Wie der Generationswechsel gelingt

Zwei exemplarische Beispiele aus dem Gießener Sportkreis machen Mut: Bei der FSG Bessingen/ Ettingshausen/Langsdorf und dem VfB Ruppertsburg hat sich eine ganze Schar neuer Führungskräfte gefunden, die unter 40 Jahren jung ist. Fünf Faktoren, die helfen, Ehrenamtler zu gewinnen.
Es gibt sie, die positiven Fälle im Sportkreis Gießen, in denen Dorfvereine eine regelrechte Flut an jungen, nachkommenden Ehrenamtlern produzieren - man muss nur hinschauen.
Der FSG Bessingen/Ettingshausen/Langsdorf ist es seit vergangenem Jahr gelungen, über ein halbes Dutzend junger Männer zwischen 20 und 40 Jahren in den Spielausschuss zu integrieren - der VfB Ruppertsburg wird seit Januar 2023 nicht nur von einem 33-Jährigen geführt, sondern hat auch noch zwei neue Abteilungsleiter unter 35 Jahren für sich gewonnen.
Ralph Theiss, 33 Jahre alt, ist Sportlicher Leiter der Dreier-FSG, und will diese in den kommenden Jahren gemeinsam mit einem starken Team »zu alter Stärke« führen.
Christopher Gruber, ebenfalls 33, hat den Vorsitz in Ruppertsburg übernommen und will einen modernen »VfB für die ganze Familie« kreieren.
Beide durchlaufen die zweijährige Ausbildung zum Vereinsmanager. Beide stehen für genau jene Form von Rückgrat und Weitblick, die in Sportvorständen derzeit vornehmlich in Kreisen jenseits der 60er-Grenze zu finden ist.
Sie stehen sinnbildlich für eine neue Entwicklung in ihren Dörfern - und erklären hier, welche Faktoren helfen können, einen zukunftsfähigen Weg einzuschlagen.
»Wir standen im Sommer 2022 am Sportplatz, Felix, Flo, Dewayne, Sebastian und ich, und sagten: ›Hier muss was passieren. Wir brauchen einen frischen Wind und junge Leute‹«, erklärt Ralph Theiss. »Wir haben dann erkannt: ›Gut, dann müssen wir es eben machen. Wenn wir zusammen arbeiten, wird das was.‹«
»Für mich«, sagt Christopher Gruber, »war im Grunde immer schon klar, dass ich hier mal erster Vorsitzender werde. Der VfB war schon immer eine Herzenssache für mich. Für mich ist es eine Bereicherung, mich kreativ einbringen zu können und das Dorfleben zu gestalten.«
Durch das Gespräch mit den beiden Führungskräften kristallisieren sich fünf Faktoren heraus, die helfen, verkrustete Strukturen aufzubrechen und Schritt für Schritt auch wieder junge Menschen für die Vereinsarbeit zu begeistern.
Sich trauen und Menschen aufwecken: »Wir sind offensiv auf Menschen zugegangen und haben sie direkt angesprochen, ob sie uns helfen wollen«, erklärt Ralph Theiss von der FSG Bessingen/Ettingshausen/Langsdorf. So entwickelte sich ein Kern von rund zehn Personen, die nun gemeinsam Verantwortung übernehmen. Theiss betont: »Ich bin nur einer von vielen bei der FSG, die sehr engagiert sind. Die ersten, die vorgehen, können andere mitziehen. Und plötzlich wollen mehrere ein Teil davon sein.«
Hartnäckig geblieben sei man bei der Gewinnung des neuen Cheftrainers ab der kommenden Saison, Oliver Bopp. »Nach drei Telefonaten hat er sich bereit erklärt, zum Gespräch zu kommen. Gemeinsam haben wir uns dann für professionellere Strukturen entschieden: Einheitliche Trainingskleidung, immer ein Vorstandsmitglied als Ansprechpartner im Training, langfristige Ziele.«
Aktiv werden und eine Dynamik kreieren, das schwebt auch Christopher Gruber beim VfB Ruppertsburg vor. Erstmals seit über einem Jahrzehnt wurde Anfang Januar wieder ein gesamter Vorstand besetzt. »Wir müssen uns trauen, rauszugehen und die Menschen ansprechen. Wenn wir unser VfB-aktuell-Magazin dreimal jährlich austeilen, wollen wir nun an jedem Haus klingeln und nachfragen: ›Was wünscht ihr euch? Und habt ihr Lust, euch dabei zu beteiligen?‹ Mein Vater hat mir versichert: Dass zur Jahreshauptversammlung jemand plötzlich erscheint und sich wählen lässt, das ist in 40 Jahren noch nicht vorgekommen. Man muss aktiv sein.«
Aufgaben verteilen und im Team arbeiten: Ein Wesensmerkmal der Beispiele: Die Verantwortung wird auf viele Schultern verteilt. Gruber: »Helfen und gestalten macht in der Gruppe Spaß. Man darf da keine harte Schiene fahren, sondern muss sensibel rangehen und abtasten, wie viele Aufgaben jemand übernehmen möchte. Wenn du jemanden überlastest und die Person aufhört, bleibt umso mehr an dir hängen.«
Theiss sieht in der Zukunft vor allem die Verbände in der Verantwortung: »Die Optionen für junge Menschen sind eben vielfältiger geworden. Gerade nach dem Job nehmen sich die Leute gerne ihre private Zeit für sich. Der Amateurfußball muss attraktiver gestaltet und gestrafft werden. Die Ligen müssen verkleinert werden. Wenn es weniger Aufwand für Betreuer, Spielausschuss und Spieler selbst gibt, fällt es leichter, Ja zu sagen. Im anderen Fall verlieren wir umso mehr.«
Miteinander sprechen und Verständnis schaffen: Beide Führungskräfte sind sich einig darin: Die Lösung liegt im Austausch. »Die größte Chance in unserer digitalisierten Welt liegt darin, Menschen zusammenzuführen. Sich zu sehen und nicht nur zu schreiben«, sagt Theiss.
