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Mit Vernunft in die Zukunft

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Die sportliche Verantwortung als Trainer der neu gegründeten SG Appenrod/Maulbach/Gemünden trägt Rene Decher (l.), der in der letzten Saison Coach des TSV Burg-/Nieder-Gemünden war. © Oliver Vogler

Rund 200 Menschen leben in Appenrod, 400 in Maulbach. In den beiden Dörfern werden Traditionen gelebt. Nicht einmal drei Kilometer trennen die Homberger Stadtteile voneinander, wo die SGV Appenrod und KSG Maulbach bereits seit mehr als 30 Jahren gemeinsame Sache machen und gemeinsam Fußball spielen. Zur kommenden Saison beginnt eine neue Ära. Denn die beiden Vereine schließen sich mit dem Turn- und Sportverein aus dem benachbarten Burg/Nieder-Gemünden zusammen.

Im Verbund werden sie als SG Appenrod/Maulbach/Gemünden in der Kreisliga A Alsfeld antreten - als eine von über einem Dutzend Spielgemeinschaften.

Die Beweggründe sind überall ähnlich: Nachlassendes ehrenamtliches Engagement, aber vor allem zu wenige Spieler in den Stammvereinen. Das liegt nicht nur am demografischen Wandel, an einer immer älter werdenden Gesellschaft, was besonders ländliche Regionen vor große Probleme stellt.

Frank Heller kennt die Strukturen und Herausforderungen der heimischen Sportvereine. Seit vielen Jahrzehnten ist der Ur-Homberger Mitglied beim SV Nieder-Ofleiden, übernahm bereits mit 16 Jahren sein erstes Amt und engagiert sich heute insbesondere im Nachwuchsbereich. Seit einigen Jahren fungiert Heller überdies als Alsfelder Kreisfußballwart. Er sagt: »Das Freizeitverhalten hat sich stark verändert. Viele junge Leute wollen nicht mehr jedes Wochenende auf dem Fußballplatz stehen.« Und er schiebt nach: »Es gibt immer mehr Spieler, deren Oma mindestens zehnmal pro Jahr 90. Geburtstag feiert.« Als er jung war, war die Identifikation viel größer - und die meisten Vereine nahmen mit eigenen Mannschaften am Spielbetrieb teil. Heute ist das die Ausnahme. Nicht nur im Fußballkreis Alsfeld, wo nur noch fünf von insgesamt 48 Vereinen alleine unterwegs sind.

Die Bildung von Zweckbündnissen wegen Spielermangel ist nicht nur, aber vor allem ein ländliches Phänomen. Diese Erfahrung hat auch der Hessische Fußball-Verband (HFV) gemacht. »Im ländlichen Raum gibt es in der Regel genügend Sportplätze, aber zunehmend weniger Aktive«, erläutert Verbandsfußballwart Thorsten Bastian. »In der Stadt ist es umgekehrt: Dort gibt es häufig das Problem, dass zu wenig Sportplätze vorhanden sind.«

Zu wenige Spieler für die zweite Mannschaft

Der TSV Burg/Nieder-Gemünden hat sich den Schritt Richtung Spielgemeinschaft nicht leicht gemacht. Doch bei nüchterner Betrachtung des Status quo sei es die logische Konsequenz gewesen, erklärt Manfred Stöhr, der die Fußballabteilung des Vereins leitet. »Wir planen schon immer langfristig und schauen, welche Entwicklung sich für die nächsten Jahre abzeichnet«, sagt Stöhr und ergänzt: »Nach und nach hören die Spieler aus unseren starken Jahrgängen auf. Leider haben wir immer weniger Spieler im Fußballeralter und hätten deshalb mittelfristig große Probleme bekommen.« Nachlassendes ehrenamtliches Engagement sei hingegen nicht ausschlaggebend gewesen. »Diese Lücken konnten wir immer wieder schließen«, betont Tobias Reitz, der erste Vorsitzende des TSV Burg/Nieder-Gemünden. Ein Spielermangel machte sich in der vergangenen Spielzeit in der zweiten Mannschaft bemerkbar. Mehrfach musste sie mit einer Rumpftruppe auskommen, Anfang Mai wurde der Spielbetrieb schließlich eingestellt. Nicht besser gestaltete sich die Lage bei der SG Appenrod/Maulbach, die ihre zweite Mannschaft ebenfalls zurückziehen musste. Die Corona-Pandemie hatte den Abwärtstrend beschleunigt, viele Spieler hatten sich während des langen Lockdowns neuen Hobbys gewidmet.

