Beine streiken

Müde, abgekämpft, unkonzentriert: Die Frankfurter Eintracht hat beim 0:2 als Gast von Union Berlin nichts zu bestellen. Der Blick ist bereits auf Europa gerichtet.
Mit den Beinen ist das so eine Sache, manchmal zittern sie oder sie verknoten sich, oft schlafen sie einfach ein, und in eher seltenen Fällen wächst einem gar ein drittes Bein. Aber wenn es ganz dumm läuft, dann sprechen sie mit einem. Das ist am Ostersonntag erstaunlicherweise Profis von Eintracht Frankfurt widerfahren, seltsam muss sich das angefühlt haben. Trainer Oliver Glasner berichtete nach der sehr erwartbaren 0:2 (0:2)-Niederlage bei Union Berlin davon: »Irgendwann«, erzählte der Frankfurter Übungsleiter, »sagen die Beine: Sorry, ich kann nicht mehr.«
Es war ein ziemlich unmögliches Unterfangen, drei Tage nach der rauschenden, einmaligen Ballnacht von Camp Nou eine weitere Energieleistung abzurufen, noch dazu gegen einen Gegner, der in der ersten halben Stunde genau das tut, was eine platte, ausgepumpte Mannschaft nun gar nicht gebrauchen kann: Druck machen. »Wir haben den Gegner unermüdlich gestresst«, verriet Union-Trainer Urs Fischer sein simples, aber wirkungsvolles Konzept. Spätestens nach dieser ersten »sehr, sehr schlechten« halben Stunde, wie Glasner sagte, war diese einseitige Partie entschieden, Berlin hatte durch Taiwo Awoniyi, der Martin Hinteregger nicht ganz regelkonform im Sprint abkochte (17.), und Grischa Prömel (20.) zweimal zugeschlagen. Es waren zwei Wirkungstreffer, danach schalteten die Gastgeber gemütlich in den Verwaltungsmodus, wohlwissend, dass von dieser Frankfurter Eintracht an diesem Tag keine ernsthafte Gefahr mehr erwachsen würde. »Konzentration und Wachheit fehlten«, resümierte Glasner, »dann wirst du geknackt«. Symptomatisch für eine ausgebrannte Eintracht war das 0:2, erst wähnte man den Ball im Aus, dann verschlief Kristijan Jakic einen Ball, den er drei Tage zuvor in Camp Nou souverän noch gegen Weltklassekicker geklärt hatte.
Aber wer wollte das den Helden von Barcelona verdenken? Kaum 72 Stunden nach dem größten Spiel der jüngeren Vereinsgeschichte wieder im grauen Alltag zu bestehen, dazu vor weniger Publikum als Frankfurter Fans nach Spanien gepilgert waren - diese Aufgabe war zu immens. Physisch, mehr aber noch mental. »Die Spieler haben alles rausgepresst, was drin war - aber die Zitrone war leer«, sagte Glasner, der das 0:2 voller Altruismus »zu 100 Prozent auf meine Kappe« nahm. Ihm sei es nicht gelungen, erläuterte der 47-Jährige, seine Spieler nach dem euphorischen Halbfinaleinzug in der Europa League auf den Bundesliga-Alltag vorzubereiten.
Da half auch der Einbau von sechs neuen Profis wenig, die sehr unauffällig blieben und nicht den Eindruck erweckten, sich für den Endspurt, etwa für die Partie gegen West Ham United, aufdrängen zu wollen. Dazu kam, dass das Team in dieser Besetzung kaum zusammengespielt hat, auch das merkte man. Christopher Lenz zum Beispiel, der ständig verletzte, ehemalige Union-Kicker, sprach von einer geteilten Mannschaft, eine Hälfte sei offensiv, die andere defensiv, »aber miteinander haben wir nicht gespielt«. Sicher war nur: Union Berlin, mit seiner aggressiven, fordernden, körperbetonten Spielart war genau der falsche Gegner für eine ausgelaugte Mannschaft. »Union war besser als Barcelona«, scherzte Glasner.
Aber wegen der Vielzahl der Spiele in kürzestem Rhythmus war Eintracht Frankfurt nicht in der Lage, Union mehr zu ärgern. Den Strapazen des Barca-Spiels, in dem jeder Eintrachtler weit über die eigenen Grenzen gegangen war, musste Tribut gezollt werden. Das sei keine Ausrede, so der Coach, »das muss man akzeptieren«. Er wolle niemandem in den Senkel stellen, sagte Glasner: »Ich kann sie nicht am Donnerstag in den Himmel loben und am Sonntag dann draufhauen.« Aber die Frische fehlte halt.
Natürlich ist jetzt ein bisschen die Luft raus aus der Bundesliga-Saison. Bei sieben Punkten Rückstand auf einen Platz, der wenigstens für die Conference League reicht, ist es eher unwahrscheinlich, dass die Hessen sich über die Bundesliga für Europa qualifizieren werden. Dessen ungeachtet machte der österreichische Fußballlehrer sehr schnell deutlich, dass es ein Larifari zum Saisonhalali nicht geben wird. »Ich weiß nicht, ob der Zug schon abgefahren ist«, kommentierte Glasner die weiteren Perspektiven. »Aber dass wir ein Spiel abschenken werden, das gibt es bei mir und bei uns nicht.« Dennoch ist es nur zu logisch, dass Eintracht Frankfurt den Scheinwerfer auf die anstehende Aufgaben (28. April, 5. Mai) gegen West Ham richtet. Mit einem Einzug ins Finale in Sevilla (18. Mai) könnten die Hessen ihre bislang mittelmäßige Übergangssaison zu einer herausragenden machen.
Es wird darum gehen, noch einmal alle möglichen und unmöglichen Kräfte für das Halbfinale zu mobilisieren. Die Frage wird sein, ob die Eintracht dieses Kunststück und den Kraftakt schafft, erneut solch eine Energie zu entwickeln, die einen ins Finale trägt. Und ob die Eintracht am Montag, 2. Mai, im Ligaspiel bei Bayer Leverkusen, 72 Stunden vor dem Rückspiel, die allererste Garde ins Rennen schickt, darf füglich und mit Recht bezweifelt werden.
Nach dem Trip in die Hauptstadt gab Oliver Glasner den müden Helden erst einmal Urlaub, »jetzt konzentrieren wir uns mal zwei Tage gar nicht«. Erst am Mittwoch bittet der Coach wieder zum Training. Bis dahin sollte der Akku halbwegs aufgeladen werden, für die TSG Hoffenheim, aber vor allem für den nächsten Halt im gleißenden Licht: 28. April, 21 Uhr, Olympic Stadium, 1 Stratford Place, London E20 2ST, England.

