 46. Gnabry (München/27/40)).
Peru: Gallese (Orlando/32/94) - Advincula (Boca Juniors/33/109 - 88. Zambrano Ochandarte (Alianza Lima/33/65)), Araujo (FC Emmen/28/26), Tapia (Celta Vigo/27/78), Abram (Atlanta/27/34), López (Feyenoord Rotterdam/23/25) - Carrillo (Al-Hilal Riad/31/91 - 88. Sandoval (Atlético Grau/28/2)), Cartagena (Orlando/28/22 - 56. Polo (Universit. de Deportes/28/38)), P. Aquino (Club América/27/40 - 71. Yotun (Sporting Cristal/32/119)), Gonzales (Al-Adalah FC/30/43 - 46. Flores (CF Atlas/28/65)) - Ruidiaz (Seattle/32/53 - 46. Lapadula (Cagliari Calcio/33/26)).
Im Stenogramm: SR: Maria Sole Ferrieri Caputi (Italien). - Zu.: 25 358 (ausverk.). - Tore: 1:0 Füllkrug (12.), 2:0 Füllkrug (33.). - Besondere Vorkommnisse: Havertz verschießt Foulelfmeter (Pfosten/68.). - Beste Spieler: Schlotterbeck, Füllkrug / Gallese, Carrillo.
Zum Ende hin sprangen die Leute Block für Block auf, rissen ihre Arme hoch und schrien »hey«. Man nennt das »La Ola«, die Welle. Es gibt zwei Gründe, weshalb durch ein Fußballstadion »La Ola« schwappt. Entweder tun die Menschen es aus Begeisterung oder um sich zu beschäftigen. Bei ehrlicher Analyse dürften die Fachleute im Deutschen Fußball-Bund mit Rudi Völler (Sportchef), Bernd Neuendorf (Präsident), Aki Watzke (Ligaboss) und Joachim Löw (Ex-Bundestrainer) vor Ort zur Erkenntnis gekommen sein: Die neue deutsche Welle anlässlich des Länderspiels gegen Peru geschah nicht aus Gründen der kollektiven Glückseligkeit.
Denn das, was die DFB-Elf in der ausverkauften Mainzer Arena darbot, sah verdächtig ähnlich aus wie die Spiele vor und während der WM in Katar, allerdings diesmal garniert mit der Präsenz eines echten Mittelstürmers. Niclas Füllkrug erzielte beim schmucklosen 2:0 (2:0)-Sieg gegen Peru beide Tore so, wie eine klassische Nummer 9 das zu tun pflegt.
Das macht es im Rückblick auf die Weltmeisterschaft noch einmal umso bedauerlicher, dass die Fähigkeiten des in Bestform befindlichen 30-Jährigen nicht ausreichend genutzt wurden. In die 15-monatige Vorbereitung auf die EM 2024 geht Flick nun mit einer neuen Strategie: die der Doppelspitze. Es ist eine Versuchsanordnung, mit der vor allem Füllkrug an der Seite von Marvin Ducksch bei Werder Bremen beste Erfahrungen macht. Zusammen haben die beiden nach 25 Spieltagen 23 Tore erzielt und elf vorgelegt. Auf eine derart beeindruckende Quote kommt kein anderer Bundesligist. Für den ja gerade ohnehin experimentierfreudigen Flick könnte es bedenkenswert sein, den 29-jährigen Ducksch zu nominieren.
Werners Defizite
Realistisch erscheint das indes nicht, Flick gehört zu den bekennenden Timo-Werner-Anhängern. Die in vielen Belangen überschaubare Vorstellung des Leipzigers gegen Peru relativierte der Bundestrainer so: »Timo hat viele Wege in die Tiefe gemacht und ist sehr wertvoll für die Mannschaft.« Auch der spürbar um Bescheidenheit in eigener Sache bemühte Klassensprecher Füllkrug lobte nach seinen Treffern vier und fünf im fünften Länderspiel die Zusammenarbeit: »Ich finde, wir hatten viele gute gegenläufige Bewegungen.« Unübersehbar ist aber auch, dass dem flinken Werner wiederholt die Gabe zum klugen Kombinieren und die gute Ballverarbeitung beim ersten Kontakt abgeht. In dieser Fertigkeit offenbarte auch Marius Wolf Defizite, die der Dortmunder durch seine Tempoläufe überkompensierte. Der Debütant im gesetzten Alter von 27 Jahren bereitete das 2:0 mit einer perfekten Flanke vor und holte sich - wie Füllkrug - ein Sonderlob vom Bundestrainer ab.
Dass Flick im ersten Spiel nach der WM-Enttäuschung um ein positives Fazit bemüht war, erscheint nachvollziehbar. Gerade die zu unentschiedene Deckungsarbeit hatte ihm in Katar missfallen. Umso erleichterter war er, dass Peru den Souveränität ausstrahlenden Marc-André ter Stegen kein einziges Mal ernsthaft in Gefahr brachte. »Es tut gut, dass wir 2:0 gewonnen haben. Unser Ziel war es, dass die Null steht«, sagte Flick und schob Worte der Anerkennung für Matthias Ginter und den kurz vor Schluss mit Oberschenkelbeschwerden ausgewechselten Nico Schlotterbeck nach: »Beide Innenverteidiger haben fehlerfrei gespielt.«
Goretzka ohne Bindung
Dabei sollte der Bundestrainer jedoch nicht übersehen haben, dass das deutsche Mittelfeld den neben Füllkrug besten Spieler auf dem Platz, André Carrillo, nie zähmen konnte. Der 31-jährige Peruaner offenbarte offene Stellen auf der deutschen Sechser-Position, vor allem, nachdem der defensivere Emre Can zur Pause durch Leon Goretzka ersetzt worden war. Der Münchner positionierte sich - anders als zuvor Can - vor Joshua Kimmich - und wurde vom zunehmend darbenden Spiel verschluckt. Mit Blick auf das nächste Testspiel Dienstagabend in Köln gegen Belgien (20.45 Uhr/RTL) erwartet Flick »ein anderes Kaliber«, ist »froh, dass wir gegen so einen Gegner spielen« und glaubt, man könne »an seinen Aufgaben auch wachsen«. Ein gewisser Wachstumsschmerz ist gerade im Fall von Goretzka unübersehbar. Die Zusammenarbeit mit Kimmich müsste ja eigentlich gedeihlich verlaufen, beide kennen sich in- und auswendig. Aber es hakt, sowohl bei den Bayern als auch im Nationaltrikot.
Anders als Kai Havertz, der an beiden Toren in der Vorarbeit mitbeteiligt war, konnte der hochbegabte Florian Wirtz nach anderthalb Jahren Länderspielpause wegen seines Kreuzbandrisses keine Spur hinterlassen. Der 19-jährige Leverkusener verlor mehr Bälle, als er es aufgrund seiner außergewöhnlichen Technik gewohnt ist. Wirtz wurde zur Pause durch den elf Jahre älteren Mario Götze ersetzt. Aber auch der Frankfurter konnte dem, mit Ausnahme eines sehenswerten Volleyschusses von Serge Gnabry an die Latte, zerfasernden Spiel keine Struktur geben. So flüchteten sich die Fans in »La Ola«.
