Goretzkas Geste als bleibendes Bild

(sid). Leon Goretzka formte mit seinen Händen ein Herz und schickte das starke Zeichen der Liebe an den aufgebrachten schwarzen Mob. Der besondere Torjubel des Nationalspielers vor einem Jahr lieferte eines der bleibenden Bilder der EURO. Jetzt trifft der Bayern-Profi mit dem Gespür für gesellschaftliche Themen die ungarischen Fans wieder, die mit ihren rassistischen und homophoben Ausfällen längst zum schlimmen Ärgernis im europäischen Fußball geworden sind.
Ob er am Samstag (20.45 Uhr/RTL) beim Nations-League-Duell in Budapest erneut ein solches Zeichen setzen wird, weiß Goretzka noch nicht. »Da habe ich in meine Gefühle noch nicht so reingehört«, sagte der 27-Jährige: »Ich bereite mich genauso vor wie auf andere Spiele.«
Hansi Flick versuchte, das Thema im Vorfeld klein zu halten. »Jeder Einzelne hat schon viele Spiele in aufgeheizter Stimmung gemacht«, sagte er über die erwarteten Pfiffe, »das muss jeder auf diesem Niveau aushalten. Wir fokussieren uns auf unser Spiel, alles andere ist Nebensache.«
Doch das ist nicht immer so einfach, wie die englischen Nationalspieler vor einer Woche erfuhren. Als sie vor dem Anpfiff ihres Gastspiels in Ungarn aus Protest gegen Rassismus niederknieten, pfiffen und buhten die 30 000 Besucher im Ferenc-Puskas-Stadion - vorwiegend Schulkinder. Der erneute Eklat erinnerte an die Skandale im vergangenen Jahr: an die Affenlaute, die die Stürmer Jude Bellingham und Raheem Sterling in der WM-Qualifikation in Budapest begleitet hatten, an die Auswüchse bei den EM-Gruppenspielen im Puskas-Stadion, und eben in München, wo die Atmosphäre nach den Diskussionen um eine Regenbogen-Beleuchtung der Arena als Reaktion auf die diskriminierende Politik von Viktor Orban ohnehin aufgeheizt war.
Seine Herzgeste »kam ein bisschen aus dem Bauch heraus«, erklärte Goretzka im Rückblick, »und hat zum Thema davor gepasst, ob wir die Arena in Regenbogenfarben anstrahlen dürfen oder nicht«. Am vergangenen Dienstag hatten sich die deutschen Spieler mit ihren englischen Kollegen solidarisiert und waren in München ebenfalls auf die Knie gegangen.
Ein ähnliches Zeichen in Budapest sei nicht angedacht, berichtete Oliver Bierhoff. »Nein, die Überlegung gab’s noch nicht«, antwortete der Geschäftsführer Nationalmannschaften und Akademie auf eine entsprechende Frage, »für Ungarn ist nichts geplant.«
Doch auch Bierhoff weiß, dass die Nationalspieler mehr denn je über ihre sportlichen Leistungen hinaus im Blickpunkt stehen. »Sie müssen sich damit auseinandersetzen, Haltung und Position beziehen«, sagte er.
Am Samstag ist das Puskas-Stadion in Budapest wieder ausverkauft, der Zuschauerausschluss als Strafe für die homophoben und rassistischen Ausfälle, den die Ungarn gegen England mit 30 000 Schulkindern und ihren Begleitpersonen umgingen, ist auf Bewährung ausgesetzt. Und der nächste Eklat womöglich nur eine Frage der Zeit.