Thema Europa nicht gutgetan

Der Vorhang ist gefallen. Die HSG Wetzlar beendet die Bundesliga-Spielzeit als Tabellensiebter. Der Abschied von gleich acht Handballprofis bildet den emotionalen Abschluss.
Sie haben es zum Abschluss der Saison noch einmal spannend gemacht, die Handballer der HSG Wetzlar. Beim Bundesliga-Kehraus der Saison 2021/2022 stand am Ende zwar ein 30:28-Erfolg gegen GWD Minden zu Buche, doch so richtig zufrieden war niemand mit dem Spielverlauf.
Doch Siege lassen vieles vergessen - die emotionale Verabschiedung von acht Spielern erst recht. Sechs von ihnen durften ihre letzten Sekunden für die HSG, zwei sogar die letzten ihrer Karriere, auf dem Feld genießen. Dafür nahm Trainer Benjamin Matschke extra eine Auszeit, entschuldigte sich beim Gegner und schickte Gennadij Komok, Felix Danner, Ivan Srsen, Olle Forsell Schefvert, Filip Mirkulovski und Maximilian Holst auf die Platte. Die Mindener Spieler standen nach Wiederanpfiff artig Spalier, während sich die Grün-Weißen, ohne Druck aufs Tor, den Ball zuspielten und nach dem Abpfiff in den Armen lagen.
Im Anschluss konnte man die Emotionen in der Halle fast greifen. Die Spieler tigerten vor der eigenen Verabschiedung zum Teil unruhig im Eingangstunnel herum. Es war deutlich zu sehen, wie Nahe die Zeremonie Schefvert, Mirkulovski und vor allem Holst ging, der lange in sich gekehrt auf dem Boden saß.
Für Patrick Gempp gehen zwei Jahre zu Ende, in denen er mehr Zeit in der Reha als auf dem Handballfeld verbracht hat. »Es gehört zum Sport dazu, dass man sich verletzt«, sagte der Kreisläufer. »Ich bin sehr froh, im Team, aber auch außerhalb viele Freunde gefunden zu haben. Es war eine sehr anstrengende Zeit durch die harte Arbeit nach Verletzungen, auf die ich aber glücklich zurückschauen werde.« Auf seine sportliche Zukunft angesprochen, schmunzelte der 25-jährige: »Es wird zeitnah Neuigkeiten geben. Ich werde wahrscheinlich in der 2. Liga neu angreifen, viel Spielzeit, viel Verantwortung übernehmen können. Darauf freue ich mich. Ich sehe das als neue Chance und bin bei Vorbereitungsstart wieder fit.«
Für Ivan Srsen geht es wieder zurück in die Heimat. Der Kroate heuert bei seinem Ex-Verein RK NEXE Našice an und erhofft sich dort wieder mehr Spielzeit. Die war ihm in Wetzlar, aufgrund der Position hinte Stefan Cavor, nur selten vergönnt. »›Caki‹ ist ein sehr guter Spieler und wir waren Konkurrenten in einem gesunden Wettbewerb. Wir haben einander unterstützt und sind gute Freunde geworden. Seine Verletzung tut mir sehr leid.«
Wie für viele Spieler war auch für Srsen die Bundesliga ein Kindheitstraum. »Ich bin sehr dankbar und habe viel gelernt in Wetzlar. Ich wollte vom ersten Tag meiner Karriere probieren, Bundesliga zu spielen. Das habe ich geschafft, deswegen bin ich zufrieden. Ich werde diese geile Mannschaft und die geilen Fans vermissen.« Trotz seiner Erfahrungen in der Champions-League sagt der 29-Jährige über die Bundesliga: »Die Bundesliga ist etwas Besonderes, wegen der Atmosphäre, der Fans. Darum haben wir vielleicht gegen Kiel zu Hause gewonnen. Die Liga ist sehr ausgeglichen, alles kann passieren, das ist das Schöne. Die Hallen sind voll, deshalb ist die Bundesliga die stärkste der Welt.«
Den Fans dankt er vor allem für die Unterstützung der Mannschaft, wenn sie sie eigentlich nicht verdient hatte. »Das ist sehr wichtig. Es ist einfach, die Mannschaft zu unterstützen, wenn sie es verdient. Aber große, so richtige Fans unterstützen ihre Mannschaft auch, wenn sie es nicht verdient, dafür bin ich sehr dankbar.«
Für Felix Danner war vor allem die Nähe zur Heimat ausschlaggebend für den Wechsel zur HBW Balingen/Weilstetten. Der gebürtige Freiburger freut sich auf leuchtende Kinderaugen und glückliche Großeltern, die dann öfter zusammenkommen können. »Dieses eine Jahr war sehr wertvoll für mich. Ich hatte im November tatsächlich darüber nachgedacht, meine Karriere zu beenden. Nicht aufgrund von Leistung, sondern weil es mir einfach in den Kopf kam. Aber die Vorrunde war dann so geil, dass ich gesagt habe: Es macht doch noch richtig Spaß. Und ich habe gemerkt, dass ich noch das Zeug dazu habe, einer Mannschaft weiterzuhelfen. Die Frage war dann nur, wo möchte ich die Karriere fortsetzen. Nach Gesprächen mit mehreren Vereinen, war Balingen eine Familienentscheidung.«
Auf den Saisonverlauf angesprochen, hat Danner das Gefühl, dass das Thema Europa die Mannschaft gebremst haben könnte. »Das ganze Thema hat uns nicht so gutgetan. Wir haben zwar immer gesagt, wir wollen uns keinen Druck machen. Letztendlich hast du das aber immer im Hinterkopf: Wir müssen gewinnen, wir müssen Platz 6 sichern, wir müssen angreifen. Dann kamen die Zuschauer zurück und es kam der Gedanke: Du musst dem Spektakel dienen, was wir ja teilweise in der Vorrunde gemacht haben. Das sind dann vielleicht Punkte, wo für manche der Druck zu groß ist. Weil man es extra gut machen will und es nicht funktioniert.«
Was bleibt von dieser Saison? Im Jahr 2021 gab es elf Wetzlarer Siege, darunter wieder einer gegen Kiel, ein Unentschieden und sechs Niederlagen. In diesem Jahr ging es mit einem Unentschieden gegen Flensburg los. Es kam noch eins in Stuttgart hinzu, fünf Siege und neun Niederlagen. Die 35:33 Punkte, 932 Tore und 910 Gegentore bedeuten Platz 7 in der Abschlusstabelle.
Bei den Zuschauerzahlen dürften sich vor allem die Verantwortlichen auf der Geschäftsstelle die Haare raufen. Konnte man vor Corona-Zeiten noch häufig 4421 Zuschauer begrüßen und die Meldung »Ausverkauft« verkünden, lag der Schnitt in dieser Runde bei 2492 Fans. Damit liegt man im Ligaranking auf Platz 13, mit insgesamt 42 366 Zuschauern und einer 56,37-prozentigen Auslastung.
Es war ein Jahr mit Höhen und Tiefen. »Wir sind in der Hinrunde auf einer Erfolgswelle geritten«, zog Danner ein Saisonfazit. »Dann bist du im Flow und es läuft einfach. In der Rückrunde hatten wir viele Unterbrechungen zwischen den Spielen, weshalb du keinen richtigen Rhythmus reingekriegt hast. Das hat uns wahrscheinlich den Flow gekostet. Spielerisch habe ich das Gefühl, dass uns in der Rückrunde die einfachen Tore gefehlt haben. Das tut weh.«