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»Ich kann von einem Fisch nicht verlangen, dass er springt«

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Von: Ralf Waldschmidt

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Hrvoje Horvat will als Trainer-Nachfolger von Benjamin Matschke mit der HSG Wetzlar im 25. Jubiläumsjahr die Bundesliga erhalten. © Imago Sportfotodienst GmbH

Hrvoje Horvat ist seit gut zwei Monaten der neue Trainer der HSG Wetzlar. Mit der Heimpartie am Donnerstag gegen die TSV Hannover-Burgdorf beginnt für den 45-Jährigen mit dem Handball-Bundesligisten der Kampf gegen den Erstliga-Abstieg.

Am Donnerstagabend um 19.05 Uhr beginnt für Hrvoje Horvat als neuer Trainer der HSG Wetzlar die ›Mission Klassenerhalt‹ in der Handball-Bundesliga. Im Interview erklärt er nach ersten Bundesliga-Eindrücken und turbulenten WM-Tagen, wie er die Grün-Weißen in der 25. Jubiläums-Saison für den Abstiegskampf neu aufstellt.

Hinter Ihnen liegen ereignisreiche Wochen. Trainerwechsel nach Wetzlar, Weltmeisterschaft in Polen/Schweden, WM-Fehlstart gegen Ägypten, Trainer-Aus in Kroatien, Pokal-Krimi in Flensburg. Können Sie das noch einmal Revue passieren lassen?

Alles im Leben ist gut für irgendwas. Natürlich war viel los, aber das passt zu meinem Naturell. Wir haben bei der WM ein schlechtes Spiel gemacht und das Viertelfinale verpasst. Da gibt es nichts zu beschönigen. Wir hatten zwar sieben verletzte Leistungsträger und mit Ägypten das aktuell stärkste außereuropäische Team zum Gegner, aber das darf keine Ausrede sein. Wir haben nicht geliefert und uns nicht an den eigenen Haaren aus der Situation herausgezogen. In Wetzlar liegt nun eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe vor mir. Den Schalter umzulegen war und ist eigentlich nicht schwer. Neue Ziele, neue Orientierung - das hilft einem sogar, nicht allzu lange über das Gestern zu grübeln.

Okay. Was zählt ist ab sofort die HSG Wetzlar. War das Pokal-28:29 in Flensburg schon einmal ein Hoffnungsschimmer?

Natürlich, ein Spiel ist wie ein Training, in dem man jeden Tag Fortschritte sehen will und sieht. Ein Pokalspiel ist aber eine besondere Partie, jetzt kommt der Abstiegskampf, das ist mental eine ganz andere Drucksituation. Die handballerischen Sachen wie Rückzugsverhalten, Deckung etc. sind da nur die halbe Miete; die andere Seite der Medaille sind Einstellung, Selbstvertrauen und eine absolute Heimspielatmosphäre. Das alles muss stimmen. Die Arena muss wieder zu unserer Festung werden.

Welche Schlüsse haben Sie aus den ersten Trainingswochen- und Punktspielen mit ziehen können?

Nach jedem Training ist, muss man etwas schlauer sein. Deshalb war es gut, dass ich die letzten drei Spiele im alten Jahr schon da war. Jetzt kommen die Matches, in denen wir nicht mehr uns selbst suchen, sondern in denen wir 100 Prozent geben müssen. Eine erste Maßnahme ist die, dass Hendrik Wagner neben mehr Spielanteilen im Angriff in den Mittelblock rücken wird.

Inwiefern setzen Sie Hoffnungen auf die lange verletzten Rückkehrer Stefan Cavor und Magnus Fredriksen?

Magnus Fredriksen ist zurück im Training, er macht gute Fortschritte und ich denke, für die Auswärtspartie in zehn Tagen in Berlin wird es klappen. Stefan Cavor war in Flensburg schon sehr diszipliniert im Angriff, er wollte mit einem Wurf nicht gleich zwei Tore machen. Nach so einer langen Pause muss erst mal die defensive Arbeit stimmen. Das hat mir gefallen.

Mit zwei so erfahrene Leuten, die wissen, um was es geht, kannst du auch als Trainer leichter agieren. Ich bin überzeugt: Magnus Fredriksen wird wieder schnell an seine starke Form der Vorsaison anknüpfen. Er hat ein hohes Spielverständnis, das ist das, was unsere Mannschaft noch braucht. Er hat etwas, was du nicht trainieren kannst. Das ist das Wertvollste, was er uns geben kann. Natürlich wollen wir unsere Struktur im Spiel behalten, ohne die geht es auch nicht. Aber im Angriff spielt eine derart herausragende Individualität eine entscheidende Rolle.

Ist das Risiko des Lipovina-Abganges nicht zu hoch in Anbetracht der Rekonvalensenz von Stefan Cavor?

Stefan Cavor macht riesige Fortschritte. Von der Verletzung spürt man aktuell nichts mehr. Natürlich werden wir ihm Zeit geben. Aber das sieht alles sehr gut aus. Es wird zügig gehen, dass er leistungsmäßig wieder dahin kommt, wo er hergekommen ist. Angst vor neuen Verletzungen darf man übrigens weder haben noch darüber reden, dann müssten wir im Handball jede Position drei- und vierfach besetzen. Wir haben mit Stefan Cavor und Jovica Nikolic zwei sehr gute Linkshänder. Wenn sich umgekehrt für einen Spieler die Möglichkeit ergibt, nach Magdeburg zu wechseln und dort um die Meisterschaft und die Champions League zu spielen, dann sollte man ihn gehen lassen. Eine Nicht-Freigabe könnte auch nach hinten losgehen.

