»Faulis Sammelheft« und andere Projekte

(amp). Für Heinz Zielinski, den Vorsitzenden des Sportkreises Gießen, läuft die Zusammenarbeit mit dem Landkreis »seit ein, eineinhalb Jahren sehr positiv«. Mit dazu beigetragen hat die Umstrukturierung und Aufstockung der Kreisverwaltung im Bereich Sport. Zum einen wurde im Organigramm der Behörde der Fachdienst Schule um den Aufgabenbereich Sport erweitert.
Und personell sind es jetzt drei Stellen, statt einer, die sich um sportliche Belange von Schulen, Vereinen und anderen Organisationen und Verbänden kümmern. Seit kurzem sogar vier. Seit 15. September ist Carmen Klein als Bewegungskoordinatorin eingestellt. Eine Stelle, die es vorher nicht gab.
»Im Rahmen des Projekts ›Sportland Hessen‹ haben wir uns beim Land für diese Stelle beworben«, berichtet Christopher Lipp, der Sportdezernent des Landkreises. Eine »großzügige Projektförderung« stellt dem Landkreis für drei Jahre 120 000 Euro Fördermittel zur Verfügung. Dadurch ist Carmen Klein, angesiedelt am Riversplatz in Gießen, Gebäude E, Raum 103, für 39 Wochenstunden angestellt. Ihre Hauptaufgabe sieht die 33-Jährige, die zuvor sechs Jahre in der orthopädischen Rehabilitation gearbeitet hat, darin, die Vereine und das Ehrenamt zu stärken und mehr Menschen zu bewegen, Sport zu treiben.
Dabei will sie die Themen »gerne auch präventiv angehen«, wie Klein betont. Impulse erhofft sie sich auch durch die Arbeitsgruppe »Bewegt aufwachsen«, an dem neben dem hessischen Innenministerium auch das Gesundheitsministerium beteiligt ist. Diese Initiative sei »sehr notwendig«, um bei Kindern und Jugendlichen anzusetzen, die besonders unter den Folgen der Pandemie gelitten hätten. Hier sollen Kooperationen entwickelt werden, um Bewegung und Sport zu fördern. Das ist für Heinz Zielinski »ein Handlungsproblem, kein Erkenntnisproblem«. Christopher Lipp betont zwar, dass alle Altersgruppen angesprochen werden sollen, in erster Linie aber Kinder und Jugendliche. Und das »verstärkt über die Schule«.
Nachdem sich Carmen Klein in etwas mehr als drei Monaten im neuen Amt eingearbeitet hat, hat sie nicht nur Ideen entwickelt, sondern ist auch aktiv geworden. So hat sie Sportvereine genauso wie Schulen angefragt, wo diese Bedarfe sehen. Zwar sei diese Umfrage noch nicht abgeschlossen, berichtet die neue Bewegungskoordinatorin. Aber bei den Vereinen zeichne sich, wenig überraschend, weiterhin ein Übungsleiter-Mangel ab, während bei den Schulen der (zu oft motorisierte) Schulweg und populäre Sportarten meistgenannt seien.
Für den Sommer ist zudem ein »Bewegungspass« in der Vorbereitung. Unter dem Titel »Faulis Sammelheft« und dem Slogan »Vom Faultier zum Lauftier« sollen in zehn Wochen zwischen Oster- und Sommerferien mit Hilfe von Vereinen Bewegungs-Angebote genutzt und protokolliert werden, die am Ende zu einer Prämierung der bewegungsfreudigsten Schülerinnen und Schüler führen. Zudem ist geplant, den »Hessischen Bewegungs-Check«, eine Studie der Goethe-Universität Frankfurt, auch an heimischen Schulen anzuwenden. In den 3. Klassen sollen Mängel bei Koordination, Geschicklichkeit etc. festgestellt und in Form von Empfehlungen an Kinder und Eltern zurückgespiegelt werden.
Heinz Zielinski sieht zudem die Möglichkeit, die Umsetzung des Ziels der Etablierung der vierten Sportstunde wieder zu beleben. Zwar gebe es an der Erich-Kästner-Schule in Lich sogar die tägliche Sportstunde, sagt der Sportkreis-Vorsitzende. Doch herrsche andernorts noch großer Bedarf. Dieses Projekt sei in Planung und stehe vor der Umsetzung. Carmen Klein hat zudem die Einrichtung eines (Landkreis übergreifenden) digitalen Übungsleiter-Portals auf der Agenda und will auch in Zusammenarbeit mit den Fachverbänden die Übungsleiter-Ausbildung stärker lokalisieren. Es könnte sein, dass Heinz Zielinski in wenigen Jahren feststellt, dass die Zusammenarbeit zwischen Sport- und Landkreis noch positiver ist.
Als wäre es ein Fingerzeig. Innerhalb weniger Wochen mussten die Schulsporthallen in Holzheim, Watzenborn-Steinberg und Leihgestern geschlossen werden. In der Stadt Gießen stehen die Sporthallen der Liebigschule und der Theodor-Litt-Schule schon länger nicht mehr zur Verfügung. Im Landkreis ist nicht nur die Halle der Clemens-Brentano-Europaschule in Lollar marode. »Wir haben einen Sanierungsstau«, gibt Sportdezernent Christopher Lipp im Blick auf die 24 kreiseigenen Sporthallen unumwunden zu. Diese sind überwiegend in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gebaut worden. Vor rund 50 Jahren also. Aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahren, so Lipp, sind meist die Schulgebäude, nicht aber die Turnhallen saniert worden.
Was sich gerade in den Zeiten der Pandemie rächt. Wer zufällig eine Gruppe von Grundschülerinnen und -schülern bei sportlichen Übungen erlebt, der ist fast schon entsetzt über die große Zahl an Bewegungs-Legasthenikern. Im Blick auf Koordination, Motorik, Ausdauer und Beweglichkeit hapert es an allen Ecken und Enden. Die negativen Folgen für die Gesundheit und das Wohlergehen in den nachfolgenden Jahren sind durch unzählige Studien hinlänglich belegt.
»In den nächsten Jahren müssen wir kontinuierlich sanieren und neu bauen«, sagt Christopher Lipp. Gut so.
Doch das reicht nicht! Auch hier ist ein großer »Wumms« von Bund, Land und Kommunen für den Schulsport notwendig. Das sind unsere politisch und gesellschaftlich Verantwortung tragenden Entscheider den nachfolgenden Generationen im Kindesalter schuldig!
ALBERT MEHL