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Er will doch nur spielen

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imago1013585200h_050822_4c © Imago Sportfotodienst GmbH

Zwischen Himmel und Hölle: Die Irrwege des neuen Stars von Eintracht Frankfurt, Mario Götze, im Profizirkus. Heute gilt es für ihn im Eröffnungsspiel der Fußball-Bundesliga gegen die Bayern.

Wer sich heute mit diesem tiefenentspannten Burschen namens Mario Götze unterhält, wer ihn bei der Basisarbeit mit den Eintracht-Fans beobachtet, lächelnd, gut gelaunt, hier ein Selfie, dort ein Autogramm, der kann sich nur schwerlich vorstellen, dass es auch mal einen anderen Mario Götze gab. Einen, den, wie die »Frankfurter Rundschau« während der Fußball-WM 2014 feststellte, »eine Aura der Arroganz und Abweisung« umgab. Das Gebaren gegenüber den Medien sei »furchtbar schnöselig«.

Ein hartes Urteil, aber Götze, seit ein paar Wochen beim Europa-League-Sieger Eintracht Frankfurt beschäftigt und sichtbar gelöst, hatte es provoziert, wahrscheinlich konnte er nicht anders damals, der junge Kerl; Journalisten begriff er als Feinde, die er als diejenigen wahrnahm, die Druck auf ihn ausübten, die in ihrer Kritik schonungslos waren. Irgendwann hat er gemerkt, dass er mit seiner Art der Außendarstellung auf dem Holzweg war.

Auf Mario Götze ist einiges eingeprasselt, der 30-Jährige ist ein kluger Mann, sensibel und nachdenklich, einer, der zu dem gemacht wurde, der er nie sein wollte. Er ist introvertiert, freundlich und reflektiert, geerdet, sozial engagiert. Doch seit dieser magischen Nacht von Rio war nichts mehr, wie es vorher war und wie es auch nie mehr sein wird. Dieses brillante Tor im Finale sollte sein Leben verändern. Er ist hochgejubelt worden, »der weiße Brasilianer«, der »angehende Weltfußballer«, er, »das Jahrhunderttalent aus dem Luxussegment des Fußballs, bei dem Instinkt und Genie zusammenfinden«, wie die »Welt« schrieb. Besser als Messi. Und dann, als es nicht mehr lief, als er fast zerbrach an den Erwartungen, als der Körper streikte und er die Freude am Kicken verlor, da stürzte er ab.

Mittlerweile liegen diese Zeiten hinter dem früheren Dortmunder, er hat sich freigemacht von Druck und Erwartungen. Die zwei Jahre in Eindhoven unter Roger Schmidt, der ihm vertraute, haben ihm gutgetan, da wurde er wie ein normaler Spieler bewertet. Mehr will er nicht, mehr erwartet er nicht. »Ich bin jetzt 30 geworden, habe eine andere Sichtweise bekommen«, sagt er heute. »Mir ist nicht so wichtig, was die letzten Jahre war. Mein Fokus liegt auf dem Hier und Jetzt. Ich will das Spiel genießen.« Die Prioritäten haben sich verschoben. »Privat hat sich bei mir viel verändert. Ich bin Vater geworden und habe geheiratet. Das spielt für mich eine größere Rolle als der Sport.« Er gehe auch entspannt mit dem Hype um. »Das kann ich nicht beeinflussen, es ist extern«, bedeutet Götze. Von seiner Entscheidung, zur Eintracht zu wechseln, ist er überzeugt. »Es fühlt sich richtig an, es fühlt sich gut an.«

Die Eintracht hat sich das genau überlegt, sie weiß, dass sich vieles um den Starspieler drehen wird. Aber die Verantwortlichen haben ein anderes Bild von Götze. »Ich habe Mario nie als Pling-Pling wahrgenommen«, sagt Trainer Oliver Glasner. »Ich habe ihn immer als normal empfunden, auch jetzt will er dazulernen, saugt alles auf.«

Natürlich werden alle genau hinschauen, er steht im Fokus - egal, ob er gut, schlecht oder gar nicht spielt. Damit muss er, damit müssen alle klarkommen. Gerade heute (20.30 Uhr/Sat.1) wird Deutschland auf den WM-Held schauen, es geht gleich am ersten Spieltag gegen die Bayern. Für den Instinktfußballer ein besonderes Spiel. Er war 2013 von Dortmund für 37 Millionen nach München gewechselt und sackte ein Jahresgehalt von zwölf Millionen Euro ein. Doch Bayern und Götze, das passte nicht. Dabei war er doch ausgezogen, um die Welt zu erobern. Es kam anders. Auch die Rückkehr zum BVB, 2016, konnte nichts mehr ändern, der verlorene Sohn konnte weder die eigenen noch die externen Ansprüche erfüllen, zumal ihn noch eine seltsame Stoffwechselkrankheit mattsetzte. Götze am Boden. Selbst sein guter Kumpel Marco Reus hatte fast schon Mitleid. »Wir sollten so langsam damit aufhören, jeden Tag über Mario zu sprechen. Das tut ihm nicht gut«, sagte der BVB-Kapitän. »Der Junge will einfach nur Fußball spielen, sonst nichts.«

Das zweite Engagement beim BVB bezeichnet Götze inzwischen als Fehler, zumal er auch zu seinem Mentor Jürgen Klopp zum FC Liverpool hätte wechseln können. »Ich habe eine falsche Entscheidung getroffen, aber ich bereue es nicht.« Denn alle Karriereschritte seien retrospektiv betrachtet wichtig gewesen: »Sie haben mich reifen lassen. Im Endeffekt spielen das Alter und die Erfahrung eine Rolle«, sagt er im vereinseigenen Interview. »Zu erwarten, dass ein 20-Jähriger in dem Stadium ist, in dem ich jetzt bin, ist unmöglich.«

Nun also die Rückkehr nach Deutschland, und die Kardinalfrage: Kann dieser Götze noch ein prägender Spieler in der Bundesliga sein? Er ist immer noch ein schlauer Spieler, der sich instinktiv zwischen den Linien bewegt, der den letzten Pass spielen kann, beim Auftakt der Eintracht in Magdeburg (4:0) war er in blendender Spiellaune, ließ seine Extraklasse oft aufblitzen, lief auch mehr als alle anderen. Er ist topfit. Ein verheißungsvoller Auftakt, aber eben nur ein Auftakt.

Viele haben sich gefreut, dass er wieder da ist, und ihm gratuliert. Unter ihnen war auch Hansi Flick, der ihn in Hinblick auf die WM in Katar genau beobachten will, auch schon im Eröffnungsspiel gegen die Bayern. »Das ist eine Wertschätzung, das spricht dafür, was ich geleistet habe«, sagt Götze. Er ist gekommen, um zu zeigen, dass er noch mithalten, Spiele entscheiden und dominieren kann. Fußball ist seine Leidenschaft geblieben, mehr denn je zuvor. »Ich will«, sagt er, »nur mir selbst etwas beweisen.« Er steht dabei unter genauer Beobachtung. Er kennt es nicht anders.

FOTO: IMAGO

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