Carlsen spielt seine Klasse im Tiebreak aus
Magnus Carlsen nahm einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche, stopfte das Hemd in die Hose und setzte sein Lausbuben-Grinsen auf. Dann knüpfte sich der alte und neue Schach-Weltmeister seine Kritiker vor. »Jeder hat das Recht, seine dumme Meinung zu haben«, sagte der Norweger genüsslich, um dann in gnadenlosem Understatement festzustellen: »Ich hatte heute einen ziemlich guten Tag auf der Arbeit.« Was der Champion nach dem Tiebreak-Sieg in London in diesem epischen und erbitterten Duell über drei Wochen mit dem Amerikaner Fabiano Caruana aber nicht weggrinsen konnte: Den Nimbus des Unantastbaren hat Carlsen verloren.
Magnus Carlsen nahm einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche, stopfte das Hemd in die Hose und setzte sein Lausbuben-Grinsen auf. Dann knüpfte sich der alte und neue Schach-Weltmeister seine Kritiker vor. »Jeder hat das Recht, seine dumme Meinung zu haben«, sagte der Norweger genüsslich, um dann in gnadenlosem Understatement festzustellen: »Ich hatte heute einen ziemlich guten Tag auf der Arbeit.« Was der Champion nach dem Tiebreak-Sieg in London in diesem epischen und erbitterten Duell über drei Wochen mit dem Amerikaner Fabiano Caruana aber nicht weggrinsen konnte: Den Nimbus des Unantastbaren hat Carlsen verloren.
Schiere Erleichterung statt überbordender Freude bestimmte die Gefühlswelt beim Meister aus Tönslage, nachdem er – zwei Tage vor seinem 28. Geburtstag – die Krone im Spiel der Könige in seinem Besitz gehalten hatte. »Fabiano war der härteste Konkurrent, den ich je in einem WM-Kampf hatte. Ich bin froh, diese Herausforderung gemeistert zu haben«, sagte Carlsen, kurz bevor ihm eine Salve Konfetti über das Haupt rieselte.
3:21 Stunden dauerte der letzte Akt dieses WM-Duells im altehrwürdigen The College vor einer Heerschar an Journalisten und Fotografen. 3:21 Stunden, in denen Carlsen nach der oft quälenden zwölfteiligen Remis-Arie seine unumstrittene Klasse im Schnellschach gnadenlos ausspielte.
Von einer »Machtdemonstration« schrieb die Zeitung Verdens Gang in Carlsens Heimat, das Dagbladet von »zerstörerischer Überlegenheit« des Nationalhelden, der selbst gegnerische politische Lager in Freude vereinte. Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg von der konservativen Höyre-Partei ließ sich gemeinsam mit Jonas Gahr Störe, dem starken Mann der Sozialdemokraten, ablichten und twitterte: »Wir feiern Magnus parteiübergreifend!«.
3:0 – so klar wie das Tiebreak-Ergebnis war die Auseinandersetzung am 13. und letzten Turniertag. Caruana, ein Jahr jünger als der Titelverteidiger, war unter dem Zeitdruck der Tempovariante wehrlos. »Ich hatte einen schlechten Tag, konnte keinen Kampf entfachen«, sagte der Herausforderer. Dies aber auch, weil es Carlsen schlicht nicht zuließ, mit seiner einzigartigen Intuition wie ein Uhrwerk spielte, in Perfektion, ein menschlicher Schachcomputer.
»Sein Level im Blitz- und Schnellschach ist phänomenal«, sagte Russlands Ikone Garri Kasparow nach der Entscheidung in London: »Wir werden alle schlechter, wenn wir schneller und schneller spielen. Aber sein Qualitätsverlust ist der kleinste überhaupt.« Dabei gehörte Kasparow, Weltmeister von 1985 bis 2000, zu den Hauptkritikern Carlsens, deren Skepsis gegenüber dem Branchenführer durchaus nachvollziehbar war: Carlsen blieb mental lange ein Schatten seiner selbst, hangelte sich über zwölf Partien oft mut- und inspirationslos von Unentschieden zu Unentschieden. Er blieb Weltmeister, ohne eine reguläre Partie zu gewinnen.