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Der Vorhang fällt

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Von: Daniela Pieth

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Abschied nach fünf Spielzeiten: Olle Forsell Schefvert. OV © Oliver Vogler

Sieben kommen, sieben gehen - was wäre das letzte Heimspiel der HSG Wetzlar in der Handball Bundesliga ohne die Verabschiedung von einer Handvoll oder mehr Spielern. Einige werden das grün-weiße Trikot in dieser Saison nur kurz getragen haben, andere werden nach vielen Jahren ihre Karriere hier beenden.

Am Sonntag fällt der Vorhang der Saison 2021/22 der Handball-Bundesliga. Nach dem Heimspiel der HSG Wetzlar gegen GWD Minden (15.30 Uhr) heißt es - wie so oft in der Vergangenheit - Abschied nehmen von einer Vielzahl an Spielern, die das grün-weiße Trikot mehr oder weniger lang getragen haben.

Tomislav Kusan und Gennadij Komok sind die beiden Spieler mit den wenigsten Einsätzen für Wetzlar. Der nachverpflichtete kroatische Kreisläufer hat den Verein bereits im April verlassen, während Ukraine-»Flüchtling« Komok im gleichen Monat verpflichtet werden konnte. Der Torhüter ersetzte seither den verletzten Anadin Suljakovic und ist bis zum Saisonende bei der HSG unter Vertrag. Der erst im letzten Sommer von der MT Melsungen gekommene Felix Danner verlässt die HSG nach nur einem Jahr in Richtung HBW Balingen/Weilstetten wieder. Die Zeit von Patrick Gempp bei der HSG stand gesundheitlich unter keinem guten Stern. Gleich beim Medizincheck zur Vorbereitung der Saison 2020/2021 wurden bei Gempp gesundheitliche Probleme festgestellt. Er war knapp drei Monate außer Gefecht und brauchte danach lange, in die Mannschaft zu finden. Im September letzten Jahres dann der zweite Rückschlag, als er sich im Spiel in Magdeburg einen Kreuzbandriss zuzog und keinen Einsatz mehr bestreiten konnte.

Ivan Srsen

Ivan Srsen wurde vor zwei Jahren als Backup für Stefan Cavor verpflichtet. Der Linkshänder kam vom kroatischen Vizemeister RK Nexe Nasice, zu dem er jetzt zurückkehren wird. »Ich habe mich aus mehreren Gründen entschieden, zu Nexe zurückzukehren«, wird er in Kroatien von RTL zitiert. »Einer davon ist die Familie, aber ich möchte auch Handball auf einem hohen Niveau spielen.« Hinter Linkshänder Cavor hatte es der Kroate, der bereits Erfahrungen in der Champions-League sammeln konnte, schwer, sich durchzusetzen. Dennoch sagte er im Vereinsvideo: »Ich werde alles in Wetzlar vermissen. Die Mitspieler, die Leute auf der Geschäftsstelle und natürlich die Zuschauer und Fans.«

Olle Forsell Schefvert

Der Traum Handball-Bundesliga begann für Olle Forsell Schefvert vor fünf Jahren. »Wenn du die Chance bekommst, musst du zugreifen. Ich war sehr stolz, dass Wetzlar mich haben wollte. Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob das falsch oder richtig war«, sagt der Schwede. Das erste Jahr allein in einem fremden Land war für ihn die schwierigste Phase. »Du kommst nach Hause, siehst, wie die anderen Spieler zu ihren Familien gehen. Ich bin in meine Wohnung und habe manchmal fast ›Hallo‹ zu mir selbst in den Spiegel gesagt.« Hilfe bekam er von den anderen »Skandis« Anton Lindskog, Kristian Björnsen und Kasper Kvist. »Sie waren meine Absicherung, wenn es um Rechnungen in meinem Briefkasten ging, mir bei der Sprache zu helfen oder die richtigen Wege zu einem Treffpunkt zu finden.«

Als größten Erfolg in Wetzlar benennt der Schwede das Viertelfinale im DHB-Pokal gegen den TVB Stuttgart. »Mit dem Sieg sind wir 2018 ins Pokal-Final 4 eingezogen. Man hat gesehen, wie viel es der Stadt, dem Verein und den Fans bedeutet hat. Wir hatten ein paar ältere Spieler, für die es das letzte Mal war, im Final 4 spielen zu dürfen. Da hast du gemerkt, dass es für alle etwas Besonderes war.« Leider ohne erfolgreichen Ausgang.

