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Ehrgeiz schlägt Talent

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Leonie Nowak kehrt aus der Bundesliga von Union Halle Neustadt zurück nach Mittelhessen zum Frauenhandball-Oberligisten TSG Leihgestern. © Imago Sportfotodienst GmbH

(mol). »Gefühlt hat ganz Hessen darüber gegrübelt und mich durchlöchert, welchem Verein ich mein Ja gebe«, beschreibt Leonie Nowak lachend ihre letzten Monate. Denn nachdem im Februar bekannt geworden war, dass die 31-Jährige den SV Union Halle-Neustadt verlassen würde, stand das Telefon nur selten still. Ein seltsames Gefühl für jemanden, der sich von seiner angenehmen und bescheidenen Art her ganz sicher nicht für den »Nabel der Handball-Welt« hält.

Und doch ist das Interesse der Vereine naturgemäß groß, wenn es möglich ist, sich die Dienste einer Bundesliga-Spielerin zu sichern. Im Frühjahr ist Nowaks Entscheidung dann gefallen, in der kommenden Saison trägt die abwehrstarke Kreisläuferin das Trikot des heimischen Frauenhandball-Oberligisten TSG Leihgestern.

»Auf dem zweiten Bildungsweg«, wie sie es augenzwinkernd nennt, ist Nowak in die Frauenhandball-Bundesliga gekommen, entstammte sie doch nicht einem der heutzutage gängigen Handball-Internate, sondern lief nach ihren ersten Schritten bei der TSG Niedergirmes für die HSG Dutenhofen/Münchholzhausen, die damalige SG Kleenheim und die HSG Gedern/Nidda in der 2. und 3. Liga auf. Nachdem sie in den Jahren zuvor ein Angebot des Bundesligisten HSG Bensheim/Auerbach ausgeschlagen hatte (»Ich war dort im Probetraining und dachte, so gut wie die anderen kannst du nicht werden. Ich habe mich dann nicht getraut zu wechseln!«), kam 2020 die Offerte vom Bundesligisten SV Union Halle-Neustadt. Mit bereits 29 Jahren.

Und obwohl die Stadt in Sachsen-Anhalt nun wahrlich nicht vor ihrer Wetzlarer Haustüre lag, sagte die Kreisläuferin zu. »Ich habe mich nach der Absage an Bensheim/Auerbach doch geärgert, dass ich einfach nicht den Mut hatte. Ich habe mir gesagt: Sollte es nochmal ein Angebot geben, dann machst du es! Und mit Blick auf die letzten beiden Jahre kann ich nur sagen, dass ich alles richtig gemacht habe, weil es unheimlich Spaß gemacht und ich viele tolle Momente erlebt habe. Trotz der Bundeliga geht es in Halle-Neustadt sehr familiär zu, das hat mir gefallen und zu mir gepasst«, so Nowak, die noch weiter ausführt. »Ich bin eine Kämpferin und komme über die emotionale Schiene. Ich entwickle da schon großen Ehrgeiz und bin eine Teamplayerin. Darüber habe ich es geschafft, vor allem in meiner ersten Saison doch viele mehr Spielanteile zu bekommen als ich zu hoffen geträumt hatte!«

Auch wenn der Bundesligist in der kommenden Saison nun auf andere Kreisspielerinnen setzt, so beweist die Tatsache, dass die 31-Jährige ein Angebot bekommen hat, als Jugendkoordinatorin in Halle-Neustadt weiterzuarbeiten, dass sie auch menschlich viel richtig gemacht und Eindruck hinterlassen haben muss.

Doch Nowak wollte nochmal einen Neuanfang wagen und in ihre Wetzlarer Heimat zurückkehren. Da die Kindheitspädagogin, deren Abschied aus der Hallenser Kita Wirbelwind wohl auch Tränen bei einigen ihrer Schützlinge hervorrufen dürfte, aber auch ihrem Berufsleben nun verstärkt Aufmerksamkeit widmen will, stellt künftig auch »zeitfressende Pendelei« keine Option mehr für sie dar. Ein Grund dafür, weshalb sie auch ein Angebot ihres Ex-Vereins Gedern/Nidda ausgeschlagen hat. »Es waren tolle Jahre dort, ich mag wirklich alle. Generell hat mich jeder Verein in meiner Karriere geprägt, aber ich möchte meine Energie und meine Priorität künftig neben dem Handball vor allen Dingen auch in meinen Job stecken«, erklärt Nowak.

Warum sich sie dann für die TSG Leihgestern entschieden hat, hängt vor allen Dingen auch mit Jonna Jensen zusammen. Mit der TSG-Trainerin spielte Nowak bereits in Kleenheim zusammen, danach riss der Kontakt nie ab. Eine erste Anfrage vor einigen Jahren lehnte sie ab, zu jung war Nowak noch, zu groß noch die Lust auf höherklassigen Handball. Und da es dann nach der Station in Gedern/Nidda direkt in die Bundesliga ging, musste sich Jensen weiterhin gedulden. Doch nachdem sich im Februar eine neuerliche Chance bot, war es dann so weit.

»Ich habe immer Kontakt mit Leonie gehalten, wir verstehen uns wirklich gut. Wir haben uns immer wieder ausgetauscht, aber natürlich ist es verständlich, ja die einzig richtige Entscheidung, bei einem Bundesligisten zuzusagen, wenn man ein solches Angebot bekommt und wenn man diesen Weg für sich gehen will«, so Jonna Jensen, die natürlich hofft, dass Nowak eine Führungsrolle in ihrem neuen Team übernehmen wird. »Sie ist eine große Kämpferin und Motivatorin, zugleich aber auch ein Vorbild was Einstellung und Fleiß angeht. Neben ihren Qualitäten im Angriff wird sie natürlich auch eine zentrale Rolle einnehmen im Abwehr-Innenblock. Ich freue mich schon jetzt sehr auf sie und auf die neue Saison!«

Dass es für die TSG Leihgestern für den Sprung in die 3. Liga noch nicht gereicht hat, spielte für Nowaks Entscheidung keine Rolle. In dieser Hinsicht dürfte der heimische Vertreter nicht nur wegen des »Königinnen-Transfers« in der kommenden Saison ein gewichtiges Wörtchen um die Oberliga-Meisterschaft mitreden, denn mit den Rückraumspielerinnen Freya Welchert, Kathrin Jochem und Emilia Prauss sowie Torhüterin Linda Barnack wurden wahlweise hochklassige sowie junge und talentierte Spielerinnen verpflichtet, um die Lücke adäquat zu schließen, die das Karriereende von Olivia Reeh und Andrea Schulz definitiv hinterlassen hat.

»Wir werden angreifen und versuchen, es in diesem Jahr zu schaffen. Ich freue mich schon sehr auf die Aufgabe und möchte dem Team mit meinen Stärken helfen«, so Nowak, die aufgrund ihres eigenen, doch heutzutage nicht mehr alltäglichen Karriereverlaufes jungen Spielerinnen gleich zwei Leitsätze an die Hand gibt: »Ehrgeiz schlägt Talent. Und - hört nie auf zu träumen!«

Einen letzten »Traum« erfüllte sich die Kreisläuferin, die natürlich viel Wehmut bei ihrem Abschied verspürt hatte, mit Halle-Neustadt aber doch noch. »Über Halle nach Malle« lautete ihr Slogan vor dem Saisonabschluss im 17. deutschen Bundesland. Und wer Leonie Nowak zumindest ein wenig kennengelernt hat, der wird wissen, dass sie auch dort bis zuletzt all ihre Stärken eingebracht hat: Ehrgeiz, Teamgeist, Kampfkraft!

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