Ein erster Härtetest

Seit Herbergers Zeiten hat Deutschland gegen Belgien nicht verloren. Ein Andauern dieser Serie ist für Hansi Flick heute wichtig. In seiner Personalstrategie sieht sich der Fußball-Bundestrainer schon bestätigt.
Einen Anruf bei Geburtstagskind Manuel Neuer wollte Hansi Flick trotz der Konzentration auf die schwierige Fußball-Prüfung gegen Belgien auf keinen Fall vergessen. »Ich habe versucht, ihn zu erreichen, aber er war nicht erreichbar. Das werde ich noch nachholen«, kündigte der Bundestrainer vor der durch den Streiktag auch für die deutsche Nationalmannschaft verkomplizierten Anreise zum 999. Länderspiel in der DFB-Historie nach Köln an.
Flicks Fokus auf den Härtetest gegen die ebenfalls noch unter den Nachwirkungen ihres WM-Schocks stehenden Belgier dürfte ein Telefonat mit dem verletzten Kapitän an dessen 37. Geburtstag nicht verrückt haben. Der Bundestrainer weiß genau, wie wichtig ein weiterer Erfolg am Dienstag (20.45 Uhr/RTL) gegen die Belgier nach dem leichten Mutmacher beim 2:0 gegen Peru jetzt ist. »Wir haben den ersten Schritt gemacht. Es war gut, dass wir mit einem Sieg ins Jahr gestartet sind«, sagte Flick. »Ganz klar ist der Fokus, dass wir dieses Spiel erfolgreich bestreiten wollen«, fügte der 58-Jährige an. Und warnte: »Belgien ist ein anderes Kaliber.«
Kalt pfiff der Nordwind über den Frankfurter DFB-Campus, als Flick am Montag mit seinen nach dem Ausfall von Kai Havertz (grippaler Infekt) und Nico Schlotterbeck (muskuläre Probleme) verbliebenen 21 Spielern das Abschlusstraining bestritt. Flick schnappte sich zu Beginn Emre Can zum Einzelgespräch. Die Qualitäten des Dortmunders - Körperlichkeit, Leidenschaft, Intensität - werden gerade gegen die schnellen und spielstarken Belgier um Kapitän Kevin De Bruyne wieder gefragt sein. »Emre hat es gut gemacht«, lobte Flick den DFB-Rückkehrer für sein Comeback gegen Peru. Den Platz neben Deutschlands Anführer Joshua Kimmich als Sechser hat sich Can momentan im wahrsten Sinne erarbeitet.
»Wenig Wechsel« will der Bundestrainer machen im Vergleich zum Peru-Sieg. Zu zwei Änderungen wird er gezwungen. Für Havertz wird Serge Gnabry hinter der Doppelspitze mit Torgarant Niclas Füllkrug und Timo Werner spielen. In der Innenverteidigung bekommt Thilo Kehrer den Platz von Schlotterbeck neben Matthias Ginter, der gegen Belgien wie möglicherweise auch Leon Goretzka sein 50. Länderspiel bestreitet. Ginter - 2014 schon beim Triumph in Rio zumindest im Kader dabei - ist für Flick der positive Prototyp, wenn es um sein anfangs umstrittenes Personalkonzept für den März-Lehrgang geht. Sonst im Schatten von Antonio Rüdiger und Niklas Süle, wird der Freiburger von Flick nun bewusst mit viel Spielzeit in die Verantwortung geschoben. »Er hat gezeigt, dass man sich auf ihn verlassen kann«, sagte der Bundestrainer.
Flick sieht seine Strategie mit vielen neuen Gesichtern im Kader und der Pause für viele Stammkräfte jetzt schon aufgegangen. Alle hätten in einer »erfrischenden Atmosphäre befreit aufgespielt«. Ob nach Marius Wolf, Kevin Schade und Mergim Berisha nun auch noch die drei weiteren Neulinge Malick Thiaw, Felix Nmchea, Josha Vagnoman zumindest ein paar Länderspiel-Minuten bekommen, ließ Flick offen. Erfolg steht für den Bundestrainer in dieser immer noch heiklen Bewährungsphase jedenfalls über Experimenten. »Siege tun letztendlich immer gut, fürs Selbstverständnis und Selbstvertrauen«, sagte Flick.
Deutschland und Belgien waren sich in den letzten Jahren aus dem Weg gegangen. Das Los brachte sie auch in Qualifikationen nie zusammen. Superstar De Bruyne spielte zum Beispiel noch nie gegen die DFB-Elf, die das letzte Duell 2011 durch Tore von Mesut Özil, André Schürrle und Mario Gomez 3:1 gewann. Als Deutschland letztmals gegen Belgien vor 69 Jahren ein Spiel verlor, hieß der Bundestrainer noch Sepp Herberger.
(sid). Aufregung? Nervosität? Kribbeln? Domenico Tedesco blieb vor der alles andere als alltäglichen Dienstreise ziemlich cool. »Ein bisschen besonders ist es schon«, sagte der neue deutsche Chefcoach der belgischen Roten Teufel zum Duell mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft heute in Köln: »Aber ich habe mir in den vergangenen Wochen gar nicht so viele Gedanken darüber gemacht.«
Statt über das Kräftemessen mit dem Team von Bundestrainer Hansi Flick (20.45 Uhr/RTL) zu grübeln, hatte sich der 37-Jährige zu Beginn seiner Amtszeit voll in den Tunnel EM-Qualifikation begeben. Der 3:0-Erfolg in Schweden mit dem neuen »Lu-Lu-Sturm« aus Dreierpacker Romelu Lukaku (Inter Mailand) und Dodi Lukebakio (Hertha BSC) glich einem Traumstart in eine neue Ära, den Tedesco und Co. nun im Rheinland veredeln wollen.
