Tiefe Finsternis

Der Bundesliga-Restart der HSG Wetzlar gleicht einer Bankrotterklärung. Das 24:31-Desaster gegen TSV Hannover-Burgdorf wirft Fragen nach der Erstliga-Tauglichkeit auf.
Den Einstieg ins neue Jahr hat die HSG Wetzlar in der Handball-Bundesliga gründlich vermasselt. Nach einer grauenhaften Vorstellung unterlag die Mannschaft von Trainer Hrvoje Horvat der TSV Hannover-Burgdorf mit 24:31 (12:16). »Wir müssen abgezockter, cleverer und geduldiger spielen. Das war kein gutes Spiel von uns«, resümierte der neue Coach. Die ›Mission Klassenerhalt‹ wird für die Lahnstädter zunehmend zum Nervenspiel.
»Au weia!« müssen sich die Fans der HSG zur Pause gedacht haben. Denn was die Wetzlarer Profis zeitweise ablieferten, war erschreckend. In der Abwehr zu nett, im Angriff mit zu vielen technischen Fehlern und Fehlwürfen.
Ganz anders der Gegner aus Hannover. Hinten mit einer offensiv ausgerichteten Defensive, in der die Halbspieler permanent auf den Gegner rausgingen und die Passwege zuschoben. Konzentriert im Tempospiel nach vorn und vor allem schneller auf den Beinen und im Kopf als die Grün-Weißen.
Erfreulich auf Seiten der HSG, dass der lange verletzte Stefan Cavor deutlich besser ins Spiel fand als noch in Flensburg. Er steuerte vier Treffer in der ersten Halbzeit bei. So blieb die Partie bis zum 5:5 (9.) von Lenny Rubin ausgeglichen, vor allem auch, weil Till Klimpke im Wetzlarer Tor bis dahin schon vier Bälle entschärft hatte.
In der Folge kam jedoch auch sein Gegenüber Dario Quenstedt besser ins Spiel - oder wurde von den Wetzlarern warmgeworfen. Wie man es nimmt. Dazu kamen ein zu fester Aufsetzer von Adam Nyfjäll sowie zwei vergebene Würfe von Erik Schmidt und schon hatte Hannovers Marius Steinhauser auf 8:5 (13.) vorgelegt.
Die sofort von HSG-Trainer genommene Auszeit verpuffte. Hannover machte unbeeindruckt weiter und erhöhte durch Steinhauser per Doppelpack auf 10:5. Nach einer guten Viertelstunde stellte Horvat die Deckung um, agierte mit einer 5:1-Formation mit Emil Mellegard auf der vorgezogenen Position. So richtig greifen wollte auch diese nicht. Und selbst wenn, machte sich Wetzlar im Angriff zu viel wieder kaputt. »Wir haben in der ersten Halbzeit zu viele klare Chancen vergeben«, bemängelte Horvat. »Dadurch waren wir verunsichert. In der Abwehr lief es nicht so, wie wir uns das gewünscht haben. Wenn du so nervös bist, passieren Fehler, wie wir sie heute gemacht haben.«
Selbst die erste Welle in Überzahl, Evgeni Pevnov lag nach einem Fehlwurf zudem noch im Wetzlarer Kreis, musste die HSG abbrechen. Es fehlten klare Konzepte und strukturiertes Spiel nach vorne. Da konnte sich Wetzlar bei der TSV einiges abschauen. Nicht nur der Rückzug klappte bei den Recken hervorragend. Auch im Angriffsspiel griff ein Rädchen ins andere. Immer wieder zogen sie die Wetzlarer Abwehr auseinander oder räumten auf die Außenpositionen ab.
»Wir wollten taktisch bei diesem für uns speziellen Gegner am Optimum spielen«, erklärte TSV-Coach Christian Prokop. »Wir haben eine fantastische Abwehrarbeit gezeigt und hatten mit Dario einen sehr guten Torhüter. Das gab uns Sicherheit, wir kamen ins Tempospiel und konnten uns einen Vorsprung erarbeiten.«
Nach der Pause schien sich die HSG Wetzlar zunächst gefangen zu haben. Domen Novak verkürzte auf 14:16, doch diese Phase war schnell wieder Geschichte. Wetzlar scheiterte weiter an den eigenen Nerven, Hannover bestrafte die Fehler gnadenlos. Selbst ein Sechs-zu-vier-Überzahlspiel konnte die HSG nicht für sich nutzen.
Standhandball plus eine offensiv heraustretende Hannoveraner Abwehr bedeuteten zu oft Ballverlust von Wetzlar. Dazu gesellten sich weitere Fehlwürfe. »Das war für mich eines meiner besten Spiele im Recken-Trikot«, meinte Quenstedt. »Christian Prokop arbeitete mit viel Video-Vorbereitung, die sich heute ausgezahlt hat. Die Symbiose zwischen Abwehr und Torhüter hat gut funktioniert.« 13 Paraden steuerte der TSV-Keeper zum 31:24-Erfolg der Gäste bei.
Gut zehn Minuten vor Schluss ging Horvat im Angriff mit dem Spiel Sieben-gegen-Sechs all in. Die beweglichen und vor allem zupackenden Hannoveraner ließen sich auch davon kaum beeindrucken. Im Gegenzug stellten sie die HSG-Abwehr, die wie ein löcheriger Käse daherkam, ein ums andere bloß. Bereits jetzt verließen so viele Zuschauer wie selten die Arena. Die, die da blieben, begleiteten die letzten Minuten ihres Teams zunehmend mit Pfiffen und selbst die Trommler taten sich schwer, Stimmung zu verbreiten. Zum Ende hin spielte Hannover-Burgdorf seine Angriffe lang und geduldig herunter und legte beim 31:24 auch leistungsmäßig die richtige Ergebnis-Distanz zu den enttäuschten und enttäuschenden Gastgebern.
Mit dem Schlusspfiff sprang das Publikum nahezu im Kollektiv auf, um die Stätte des Grauens schnellstens zu verlassen. Raus aus der tiefen Handball-Finsternis, selbst wenn draußen vor der Arena auch Dunkelheit herrschte.
HSG Wetzlar: Klimpke, Suljakovic; Nyfjäll, Schmidt (1), Ole Klimpke, Nikolic (2), Becher (1), Weissgerber, Schelker (2), Fredriksen (1), Wagner, Mellegard, Cepic, Rubin (6), Novak (5/3), Cavor (6).
TSV Hannover-Burgdorf: Ebner, Quenstedt; Vujovic (3), Mävers (1), Juric, Pevnov (5), Steinhauser (9/1), Michalczik, Kulesh (1), Gerbl, Hanne (3), Brozovic, Feise (1), Ayar (1), Büchner (6).
Im Stenogramm / Schiedsrichter: Baumgart/Wild (Neuried/Offenburg). - Zuschauer: 3347. - Zeitstrafen: 4:10 Minuten. - Siebenmeter: 3/3:3/1.
