Aufwind trotz Rückstand

Herausforderer Max Verstappen geht gegenüber Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton mit einem psychologischen Vorteil in den Großen Preis der Türkei. Mercedes steht im spannenden WM-Kampf vor einer kniffligen Frage.
Seinem WM-Traum ordnet Max Verstappen alles unter. Selbst an seinem 24. Geburtstag stählte der Red-Bull-Pilot seinen Körper im heimischen Fitnessstudio mit Blick auf den Hafen von Monte Carlo, bolzte Kondition auf malerischen Küstenpfaden. Derzeit gibt es für ihn nun mal »keine freien Tage«, kommentierte der Niederländer bei Instagram.
Nie war Verstappen dem Titel näher als in diesem Jahr, und trotz des Verlustes der WM-Führung an Rekordweltmeister Lewis Hamilton darf der Herausforderer mit einem guten Gefühl in den Großen Preis der Türkei (Sonntag, 14 Uhr MESZ/Sky) gehen.
Auf der Red-Bull-Angststrecke von Sotschi hat Verstappen schließlich mehr als Schadensbegrenzung betrieben. Zweiter wurde er in Russland hinter dem nun 100-maligen Grand-Prix-Sieger Hamilton - nach einer Aufholjagd vom Ende des Feldes wegen des Austauschs sämtlicher Motorenkomponenten.
Hamilton würde dasselbe Schicksal ereilen, wenn Mercedes an seinem Wagen einen weiteren neuen Motor einbaut. Noch heißt es von Teamseite, man könne die Saison auch mit den bisherigen Antriebseinheiten zu Ende fahren - der hohen Laufleistung zum Trotz. »Wir gehen ein Rennwochenende nach dem anderen an, werden die Leistung der Antriebseinheiten neu bewerten und eine Entscheidung treffen«, sagte Mercedes-Sportchef Toto Wolff. Allerdings, merkte der Österreicher an, kann sich »niemand ein Null-Punkte-Wochenende leisten«. Einiges spricht also dafür, dass Mercedes ebenfalls die Kröte schlucken und seinen Nummer-eins-Fahrer von ganz hinten mit frischen Komponenten in ein Rennen schicken wird. »Und dann müssten wir ähnlich punkten wie Verstappen«, erklärte Wolff mit Nachdruck. Hamilton hat regelkonform seinen dritten neuen Motor Ende August in Belgien bekommen. Dass dieser bis zum Saisonende durchhält, ist eher unwahrscheinlich. Mercedes-Teamkollege Bottas erhielt wie auch Verstappen in Russland einen neuen Antrieb.
Für die Umsetzung dieses Notplans gäbe es schlechtere Orte als Istanbul, wo Hamilton im Vorjahr bei widrigsten Bedingungen in einer eigenen Liga fuhr und vorzeitig seinen siebten Titel perfekt machte. Das Wetter könnte in der Türkei auch am kommenden Wochenende eine gewichtige Rolle spielen.
Horner stichelt
Hamilton profitiert in der WM-Wertung nach wie vor entscheidend von seinem Sieg beim Heimrennen in Silver-stone und dem gleichzeitigen Ausscheiden Verstappens nach dem Zusammenstoß der beiden Platzhirsche. Nach Siegen nämlich führt Hamiltons junger Verfolger mit 7:5.
»Verstappen könnte von den Punkten her vorne sein. Das hilft ihm psychologisch sehr«, glaubt der ehemalige Formel-1-Fahrer Marc Surer. Dennoch, warf der Schweizer bei Sport1 ein, könne man »nicht sagen, wer Favorit ist«. Die Rennwagen seien mittlerweile auf Augenhöhe, »außerdem ist jetzt auch ein Crash-Potenzial da«.
Für Red-Bull-Teamchef Christian Horner ist sein Schützling trotz des Rückstands von zwei Punkten klar im Vorteil. »Max kämpft gegen den erfolgreichsten aller Formel-1-Fahrer, er ist erst 24 und hat noch so viele Jahre vor sich. Er genießt diese Herausforderung«, sagte der Brite und stichelte an die Adresse des 36-jährigen Hamilton: »Die Zeit steht für niemanden still. Lewis hat in seiner Karriere so viel erreicht und ist ein phänomenaler Champion - aber es kommt immer eine nächste Generation.«