Rund ein Drittel der Spieler im Fußballkreis Alsfeld könnte künftig nur noch sporadisch auf dem Platz stehen, nicht mehr als sechs Spiele pro Saison bestreiten, befürchtet Heller und bezieht sich bei dieser Einschätzung auf eine landesweite Studie des HFV. Diese Entwicklung stellt gerade kleinere Vereine vor existenzielle Probleme. »Eine weitere Saison hätten wir noch durchgehalten, dann wäre Schluss gewesen«, sagt Jens Schönhals, der erste Vorsitzende der SG Appenrod/Maulbach. Dass er früh die Weichen für die Zukunft stellen konnte, freut ihn freilich: »Zwei gut geführte Vereine mit drei Fußballplätzen machen gemeinsame Sache - das ist klasse. Mit einer A- und einer B-Liga-Mannschaft geben wir vielen Spielern aus der Region die Chance, regelmäßig in Konkurrenz zu spielen.«

Die Vereinsfunktionäre betonen unisono, dass mit der neuen Spielgemeinschaft keine kurzfristigen Ziele verbunden sind. »Wir haben das nicht gemacht, um übernächste Saison in der Kreisoberliga zu spielen«, unterstreicht Schönhals. »Uns geht es vor allem darum, langfristig den Fußball in der Region zu sichern.« Doch wie lange dieser Status quo anhält, ist derzeit schwer vorhersehbar. Sicher ist aber: Der demografische Wandel wird weiter voranschreiten. »Die Entwicklung ist beängstigend«, macht sich Stöhr keine Illusionen. »Zumindest für die nächsten fünf Jahre sollten wir Ruhe haben«, hofft Reitz.

Der Zusammenschluss war zügig besiegelt. Die Trikotfrage war schnell geklärt, auch ein neues Logo gibt es. »Wir haben konstruktiv und zielgerichtet zusammengearbeitet und alle notwendigen Schritte schnell in die Wege geleitet«, freut sich Reitz. Bereits vor über einem Jahr habe er sich intern über die Zukunft des TSV Burg/Nieder-Gemünden ausgetauscht. Der Tenor: Um eine Spielgemeinschaft wird der Verein mittelfristig nicht herumkommen - und die SG Appenrod/Maulbach ist »der sinnvollste Partner«.

Zusammenarbeit auch im Jugendbereich

Im Herbst 2021 folgten erste Gespräche zwischen den Vereinen, schnell lagen sie auf der gleichen Wellenlänge. »Wir sind gleichberechtigte Partner. Deshalb konnte ich den Schritt unseren Mitgliedern leicht vermitteln«, erzählt Schönhals. Es habe nur wenig Kritik gegeben. Die Vereine beteiligen sich jeweils mit einer gleich hohen Einlage an einer gemeinsamen Kasse, die für alle laufenden Kosten genutzt wird. Gespielt und trainiert wird auf allen drei Plätzen - allerdings nicht in einem festgelegten Wechsel, um flexibel auf Witterungsverhältnisse reagieren zu können.

Dass es deshalb Probleme geben wird, befürchtet niemand. »Wir werden das untereinander regeln«, sagt Schönhals. Die Vereine kennen und schätzen sich, kooperieren künftig auch im Jugendbereich. Die SGV Appenrod und KSG Maulbach gehören schon länger dem JFV Ohmtal an. Ab der neuen Saison wird auch der TSV Burg/Nieder-Gemünden Teil des Jugendfördervereins sein - wie viele weitere Vereine aus der Region. In einigen Jahren will man von dieser Verzahnung profitieren, vielleicht den einen oder anderen gut ausgebildeten Spieler halten. »Bislang«, merkt Schönhals an, »ist aber leider noch kein Talent nach seiner Juniorenzeit bei uns gelandet.«

Identifikation mit Stammvereinen nimmt ab

Frank Heller ist erster Vorsitzender des Jugendfördervereins, der vor rund zehn Jahren aus der Taufe gehoben wurde. Dessen Entwicklung hat der Funktionär mit viel Engagement vorangetrieben, weil er Jugendlichen aus der Region bessere Perspektiven vor Ort bietet. Heller weiß aber auch um die Probleme, die Zusammenschlüsse von Vereinen zur Folge haben können. »Die Kehrseite ist, dass die Identifikation der Mitglieder mit den Stammvereinen immer weiter abnimmt. Hinzu kommt, dass die Bindung an eine Spielgemeinschaft generell eher gering ist«, meint Heller und fügt hinzu: »Dass ehrenamtliche Posten nicht mehr besetzt werden können, hängt auch mit dieser Entwicklung zusammen, die aber nicht gestoppt werden kann.« Dass Vereine im Vogelsbergkreis bald flächendeckend fusionieren könnten, hält der Kreisfußballwart hingegen für unwahrscheinlich. Dafür, betont Heller, spielten Traditionen und Rivalitäten eine zu große Rolle. Zudem seien viele Vereine strukturell und im Hinblick auf ihr Angebot sehr unterschiedlich aufgestellt, was einer Fusionswelle im Wege stehe. »Ich kann mir durchaus vorstellen, dass aus Fußballabteilungen verstärkt neue Vereine entstehen könnten. Die Stammvereine wird es aber weiterhin geben«, ist sich Heller sicher.

In Appenrod, Maulbach und Gemünden freut man sich auf die neue Saison und auf die Zusammenarbeit, sie hoffen auf Synergieeffekte und gemeinsame Fußballfeste. Nur eines will niemand: eine Fusion. »Die Stammvereine müssen die Anlaufstellen vor Ort bleiben«, stellt Reitz klar. Und seine Mitstreiter nicken.

DANIEL SEEHUBER/LSBH

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