EC Bad Nauheim: Begeisternd, irre, emotional - was hängen bleibt

Klub-Rekord. DEL2-Rekord. Tabellenführer. Irre Spiele. Der EC Bad Nauheim hat seinen Fans in der Saison 2021/22 so viel Spaß wie schon lange nicht mehr gemacht. - Ein Rückblick auf das, was hängen bleibt.
Harry Lange, der Trainer, bezeichnete die Saison nach dem Halbfinal-Aus des EC Bad Nauheim in der Deutschen Eishockey-Liga 2 als »eine unfassbare Reise - und zwar von Tag eins an«. Die Mannschaft habe »immer alles gegeben - und nur deshalb konnte Bad Nauheim überhaupt im Halbfinale stehen«. Im 64. Pflichtspiel, im zwölften Playoff-Spiel binnen 24 Tagen, waren die Roten Teufel am Freitag in Ravensburg noch einmal an ihre Grenzen (und darüber hinaus) gegangen. Der Akku aber - der war einfach leer.
Wir blicken zurück auf eine gewiss historische Spielzeit und das, was hängen bleibt.
Der Trainer: Harry Lange und Bad Nauheim - das ist mehr als ein Job, das ist eine sportliche Liebesbeziehung. Nach zweieinhalb Lehrjahren als Assistent unter Christof Kreutzer und Hannu Järvenpää hatte der Österreicher das Vertrauen als Chef-Trainer erhalten, ist der jüngste Head Coach dieser DEL2-Saison. Er hatte mit den Roten Teufeln Viertelfinal-Niederlagen als Spieler und Trainer erlebt - und führte den EC Bad Nauheim in seiner Debüt-Saison in das Halbfinale. Immer selbstkritisch, immer offen und direkt in der Ansprache. Er respektiere, wenn eine Mannschaft besser sei, »aber ich kann nicht akzeptieren, wenn der Gegner härter arbeitet«, hatte Lange zum Start gesagt und diese Einstellung der Mannschaft implementiert. Die Fans hat’s begeistert. Lange - 2012 als Spieler nach Bad Nauheim gekommen - ist auch in der kommenden Saison Trainer der Roten Teufel.
Die Mannschaft: Die Roten Teufel haben ihren Fans so viel Spaß gemacht wie schon lange nicht mehr. Anfangs konnte die Mannschaft oft mit spielerischer Leichtigkeit, später mit bewundernswerter Moral und Arbeitseinstellung begeistern. Das Team agierte - ungeachtet aller Rückschläge - immer am oberen Limit, erarbeitete sich Respekt; bei den eigenen Fans, ebenso bei der Konkurrenz.
Das Gäsehaut-Spiel: Spiel VII - Alles oder nichts in Kassel! Da war doch mal was?! Erinnerungen an den April 2013 haben die Roten Teufel in diesem letzten und entscheidenden Viertelfinal-Spiel begleitet; erst recht, als die Roten Teufel wie schon im Oberliga-Finale vor neun Jahren als Sieger festanden und vor dem Gäste-Block von den Fans aus der Wetterau gefeiert wurden. »Jetzt weiß ich, wie sich Frankie (Carnevale, der Meistertrainer, Anm. der Redaktion) damals gefühlt hat«, sagt Trainer Harry Lange. Kurios: Lange und sein Assistent Hugo Boisvert waren zu dieser Partie mit dem privaten PKW parallel zur Mannschaft angereist. Der gewohnte Doppeldecker-Bus hatte just zu diesem Termin nicht zur Verfügung gestanden.
Die bitterste Niederlage: In Frankfurt hatten die Roten Teufel am 16. Januar 56 Minuten lang im Grunde genommen alles richtig gemacht. Tobias Wörle hatte den bis dato einzigen Treffer erzielt, vier Minuten vor dem Ende gab’s für Bad Nauheim eine Powerplay-Situation. Doch das sollte nicht reichen. In eigener Überzahl kassierten die Gäste den Ausgleich, verloren in der Verlängerung. Am Ende blieb ein überraschender Punktgewinn, aber auch das Gefühl, zwei Zähler weggeworfen zu haben.
