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Ein Fall für den Malteser-Hilfsdienst

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Von: Ralf Waldschmidt

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Woche für Woche das gleiche Bild: Wetzlarer Niedergeschlagenheit nach der nächsten, der neunten Bundesliga-Niederlage in Folge. © Oliver Vogler

Ausgerechnet im Jahr des 25. Erstliga-Jubiläums ist die HSG Wetzlar zum grün-weißen Patienten geworden. Wird auch in den kommenden beiden existenziellen Partien bei TVB Stuttgart und gegen GWD Minden nicht gepunktet, sollten die Kluboberen eine Patientenverfügung ausstellen.

Es mutete nach acht Niederlagen in Serie und der verspäteten kostenfreien Mobilisierung der Handball-Anhängerschaft schon skurril an, wenn vor der bedeutungsschweren Bundesliga-Heimpartie gegen den Bergischen HC die Plätze in der Buderus-Arena mit »Malteser«-Werbekärtchen versehen sind. Denn nach der neuerlich demaskierenden, die Handball-Experten sprachlos zurücklassenden 22:28 (13:13)-Niederlage - der neunten in Serie (!) - ist es allein die HSG Wetzlar, die dringend die Hilfsdienste der Malteser in Anspruch nehmen müsste.

Düstere Perspektive

Der grün-weiße Patient droht bei weiteren Misserfolgen am kommenden Sonntag beim TVB Stuttgart, der in der Vorrunde noch mit 32:24 aus der Arena geschossen wurde, sowie am D-Day 1. April gegen GWD Minden auf der Intensivstation zu landen. Spätestens dann sollten, müssten sich die Klubverantwortlichen mit einer Patientenverfügung beschäftigen. Und dies ausgerechnet vier Tage vor dem historischen Datum 4. April, jenem Tag, an dem die Vorgänger-HSG (Dutenhofen/Münchholzhausen) vor exakt 25 Jahren beim EHV Aue mit einem 29:22-Triumph den Aufstieg ins Handball-Oberhaus realisierte.

Erinnerungen

Da droht selbst die schmucke Hochglanz-Jubiläumschronik zum Rudiment zu verkümmern. Blättert man in dieser, wird es einem vergangenheitsschwelgend warm ums Herz. Es gab ihn mal, den Spielerflüsterer: Kai Wandschneider, der ohne Mentalcoach auskam. Es gab ihn mal, den bis zum letzten Blutstropfen kämpfenden: Sigurdur Bjarnason, der in jedem Wikinger-Film hätte mitwirken können. Es gab ihn mal, den die Herzen der Fans erobernden: Maximilian Holst, der - so wurde es kommuniziert - eigentlich als Stand-by-Spieler für den Notfall vorgesehen war. Wenn 0:18 Punkte mal kein Notfall ist…

Realität

Die Realität nach 23 Spieltagen: Null-Punkte-Trainer. Kein Führungsspieler. Null-Tore-Konzept von außen. Kein Aufbäumen nach einem 20:24-Rückstand (50.) wie schon gegen TSV Hannover-Burgdorf und HC Erlangen. Ein Adam Nyfjäll nicht einmal mehr als ein Schatten seiner selbst. Ein Lenny Rubin mit dem Selbstvertrauen eines 27-Jährigen im Anfänger-Skikurs beim Blick die schwarze Piste hinunter. Ein Hendrik Wagner, der allenfalls beim Dartwerfen aus sieben Metern Entfernung eine bessere Figur abgeben würde. Abwehrspieler auf der »Eins« der 5:1-Deckung, die die Pass-Wege-Räume zuzulaufen versuchen, aber nie echten Körperkontakt aufnehmen. Eine in sich selbst ruhende 9:15-Körpersprache in der zweiten Hälfte, als wäre man zur Selbstfindung in einem buddhistischen Kloster. Oder wer hat sich in der Abwehr die Hände schmutzig gemacht? Keine Antworten auf die klugen Taktik-Antworten des gegnerischen Trainers, der sogar in seiner Analyse die Gastgeber lobend irrlichterte, wohl wissend, dass sein Team in den ersten 30 Minuten nicht wirklich performed hatte. Nicht einmal die Schiedsrichter wurden unter Druck gesetzt, Hauptsache der Boden wurde gewischt. Winter-Neuzugänge, die nicht einmal mehr eine HSG Pohlheim vor dem Drittliga-Abstieg bewahren würden. Nur 22 Prozent gehaltene Bälle. Nur 22 Tore. Nur ein Gegenstoß. Die neunte auf Zweitliga-Niveau befindliche Leistung in Serie und dennoch weiter der bewusste und damit umso unverständlichere (!) Verzicht auf den ›Dutenhofener Marc Wilmots‹: Ole Klimpke. Brutal diese Realität. Aber wahr. Ruhe bewahren? Von wegen. Seit 15 (!) Wochen fehlt auch emotional jegliche Steigerung - auf der Bank und auf dem Parkett.

»Überzahl auf drei Metern«

»Wir spielen Überzahl auf drei Metern«, reflektierte Linksaußen Emil Mellegard selbstkritisch den desaströsen Wendepunkt der Partie vom 18:18 (40., Novak) zum 18:22 (45., Persson) - für 46 Sekunden gar in doppelter Überzahl gegen nur vier Feldspieler des Bergischen HC. »Uns unterlaufen da zwei, drei technische Fehler«, fuhr der Schwede fort und fügte schonungslos ehrlich an: »Das reicht nicht für 1. Liga!« Auch Spielmacher Magnus Fredriksen, der seine bislang beste Rückrundenleistung zeigte, kommentierte hart: »Wenn nur zwei oder drei Spieler ihre Leistung bringen, ist das zu wenig. Das ist kein Kopfproblem mehr, das ist ein Handball-Problem.«

Und auch die Beschwörung der Atmosphäre, die man in der ersten Halbzeit genutzt habe, der Energie, die man auf das Parkett gebracht habe, wurden rückblickend zur Mär. Wenn man die vielen verlorenen zweiten Bälle betrachtet, wenn man die unnötige Hektik und Unordnung im Ballvortrag analysiert, wenn man den vergebenen Novak-Siebenmeter sowie die verpasste freie Wurfchance von Nyfjäll gegen den Kopf von BHC-Keeper Rudeck ins Gedächtnis zurückholt - dann hätte die HSG Wetzlar in Anbetracht der erkennbaren Gäste-Unzulänglichkeiten unter dem Niveau der vorherigen Kontrahenten aus Hannover und Erlangen nicht nur in der 20. Minute mit 10:7 (statt 9:8!) führen müssen, sondern auch zur Pause mit drei, vier Treffern.

So aber ist der grün-weiße Patient seit Sonntag, 19. März 2023, 17.44 Uhr, ein Fall für die Malteser.

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