Bis 15. Februar ist noch ein Neuzugang angekündigt. Welche Position soll der neue Mann stärken?

Wir schauen uns nach einem abwehrstarken Aufbauspieler um, der nicht unbedingt Linkshänder sein muss. Womit klar ist, dass wir Stefan Cavor und Jovica Nikolic vollends Vertrauen.

Kroatischer Handball ist weniger skandinavisch strukturiert, eher südländlisch emotional mit einem Faible für viel Spielwitz. Ist das bei Ihnen auch so?

Das ist so. Akteure mit Spielwitz, Intuition und guter Technik machen wegen ihrer individuellen Klasse den Unterschied aus. Meine Aufgabe ist es, zu erkennen, was vermag ein Spieler zu leisten und was nicht. Ich kann von einem Fisch nicht verlangen, das er springt. Der wird immer nur gut schwimmen. Das muss das Ziel eines jeden Trainers sein, die ganzen 100 Prozent, die jeder Einzelne zu leisten vermag, rauszuziehen. Und da helfen brillante Köpfe, technisch starke Unterschiedsspieler sehr, weil sie ihre Mitspieler besser machen.

In der Deckung sollen Erik Schmidt/Hendrik Wagner das Zentrum bilden, was in Anbetracht deren Gardemaß auch Sinn macht. Aber beide sind erstens keine Lautsprecher, zweitens suchen beide permanent die Balance zwischen defensiv richtig stehen und offensiv ordentlich agieren.

Wir müssen mehr Bewegung in die Deckung bringen, die Aggressivität muss stimmen und wir müssen hart in die Eins-gegen-eins-Zweikämpfe gehen. Deckung spielt man aber nicht nur mit Herz, sondern auch mit Kopf. Man muss immer dranbleiben, darf nie aufgeben - das ist der einzige richtige Weg. Wir arbeiten an den klaren Absprachen, der klaren Rollenverteilung und an den klaren Kommandos. Es ist besser, ein schlechtes Kommando zu geben als gar keins. Die Defensiv/-Offensiv-Balance haben wir angesprochen. Uns ist ja lieber, einen Wurf aus zehn als aus sechs Metern zu bekommen. Wenn wir im Parallelstand stehen, ergeben sich hinten viele Räume für die Kreisläufer; wenn wir im Diagonalstand sind, schließen wir diese Räume zu. Das wird gegen Hannover schon spielentscheidend sein und dazu müssen Erik Schmidt/Hendrik Wagner ihren Beitrag leisten.

TSV Hannover-Burgdorf, HC Erlangen, Bergischer HC, GWD Minden - die nächsten vier Heimspiele bis 1. April müssen eigentlich allesamt gewonnen werden.

Erst einmal ist die Leistung wichtig, das wir die richtige Einstellung haben, das man von der ersten Minute an deutlich sieht, dass die Jungs bereit sind, alles zu geben. Am Ende kommen dann die Punkte. Es gibt natürlich eine Spielvorbereitung, eine spezifische, das ist klar. Wichtiger aber ist, dass wir auf uns schauen, dass jeder Spieler in der Lage ist, seine Leistung über einen längeren Zeitraum abzurufen.

Abstiegskampf war für die HSG Wetzlar ein Jahrzehnt lang ein Fremdwort. Ist das mental ein Nachteil für Spieler und Umfeld?

Das ist keine gewöhnliche Situation für die Spieler, andere Teams kennen diese schon. Wir dürfen uns jedoch nicht zu sehr auf das große Ziel Klassenerhalt konzentrieren. Der Weg dorthin ist wichtig. Woche für Woche. Jede Aktion im Angriff ist erst einmal wichtig, jede Aktion in der Deckung auch. In jedem Spiel, in jeder Spielphase. Das muss in die Köpfe.

Neben der Trainingsarbeit kommt dem Coaching auf der Bank vor allem in der Crunchtime eine hohe Bedeutung zu.

Wir dürfen uns nicht von Emotionen leiten lassen. Wir brauchen ein klares Bild, wo es lang geht, wo wir hin wollen - auch in diesen entscheidenden Phasen einer Partie. Wir dürfen nie den Kopf verlieren. Das gilt auch für den Trainer.

Was stärkt Ihre Zuversicht, dass die HSG Wetzlar im Oberhaus bleibt und Sie damit - höchstwahrscheinlich - auch in der kommenden Saison Trainer in Mittelhessen sein werden? In der Vergangenheit ist es kaum gelungen, das Bundesliga-Team besser mit der U 23 und der U 19 zu verknüpfen sowie die Kooperation mit dem benachbarten Zweitligisten TV 05/07 Hüttenberg zu vertiefen. Steht dies bereits in Ihrer Stellenbeschreibung und auf Ihrer Agenda, falls Sie mittelfristig hier weiter als Trainer arbeiten?

Zehn Jahre war Wetzlar nicht in dieser Situation, um den Klassenerhalt kämpfen zu müssen. Deshalb ist es jetzt erst einmal am wichtigsten, dort zu löschen, wo es brennt. Wir müssen alles investieren, damit die Liga für die HSG erhalten bleibt. Wenn das klappt, wenn der Zeitpunkt kommt, das wir längerfristig zusammenarbeiten wollen, werden wir alles auf den Tisch legen und sehen, was zu tun sein wird. Unser gesamter Fokus muss in den nächsten Wochen und Monaten aber erst einmal auf unsere schwierige Aufgabe in der Bundesliga gerichtet sein.

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