Der Pechvogel: Erst eine Schnittverletzung an der Hand, dann ein Oberarmbruch und schließlich ein positiver Corona-Test. Andreas Pauli ist der Pechvogel der Saison. Er verletzte sich Anfang Oktober, am zweiten Spieltag, an einer Schlittschuhkufe, dann beim Comeback extakt zwölf Wochen später, am zweiten Weihnachtsfeiertag, als er unglücklich stürzte. Erst zu Viertelfinal-Spiel drei kehrte der 28-Jährige zurück - und traf gleich zum Einstand. Zum Halbfinal-Start fehlte Pauli dann auf Grund eines positiven Corona-Tests. Mehr Pech kann man kaum haben.
Das Comeback : Die Diagnose im Januar 2021 war ein Schock. Herzmuskelentzündung. Monatelanges Sportverbot. Nach 300 Tagen Wettkampfpause - 39 Pflicht- und acht Testspiele hatte der Kapitän verpasst - feierte Marc El-Sayed sein Comeback - und in Frankfurt auch gleich einen Sieg. Es fühle sich sehr gut an, »samstags endlich wieder genauso müde wie die Teamkollegen« in der Kabine zu sitzen, das sei einfach etwas anders, wenn man zuvor gemeinsam auf dem Eis gestanden habe, schmunzelt der 30-Jährige.
Der irrste Spiel: Der Halbfinal-Auftakt. Nur 48 Stunden nach dem emotionalen Erfolg in Kassel lag Bad Nauheim in Ravensburg zehn Minuten vor dem Ende mit drei Toren im Rückstand. Die Liste der Ausfälle war länger und länger geworden - sage und schreibe neun Spieler fehlten. Doch: Mit drei Toren binnen 4:07 Minuten kamen die Roten Teufel zum Ausgleich und entschieden die Partie in der Verlängerung für sich. Das war surreal.
Das Rekordspiel : 82 Minuten und 55 Sekunden. Nie hat ein Eishockey-Spiel der Roten Teufel länger dauert; die Netto-Spielzeit betreffend. Das vierte Halbfinal-Spiel zwischen Bad Nauheim und Ravensburg wurde erst nach drei Stunden und 19 Minuten Gesamtzeit durch einen Treffer in der zweiten Verlängerung entschieden. Auf Grund der Dramaturgie hatte das Spiel Erinnerungen an die entscheidenden Final-Partien in Essen (0:1 nach Penaltyschießen/1999) und Kassel (3:2 nach Verlängerung/2013) geweckt.
Der Punkterekord: 93 Punkte in 52 Hauptrunden-Spielen. Das entspricht einem Punkte-Quotienten von 1,79 Zählern. Seit der Rückkehr in die zweite Liga hatte der EC Bad Nauheim nie so viele Zähler gesammelt. Und dennoch reichte es am Ende nur zu Platz fünf. Der bisherige Rekord von 90 Punkten war unter Christof Kreutzer in der Saison 2018/19 aufgestellt worden. Es war damals die 0:4-Viertelfinal-Serie mit Ravensburg gefolgt.
Die Auswärtsserie: Der EC Bad Nauheim hat im Herbst 2021 einen DEL2-Rekord aufgestellt. Die Roten Teufel haben ihre ersten neun (!) Auswärtsspiele gewonnen (acht Dreier, dazu ein Sieg nach Verlängerung). Erst am 5. Dezember 2021, am 38. Geburtstag von Trainer Lange, kassierten die Hessen in Ravensburg ihre ersten Auswärtsniederlage.
Spitzenreiter: So spät in der Saison waren die Roten Teufel noch nicht Tabellenführer. Am 20. November, mit dem 16. Spiel, einem Sieg in Kassel, übernahm Bad Nauheim die Platz eins. Dann kamen verletzungs- und krankheitsbedingte Ausfälle. Am 10. Dezember, im 22. Saisonspiel, verloren die Wetterauer in Frankurt das Derby und zugleich auch die Spitzenposition.
Die Rückkehr der Fans: Platz drei im Zuschauer-Ranking der Hauptrunde. Die Roten Teufel dürften sicherlich von den unterschiedlichen Corona-Beschränkungen und ihrer seitlich offenen Spielstätte profitiert haben. Dennoch: Zu vier von fünf Playoff-Heimspielen wurden mehr als 3000 Tickets verkauft. Von ähnlichen Zuschauerzahlen können - mit Ausnahme von Frankfurt und Kassel - andere Klubs nur träumen. Das bestbesuchte Spiel war Spiel VI im Viertelfinale. Vor 3720 Zuschauern unterlag Bad Nauheim gegen Kassel mit 0:5 (höchste Saison-Niederlage).