Der Vertrag des Rückraumlinken läuft eigentlich noch bis 2023. Eine Option macht bereits in diesem Jahr den Wechsel zu den Rhein-Neckar Löwen möglich. »Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Handball ist mein Beruf und manchmal braucht man etwas Neues. Mein Ziel war immer, zu einem Verein zu kommen, der das Ziel hat, Titel zu gewinnen. Ich habe mich hier persönlich und als Handballer gut weiterentwickelt. Wenn du dann die Chance bekommst, musst du sie nutzen. Genau so wie damals, als die HSG mich haben wollte.«

In Gedanken an das letzte Spiel im grün-weißen Trikot erinnert er sich auch an sein erstes. »Mein erstes Heimspiel 2017 war gegen Minden und auch mein letztes Heimspiel wird gegen Minden sein. So schließt sich der Kreis.« Es wird etwas Besonderes sein, ein letztes Mal in die Arena einzulaufen. »Es wird ein sentimentales und emotionales Spiel für mich sein. Anton und Kristian haben mir nach ihrem letzten Spiel erzählt, man denkt nicht, dass so viele Emotionen gleichzeitig kommen.« Vor allem wenn Schefvert an die Fans denkt, wird sein Lächeln breit. »Danke für diese fünf Jahre. Ich habe mich immer geliebt gefühlt in dieser Zeit..

Maximilian Holst

Auf acht Jahre bei der HSG Wetzlar blickt Maximilian Holst zurück. Der Linksaußen fühlte sich schnell wohl in Mittelhessen. »Dazu gehören viele Komponenten. Aber ich habe schnell gemerkt, dass die Kombination hier in Wetzlar gut passt. Ich bin froh, dass das so lange gehalten hat.«

Neben dem Profisport hat Holst fleißig an seiner beruflichen Zukunft gebastelt und nach abgeschlossenem Studium vor fünfeinhalb Jahren direkt angefangen, in Teilzeit zu arbeiten. »Ich fand das immer ganz angenehm als Ausgleich für den Profisport. Mal rauskommen, andere Menschen sehen, den Kopf frei bekommen. Mir war das wichtig.« Angst, mit dem Sport auf die Nase zu fallen, keinen neuen Vertrag zu bekommen, hatte er nie. »Der Profisport hat viele schöne Seiten, macht sehr viel Spaß. Aber du rennst jeden Tag mit den gleichen 15, 20 Mann um die Wette, manchmal mehrfach am Tag. Da ist es gut, auch mal mit anderen Menschen und Berufsfeldern zu tun zu haben und Erfahrungen zu sammeln.«

Erfolge macht der Vater einer Tochter weniger an Spielen fest. Für ihn zählen mehr die gemeinsam erreichten Ziele und Werte, die sich Team und Verein in den letzten Jahren gesteckt hatten. Eine Mannschaft weiterentwickeln und ein Teil davon sein. »Die Mannschaften in den acht Jahren waren immer unterschiedlich, es hat in allen sehr viel Spaß gemacht. Das waren alles spannende Charaktere. Wir haben es geschafft, in einer so starken Liga, als Mannschaft so lange so stabil zu spielen. Es macht mich stolz, das mit Wetzlar geschafft zu haben, das ist nicht selbstverständlich.«

Die Begeisterung und Euphorie, die der Verein in den letzten Jahren in der Region entfacht hat, hat auch mit »Maxi« Holst zu tun. »Das wird mir nach meiner Karriere mehr bedeuten, als dass wir Kiel ein paar Mal geschlagen haben. Das waren sicherlich sportliche Highlights, aber das andere hat längeren Bestand.«

Holst hätte gerne weiter bei der HSG gespielt »Dass es dazu nicht gekommen ist, macht mich traurig und hat mich enttäuscht«, geht der Linksaußen allerdings nicht ganz ohne Groll. »Aber das sind Sachen, auf die ich keinen Einfluss habe. So ein Karriereende hat einen sehr hohen emotionalen Wert. Man beendet sie ja nicht unüberlegt. Da ist viel Herzblut und es hängt das ganze bisherige Leben daran, auch wenn es nur um ein oder zwei Jahre geht. Deshalb war das letzte Jahr das unschönste der letzten acht und überschattet natürlich sehr viele schöne Momente, die ich hier hatte.«

Dennoch freut sich Holst darauf, die Mannschaft am Sonntag als Kapitän aufs Feld zu führen. »Es wird ein spezieller Moment sein und etwas Besonderes, wenn man seine Profikarriere nach 15 Jahren beendet. Es wird Wehmut dabei sein, ein paar Sachen werde ich sicher vermissen.«

Den Fans dankt er für die Unterstützung, in guten wie in schlechten Zeiten. »Und dass sie mir den einen oder anderen verworfenen wichtigen Siebenmeter verziehen haben.«

Alexander Feld

Alexander Feld kam im Sommer 2019 von den Eulen Ludwigshafen nach Wetzlar. Es lief in der ersten Saison so gut für den Spielgestalter, dass er bereits nach vier Monaten seinen Vertrag verlängerte. »Dann wurde die Saison leider abgebrochen«, erinnert sich Feld ungern, »danach hat der damalige Trainer, warum auch immer, leider entschieden: Der spielt jetzt erst mal nicht mehr. Und dann hat das Ding seinen Lauf genommen.« Sportlich lief es danach unter Ex-Coach Kai Wandschneider eher mäßig, zudem setzte sich bei Feld die unheimliche Verletzungsserie seiner Karriere fort.