Für beide Kontrahenten ist das Aufeinandertreffen ein wichtiger Fingerzeig. Auch für Belgien war die WM in Katar eine einzige Enttäuschung. Auf das Vorrunden-Aus folgte der Abschied von Roberto Martinez nach sechs Jahren, und der Ex-Leipzig-Coach Tedesco überzeugte die Verantwortlichen, dass sein Konzept das hochveranlagte Team um Kapitän Kevin De Bruyne (Manchester City) wieder in neue Höhen führen kann.
»Wir befinden uns schon in einem Umbruch, einige sehr verdiente Spieler sind nicht mehr dabei. Aber das macht die Aufgabe auch sehr spannend. Ich bin zuversichtlich«, sagte er, auch wenn er heute auf Torhüter Thibaut Courtois (Adduktorenprobleme) verzichten muss. Für ihn wird Koen Casteels (VfL Wolfsburg) zwischen den Pfosten stehen.
(sid). Wenn Henning Matriciani den Adler auf seiner Brust sieht, kann er es selbst kaum glauben. Noch vor drei Jahren arbeitete der Spätstarter als Physiotherapeut und kickte in der Regionalliga, nun steht er vor seinem Debüt für die deutsche U21-Nationalmannschaft. »Ein Traum geht in Erfüllung. Ich bin ein Beispiel dafür, dass auch Späteinsteiger ihren Weg im Profi-Fußball machen können«, sagt der Schalker.
Schon sein Wechsel vom SV Lippstadt nach Gelsenkirchen im Jahr 2020 kam für Matriciani unerwartet, den Anruf von Gerald Asamoah hielt er zunächst für einen fiesen Streich. »Ich dachte, irgendjemand wollte mich auf den Arm nehmen. Ich hatte eigentlich damit abgeschlossen, Profi zu werden«, erzählt der Ostwestfale, der auf einem Bauernhof im 1500-Seelen-Dorf Bökenförde aufwuchs, bei ran.de.
Doch es war kein Scherz: Matriciani kam 2021 zu seinem Bundesliga-Debüt und spielt sich seither mit Grätschen wie jüngst beim 2:2 im Derby gegen Borussia Dortmund in die Herzen der Fans. Die Belohnung folgte mit der ersten Nominierung für eine deutsche U-Mannschaft. Beim 2:2 gegen Japan am Freitag saß der Abwehrspieler zwar nur auf der Bank, am heutigen Dienstag (18 Uhr/ProSieben MAXX) in Rumänien soll es aber mit dem Debüt klappen.
»Henning hat sich die Nominierung verdient. Ich habe ihn hier als sehr sympathischen und selbstbewussten jungen Mann kennengelernt«, sagte DFB-Trainer Antonio Di Salvo, der Matriciani am Montag dann auch sein Debüt in Aussicht stellte: »Ich gehe davon aus, dass jeder Spieler zum Einsatz kommen wird.«
Wahrscheinlich wird das Spiel in Rumänien für Matriciani die letzte Chance, einmal für Deutschland aufzulaufen. Zwar hofft er auf eine Nominierung für die U21-EM im Sommer, dann kann Di Salvo aber wieder auf zahlreiche Stammspieler zurückgreifen. Nach dem Turnier ist Matriciani dann zu alt für die U21 - und die A-Nationalmannschaft scheint dann doch ein eher unrealistisches Ziel.
»Ich hoffe, dass ich noch mein Debüt feiern darf«, sagt Matriciani, der gerne dem Schicksal seines »Zwillings« Yves Eigenrauch entgehen würde. Nicht nur wegen seines spärlichen Haupthaars wird der kampfstarke Matriciani auf Schalke gerne mit dem legendären Eurofighter von 1997 verglichen. Doch eben jener Eigenrauch träumte vor genau 25 Jahren ebenfalls von seinem DFB-Debüt - vergeblich.
Im März 1998 war es, als Berti Vogts Eigenrauch nominierte und gegen Brasilien und Nigeria jeweils 90 Minuten auf der Bank schmoren ließ. Eigenrauch sollte in seiner Karriere nie für Deutschland spielen. Der bescheidene Henning Matriciani würde sich daher schon über ein paar Minuten freuen.
Die Begegnung in Rumänien wird die letzte vor der EM im Juni, bei der Deutschland als Titelverteidiger antritt. »Rumänien wird uns alles abverlangen, da muss meine Mannschaft kühlen Kopf bewahren. Wir dürfen uns definitiv keine Ruhephasen im Spiel erlauben«, sagte Di Salvo, der auf die angeschlagen abgereisten Tom Krauß, Kilian Fischer und Simon Asta verzichten muss. Trotz der Ausfälle will der Trainer keine großen personellen Veränderungen vornehmen. »Allzu viel möchte ich nicht ändern, weil ich eine gewisse Stabilität für wichtig erachte«, sagte der Coach.
