Kampf gegen den Trend

Viele der sogenannten Randsportarten kämpfen nicht erst seit dem Beginn der Coronavirus-Pandemie gegen den Rückgang bei Mitgliedern, Aktiven und Mannschaften. Für den Tischtennissport ist der Hessische Tischtennis- Verband in zentraler Position - und der einzige Sportverband Hessens, der seinen Sitz im Landkreis Gießen hat.
Während viele Sportverbände in Hessen es sich in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise, in direkter Nachbarschaft zum Landessportbund Hessen (lsb h), gemütlich gemacht haben, sitzt die Zentrale von Hessens Tischtennisspielern in Pohlheim - und ist damit ein Unikum im Landkreis Gießen. »Hier laufen die Drähte zusammen«, sagt Dennis Erbe, einer von drei Mitarbeitern der Geschäftsstelle und gleichzeitig Vizepräsident Öffentlichkeitsarbeit beim Hessischen Tischtennis-Verband (HTTV). Mit zweieinhalb Stellen werden aus der Gießener Nachbarstadt die 23 Kreise und vier Bezirke gemanagt, außerdem gehört der Bundesstützpunkt in Frankfurt mit zehn Angestellten zum Beritt.
Die Aufgaben sind vielfältig: Von der Organisation des Spielbetriebs über die Planung von Kaderaktivitäten und die Verwaltung der Finanzen bis hin zur Publikation des monatlich erscheinenden Magazins »Plopp« - der 41-Jährige und seine Kollegen sind gut ausgelastet, auch weil lediglich die Geschäftsstelle hauptamtlich betrieben wird, alle HTTV-Vorstandsmitglieder arbeiten ehrenamtlich.
Dabei sind die Herausforderungen durch die Coronavirus-Pandemie nicht kleiner geworden: Rund 20 Prozent der Spieler im Nachwuchsbereich sind weggebrochen, bei den Erwachsenen sind es acht (Damen) bzw. vier Prozent (Herren). Der Trend ist ohnehin schon seit Jahren rückläufig: »Da sind wir nicht die einzige Sportart«, sagt Erbe. »Und auch wenn wir versuchen, massiv gegenzusteuern, ist der Trend bislang nicht aufzuhalten.« Der Grund: mehr Freizeitangebote als früher, weniger geburtenstarke Jahrgänge und schlicht eine veränderte Interessenlage in Zusammenhang mit dem Wunsch nach weniger Verbindlichkeit, wenn es um feste Trainingszeiten und Spieltermine geht. »Es ist ein Wandel in unserer Gesellschaft«, sagt Erbe, der selbst seit über 30 Jahren dem kleinen weißen Ball nachjagt.
Ehrenamtliche werden weniger
Ein weiteres Problem: Auch die Ehrenamtlichen, die den Nachwuchs trainieren oder in einem Verein Verantwortung übernehmen, »werden definitiv weniger«, sagt Erbe. »Diese Leute braucht man aber, denn sie sind eine Bezugsperson. Und wenn sie dann noch verstehen, den Sport gut zu gestalten, ist Tischtennis weiterhin hochattraktiv.« Genau hier will der Verband ansetzen. »Wir müssen den Vereinen etwas an die Hand geben«, sagt Erbe, deshalb beteilige sich der HTTV auch an entsprechenden Projekten des lsb h. Aber: »Die Vereine müssen die Hilfe auch wollen, und auch untereinander das Konkurrenzdenken ablegen, um insgesamt etwas für den Sport zu tun.« Denn, das habe man gerade in der Corona-Krise gemerkt: »Jede Form von Bewegung tut gut - Kindern, Erwachsenen und Senioren.«
Genau vor diesem Hintergrund biete Tischtennis eine Vielzahl von Vorteilen: »Tischtennis kann in fast jedem Alter gespielt werden und ist nach wie vor ein sehr günstiger Sport«, sagt Erbe. Aber: »Man muss die entsprechenden Zielgruppen ansprechen. Hier sind die Vereine in der Pflicht.« Allerdings mangele es aus historischen Gründen an ausreichend Trainern, schließlich werde im Tischtennis meist nur der Nachwuchs trainiert. Besonders hierbei müsse nachgesteuert werden - eventuell auch durch zusätzliche Sponsoreneinnahmen oder eine Anhebung der Mitgliedsbeiträge, um die Übungsleiter auch entsprechend entlohnen zu können. »Man kann nicht aus dem billigsten Angebot den maximalen Erfolg haben wollen«, sagt Erbe. Ebenfalls hilfreich wäre ein mediales Zugpferd. Das war lange und ist immer noch Timo Boll, auch wenn er mittlerweile über 40 Jahre alt ist und auch nicht dafür bekannt ist, »eine Rampensau« zu sein - ähnlich wie Dimitrij Ovtcharov, der aktuell beste deutsche Spieler.
Umdenken gefordert
Und so nimmt nicht nur die Zahl der Tischtennisspieler seit Jahren ab, sondern mit ihnen auch ein Stück weit das Niveau im Amateurbereich, aber »die Ausbildung zu einem Top-Spieler ist in Deutschland immer noch möglich«, sagt Erbe. Gleichwohl schlafe die Konkurrenz in anderen Ländern nicht. »Man sieht schon sehr genau, dass es noch besser funktioniert, wenn mehr Fördergelder fließen«, sagt Erbe. Seine Kritik: »Wir müssen mehr für den Breitensport tun.« Er wünsche sich ein langfristiges Umdenken in den Spitzenverbänden, um aus einer größeren Breite eine bessere Spitze herauszubekommen. Das betreffe den Bereich Aus- und Weiterbildung von Trainern, aber auch die Situation in den Sporthallen, besonders in den Schulen. »Hier ist in vielen Kommunen über Jahrzehnte versäumt worden, die Infrastruktur zu erneuern. Bei manchen Hallen frage ich mich, wie man hier jemanden zum Sport bewegen will.« Der Sport habe insgesamt an Bedeutung verloren, was man auch in den Schulen sehe. Erbe: »Das ist das erste Fach, was ausfällt oder fachfremd vertreten wird.«
Dennoch ist hier vielleicht genau der Ansatz für die Zukunft: Vereine könnten Trainer in die Schulen schicken, und so nicht nur einen Teil zum Nachmittagsunterricht beitragen, sondern auch ihren eigenen Nachwuchs generieren. »Das wird das Zukunftmodell sein«, ist sich Erbe sicher. Aber: »Momentan stellt sich allerdings die Frage, wer das leisten kann.« FOTO: PV
