Eine magische Nacht

Eintracht Frankfurt liebt Europa - und umgekehrt. Diesmal verzaubert die SGE Barcelona und sich selbst, steht nach dem 3:2-Sieg im Halbfinale der Europa League und kennt nur noch ein Ziel: über London nach Sevilla zu kommen.
Als noch längst nicht alles an diesem außergewöhnlichen Abend vorbei war, aber Oliver Glasner schon den Diver vor seinen Spalier stehenden Spielern gemacht, sich eine zerrissene Hose eingehandelt und Filip Kostic sein Trikot gehisst hatte, als die Ovationen der 25 000 Fans ganz langsam weniger wurden, da rockte Martin Hinteregger noch einmal Camp Nou. Den kernigen Österreicher, der ein überragendes Spiel abgeliefert hatte, wollten die Anhänger gebührend feiern. Also riefen sie den Namen des Publikumlieblings. Hinteregger war eigentlich schon runter vom Platz, er stoppte, machte kehrt und rannte erneut winkend und klatschend über den Platz in die Kurve. Da wurde einer abgefeiert, der es verdient hat.
Es sind diese Momente, weswegen man Fußball spielt, das sind die Augenblicke, sagte später Glasner bei der Analyse, die hätten »sich eingebrannt ins Herz für immer. Diese Gefühle werde ich mitnehmen, bis ich irgendwann hoffentlich mal eine Etage höher bin.« Großes Kino, ganz großes Kino.
Es war dann, wie so oft, Axel Hellmann, das Mastermind bei Eintracht Frankfurt, der diese magische Nacht von Camp Nou, der diesen 3:2 (2:0)-Erfolg über den FC Barcelona einordnete: »Wir haben«, sagte der Frankfurter Vorstandssprecher, »Historisches geschafft.« Es kommt ja nicht so häufig vor, dass Eintracht Frankfurt, Mittelmaß in der Bundesliga, einen fünffachen Champions-League-Sieger, seit 15 Spielen ungeschlagen, in dessen Stadion bezwingt, hochverdient noch dazu. Mitte der zweiten Hälfte war Eintracht Frankfurt dem 4:0 näher als der FC Barcelona dem Anschluss. Die beiden Barca-Tore durch Busquets (90.+1) und Depay (90.+11) schmeichelten den Gastgebern eher.
Der grandiose Eintracht-Sieg, den die Profis heroisch errangen, war aber auch ein Sieg der Köpfe: Trainer Oliver Glasner hatte Barca ausgelesen, hatte den Kollegen Xavi ausgecoacht. »Unser Plan ist perfekt aufgegangen«, sagte Torhüter Kevin Trapp, der ein überragender Rückhalt seiner Mannschaft war und damit ganz nebenbei auch die bösen Geister aus 2017 vertreiben konnte, als er mit Paris Saint-Germain ein halbes Dutzend Gegentor im Camp Nou kassierte.
Plan geht zu 100 Prozent auf
Alle taktischen Kniffe und Überlegungen von Glasner gingen auf. Aus einer massierten Abwehr heraus mit »Tempo, Power, Speed« Nadelstiche setzen, dazu überließ man den Spaniern den Ball in Zonen, in »denen sie uns keine Problem machten«. Tatsächlich hatten die Hausherren 75 Prozent Ballbesitz, sie spielten 638 Pässe (Eintracht: 231), die besseren Möglichkeiten mit ihren schnellen Spielern (Ansgar Knauff, Jesper Lindström, Filip Kostic) aber hatten die Frankfurter. Und die Art, wie Barcelona Fußball zu spielen pflegt - offensiv, spielerisch, ballorientiert -, kam der Eintracht mit ihrer körperbetonten Herangehensweise entgegen. Gegen West Ham United, dem Gegner im Halbfinale (28. April in London, 5. Mai in Frankfurt) wird die Eintracht auf deutlich mehr Physis und nicklige Gegenwehr treffen. Im Hinspiel werden Kristijan Jakic (3. Gelbe) und Evan Ndicka (Gelb-Rot) fehlen.
Ein weiterer Schlüssel für die zauberhafte Nacht war »eine gute Spielgeschichte«, wie Sportvorstand Markus Krösche später sagte. Er meinte damit das 1:0 (4.) durch einen verwandelten Elfmeter von Kostic, der den Hessen schon früh im Spiel signalisierte: Heute geht was. Rafael Borré (37.) mit einem Traumtor und nochmals Kostic (68.) schraubten das Ergebnis in vorher unvorstellbare Höhen.
An diesem »Abend voller Stolz und Freude« (Trapp) beeindruckte Trainer Glasner vor allem, wie seine Mannschaft ins Spiel gefunden hatte. Bis zum Elfmeter waren die Gäste fast ständig in der gegnerischen Hälfte gewesen, couragiert, selbstbewusst sei man aufgetreten, habe damit Zeichen gesetzt: Der Glaube an das Wunder von Camp Nou war da. »Ich habe der Mannschaft gesagt, egal wie das Spiel ausgehe: Wir wollen Eintracht-like spielen.« Das ist gelungen, mehr noch als das: Eintracht Frankfurt hat durch das Auftreten auf dem Spielfeld, aber auch durch seine friedliche, reisefreudige Anhängerschaft den deutschen Fußball sehr würdig vertreten.
Eintracht-Fans verunsichern Barca
Natürlich war es ein Spiel, wie gemalt für ein Team, das über ein »Europacup-Gen« verfügt, wie Hellmann sagt. Tatsächlich hatten die Frankfurter genau wieder »dieses Momentum entwickeln können«, das sie zu Höchstform auflaufen ließ. »Das hat sich in den letzten Tage und Wochen aufgebaut«, so Hellmann. Jeder glaubte an das kleine Wunder. Und dass der Klub seine Fans mobilisieren kann, ist ja fast schon eine Selbstverständlichkeit. Gut und gerne 25 000 in weiß gekleidete Fans machten die Partie vor 79 468 Besuchern zwar nicht zu einem Heimspiel, verunsicherten den Weltklub Barca aber doch erstaunlicherweise.
Man glaubt es kaum, aber an diesem Ostersonntag geht es trotzdem schon wieder weiter in der Bundesliga, bei Union Berlin geht es um Punkte (17.30 Uhr) und es ist nur schwer vorstellbar, wie sich diese Mannschaft für den Alltag wappnen soll - körperlich, vor allem aber mental. Trainer Glasner könnte rotieren. In der Liga rangiert die Eintracht ohnehin jenseits von Gut und Böse. Außerdem haben sie in Frankfurt jetzt andere Prioritäten. »Das Ziel ist jetzt, ins Finale zu kommen«, sagt Krösche. Logisch, wer schon Barca rauskegelt...