Im November 2021 beendete er eine halbjährige Verletzungspause. »Mein Comeback-Spiel gegen Balingen im vergangenen November nach meiner ersten Verletzung. Wie ich dort empfangen wurde, das ist das, was über allem steht. Diese empathische Art der Fans und die Reaktionen nach meiner zweiten Verletzung, wie viele Nachrichten ich aus der Region und dem Vereinsumfeld bekommen habe, das war überwältigend.«

Im Februar dieses Jahres setzte sich die Pechsträhne fort und im Spiel gegen den HSV - dem letzten Wetzlarer Heimsieg - riss das Kreuzband. Seinem lädierten Knie gehe es den Umständen entsprechend gut. »Ich bin mehr als im Zeitplan, obwohl es langsam, in kleinen Schritten voran geht.« Sein neuer Club, die HSG Nordhorn-Lingen, wird wohl noch warten müssen, ehe er wieder auf dem Parkett steht. Die drei Jahre in Mittelhessen waren für Feld nicht immer einfach. »Ich nehme viel Positives mit, habe aber auch viel Negatives erleben müssen. Dennoch blicke ich auf eine schöne Zeit zurück.«

Filip Mirkulovski

Ein anderer geht nur ein bisschen. Die Rede ist von Filip Mirkulovski, der zwar seine Handballschuhe an den Nagel hängt, der HSG aber als Co-Trainer erhalten bleibt. Eigentlich wollte er sich bereits vor zwei Jahren als Spieler verabschieden, doch es sind zwei Jahre als Standby-Spieler hinzugekommen, gekoppelt mit der Aufgabe als Co-Trainer. »Im letzten Jahr bei Kai Wandschneider war ich sogar noch richtiger Spieler, Kai wollte das so«, erklärt der Nordmazedonier. In diesem Jahr ist Mirkulovski mehr Co-Trainer als Spieler, kam aber dennoch auf seine Einsätze. »Wir hatten Pech mit Verletzungen, deshalb darf ich noch ein bisschen spielen«, schmunzelt er.

Vor zwei Jahren wurde die Saison abgebrochen, zu einem Abschiedsspiel wäre es nicht gekommen. Umso mehr freut sich Mirkulovski auf Sonntag. »Ich freue mich sehr auf das letzte Spiel meiner Karriere, das wir hoffentlich mit einem Sieg beenden. Ich habe mein letztes Spiel im Nationaltrikot mit einem Sieg beendet und das hoffe ich auch mit Wetzlar.«

Als schwierigste Zeit beziffert er das erste seiner sieben Jahre. »Ich kam erst im September zum Verein und hatte anfangs eine Verletzung. Danach war eine super Zeit für mich«, die für ihn die Krönung in den Siegen gegen und in Kiel fand. Das größte Highlight dagegen war das Pokal-Final 4 in Hamburg. »Wir haben gegen Stuttgart im Viertelfinale gewonnen und ich habe unglaublich gut gespielt in dieser Partie. Der größte Erfolg ist sicher der sechste Platz in der Bundesliga, wo wir 41 Punkte geholt haben.«

Nun wächst der Familienvater Schritt für Schritt in seine neue Rolle als Trainer. Von seinen Lehrmeistern Lino Cervar, Kai Wandschneider und Jasmin Camdzic nimmt er viel mit. »Und auch von Ben (Matschke) kann ich sehr viel lernen.«

Im September wird Mirkulovski 39 Jahre alt und blickt auf eine 22-jährige Karriere zurück. »Es war ein großer Traum, in der Bundesliga zu spielen. Wetzlar ist der perfekte Verein, um meine Karriere zu beenden. Und mein Körper ist dann auch fertig. Ich freue mich sehr, ohne Schmerzen weiterzuarbeiten«, lacht er.

Einen Appel richtet er an die Fans der HSG: »Wir brauchen die Unterstützung nächstes Jahr noch mehr, weil wir die jüngste Mannschaft der Bundesliga haben werden. Das ist für die jungen Spieler sehr wichtig.« Er selbst war sich dieser Begeisterung der Zuschauer immer bewusst. »Die Fans sind fantastisch, die sind immer hinter uns. Ich freue mich sehr, weitere zwei Jahre die Atmosphäre hier in der Arena erleben zu dürfen.«

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Tschüss nach drei Jahren sagt Alexander Feld. FOTO: OV © Oliver Vogler
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Das wars’s: Till Klimpke verabschiedet Maximilian Holst. OV © Oliver Vogler

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