HSG Wetzlar mit Geduld und Willen

An die Quali für den Europapokal verschwendet die HSG Wetzlar keine Gedanken. Im Hessenduell bei der MT Melsungen gilt es, die Ausfälle von Till Klimpke und Stefan Cavor zu kompensieren.
Wer Benjamin Matschke, den Trainer der HSG Wetzlar, kennt, der weiß, dass er einer ist, der möglichst wenig negative Energie an sich heranlässt. Auch wenn er nach dem Samstag-24:27 gegen den SC DHfK Leipzig erklärte, »Europa war schon nach der Nachricht von Cakis Kreuzbandriss aus meinem Kopf«, so saugt er sich zugleich auch wieder voll mit positiver, Optimismus versprühender Energie.
Vor dem Hessenderby der Handball-Bundesliga bei MT Melsungen (heute, 19.05 Uhr) hadert der Chefcoach denn auch nicht mit der mit dem vorzeitigen Abschied von Philipp Henningsson begonnenen, überwiegend intern kompensierten Personal- und Verletzungsmisere, trauert nicht verpassten Gelegenheiten nach, bläst die jüngste Heimschwäche auch nicht zum Fluch auf. Benjamin Matschke erinnert u a. lieber an die triumphalen Auswärtsaufritte bei den RN Löwen, bei der TSV Hannover-Burgdorf, bei HBW Balingen/Weilstetten.
Die Formkurve der Melsunger: Mit einem überraschend klaren 31:24-Sieg beendete die MT Melsungen an Pfingsten ihre lange Durststrecke von zuletzt sechs Niederlagen in Folge. Beim Bergischen HC ließen die Nordhessen nichts anbrennen und zeigten sich über 60 Minuten konzentriert. Aus einer aufmerksamen Abwehr mit einem starken Torhüter Nebojsa Simic wurden geduldig Angriffe aufgebaut und mehrheitlich in Tore umgemünzt. Beste Torschützen waren Julius Kühn und Kai Häfner (jeweils 6). Mit diesem Erfolgserlebnis im Rücken haben die zuletzt auch personell gebeutelten Nordhessen - Lemke, Kastening, Pavlovic, Jonsson und Kunkel fehlten - wieder Selbstvertrauen für das Hessenderby getankt.
Ein besonderes Spiel für Felix Danner: »Wir haben in den letzten Wochen nicht gerade geglänzt. Es ist ein 50:50-Spiel«, mutmaßt Wetzlars Kreisläufer Felix Danner, der zuvor zwölf Jahre für die Melsunger das Bundesliga-Trikot getragen hat. Dass die HSG Wetzlar als derzeitige Siebte noch auf eine Europacup-Teilnahme hoffen kann, ist für Danner kein großes Thema: »Ich möchte die letzten beiden Spiele gewinnen. Wenn es dann noch der sechste Platz werden sollte, wäre das natürlich schön.« In Melsungen, wo der Routinier noch immer wohnt, nimmt er heute Abend im übertragenden Sinne gleich doppelt Abschied, wechselt er doch im Juli zur HBW Balingen/Weilstetten. »Es wird schon besonders sein, dass ich nun erstmals als Gegner in Kassel auflaufe«, räumt Danner ein. Zwölf Jahre hatte er schließlich aufseiten des Gastgebers gestanden. Nach der Schlusssirene wird er noch nicht sofort die Rothenbach-Halle verlassen und sich mit dem einen oder anderen austauschen. Mit Ausnahme von Alexander Petersson hat er mit allen Profis, die von der MT morgen Abend nach der Partie verabschiedet werden, noch zusammen gespielt: Silvio Heinevetter, Yves Kunkel, Tobias Reichmann, Michael Allendorf und Marino Maric.
Was macht auf Wetzlarer Seite Hoffnung? Die Auswärtsbilanz der Mannschaft von Trainer Benjamin Matschke kann sich in der Rückrunde mehr als sehen lassen. Siege bei den Rhein-Neckar Löwen, bei der TSV Hannover-Burgdorf und bei HBW Balingen/Weilstetten sowie ein Unentschieden beim TVB Stuttgart haben die ärgerlichen Heim-Aussetzer gegen den Bergischen HC, HC Erlangen und eben SC DHfK Leipzig punkte- und ergebnismäßig kompensiert.
Gibt es einen Heim-Komplex? Seit der Rückkehr der Zuschauer und vor allem seit der Rückkehr der Vollauslastung wirkt das Wetzlarer Team nicht mehr so befreit. Spielmacher Fredriksen steuert viel, trifft aber nicht immer gute Entscheidungen. Auf den Halben nehmen sich Lenny Rubin und Stefan Cavor oft schlechte Würfe. An den Kreis kommen öfter schwer zu verarbeitende Bälle. Es fehlen Klarheit in den Aktionen, Überzeugung im Auftreten - Effektivität im Abschluss. Das Aufdenpunktspielen ist auf dem Parkett der Buderus-Arena etwas verloren gegangen. Der Auftritt gegen den SC DHfK Leipzig hatte sicher auch etwas mit den Schocknachrichten von Till Klimpke und Stefan Cavor zu tun, war aber vielmehr auch die Fortsetzung der zuvor schon mit einer Mängelliste behafteten Heimauftritte.
Der Zuschauer-Rückgang: In der Zuschauer-Tabelle der Handball-Bundesliga ist die HSG Wetzlar auf Rang 13 abgerutscht. Das hat auch mit den Corona-Nachwehen zu tun, aber nicht nur. Wer die Arena-Verhältnisse kennt, beobachtet einen schleichenden Prozess hin zu wieder mehr günstigen Ticket-Angeboten und -Aktionen. Die zuletzt jeweils über 3000 Besucher waren schon geschönt, in echt waren es bestimmt kaum mehr als 2500. Fatal. Ein solch bedeutsames Heimspiel mit der Europapokal-Konstellation gegen den SC DHfK Leipzig, ein Team auf absoluter Augenhöhe, hätte zu besseren Zeiten für eine tatsächlich ausverkaufte, proppenvolle Halle - und noch weit mehr Stimmung gesorgt. Denn auch wenn die Anhänger ihr HSG-Team unterstützen, atmosphärisch geht da bei Vollauslastung weitaus mehr.
Das sagt Benjamin Matschke: »Solche Phasen wie jetzt sind für mich ein Teil unserer Weiterentwicklung«, versucht der Coach aus den Niederlagen einen Trainer-Nutzen zu ziehen, »aber es ist auch nicht so, dass mir alles gefällt. Wenn es zwei- oder dreimal oder öfter passiert, bekommt die Mannschaft schon eine klare Ansage.« Zumal es auswärts - wie erwähnt - wesentlich besser läuft. »Da spielen wir geduldiger, gerade nicht in Stress, verfolgen klar unseren Matchplan.« Das soll auch heute Abend wieder der Fall sein, denn es bietet sich ja auch noch die Chance, den gastgebenden Rivalen aus Nordhessen in der Bundesliga-Abschlusstabelle 2021/22 hinter sich zu lassen.