Gruber: »Unsere heutige Gesellschaft schreibt ja gerne viel... Meine Erfahrung: Fünf Minuten telefonieren oder sich direkt austauschen hilft mehr, als sich zwei Tage mit vielen Emotijs zu schreiben...«
Der Grundtenor: Back to basic verbunden mit Neuem. Am Karfreitag versammelte sich der VfB-Vorstand samt Familienangehörigen zur Wanderung Richtung Nonnenroth. Ziel: Das Restaurant Amigo Mijo. Der neue erste Vorsitzende nutzte die Zeit, um mit nahezu jedem Vorstandsmitglied zu sprechen, seine Mitstreiter zu verstehen und Herausforderungen zu erkennen.
»Gleichzeitig müssen wir die neuen Kanäle nutzen und offen sein. Wir müssen die Möglichkeiten von Förderanträgen wahrnehmen. Wir haben zum Beispiel eine schöne Halle, aber da gibt es keine Fußballtore oder Basketballkörbe. Da muss etwas passieren, damit die Kinder mal wieder an den Ball rankommen. Wenn ich gelegentlich Kinder mit einem Fußball auf dem Gepäckträger Richtung Sportplatz fahren sehe, freue ich mich so sehr. Weil das so selten geworden ist!«
Vereine beziehen Menschen ein und ermöglichen Begegnung - sie dürfen ihre Vorteile selbstbewusster nach außen tragen
Die Vorteile aufzeigen und Verbundenheit schaffen: Der Vereinssport hat viel zu bieten - wer in seinem Dorf lebt, möchte in aller Regel auch eingebettet sein. Was hilft dabei mehr als ein Verein mit Begegnung und dem Gefühl des Involviertseins? Vereine dürfen ihre Vorzüge selbstbewusster nach außen tragen.
Theiss: »Du bekommst Emotionen, die gibt es auf der Couch so nicht.« Gruber: »Ich habe das Gefühl, dass wir insgesamt etwas fauler werden. Viele ziehen sich zurück.« Die Frage: Macht das glücklich? Oder dürfen Vereine für sich beanspruchen, die Menschen wieder mehr zu ihrem Glück zu drängen?
Gruber: »Ich habe zwischenzeitlich in Stuttgart und Siegen gelebt. Aber für mich war immer klar: Ich kehre zurück nach Ruppertsburg, baue hier ein Haus, pflanze einen Baum und gründe eine Familie. Ich habe so viele wunderbare Erinnerungen an diesen Ort und verbinde viel damit. Das könnte mir kein anderer Ort geben. Wenn ich meinen Nachbarn kenne und den Postboten grüßen kann, hat das einen Wert für mich. Dabei einen Beitrag zu leisten für die Menschen im Dorf, das motiviert mich.«
Theiss: »Ich liebe diese soziale Komponente, etwas Gemeinsames aufzubauen. Ich bin mit dem Fußball aufgewachsen und es so gewohnt, unter Menschen zu sein. Der Fußball hat mich zum Teamplayer gemacht. Er hat dafür gesorgt, dass ich die Zeit mit den Menschen genieße.«
Neue Wege gehen und Chancen erkennen: Das Angebot erweitern, offen für Entwicklungen sein und Erfahrungen austauschen - das zählt für die Zukunft. Gruber: »Du kannst dich als Verein nicht mehr nur noch auf dem Fußball ausruhen. Wir müssen uns auch mit Dingen wie dem Kinderturnen, einem breiteren Angebot und neuen Möglichkeiten beschäftigen. Dann können auch Synergieeffekte entstehen.«
Theiss: »Teenager von heute leben oft virtuell. Ja, es ist für manche schwer vorstellbar, aber eine E-Sports-Abteilung im Amateurfußball zu integrieren, kann eine Option sein. Du kannst Mitglieder gewinnen und das Vereinsleben so aufrechterhalten.«
Beide wünschen sich einen regen Austausch unter Kollegen und im Sport- bzw. Fußballkreis. Gruber erklärt abschließend: »Im Dialog zu erkennen: ›Wo kann es besser laufen? Wo können wir neue Projekte anstoßen?‹ Da habe ich richtig Bock drauf!«
