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»Das öffnet die Augen«

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Von: Sven Nordmann

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Kollektiver Jubel: »Wir sind gerade eine Mannschaft. Das sieht man einfach, wenn du schon ein paar Jahre Fußball spielst«, sagt Lynn Schwarzhaupt. © Imago Sportfotodienst GmbH

Die Reiskirchenerin Lynn Schwarzhaupt spielt seit ihrem siebten Lebensjahr Fußball und erklärt im Interview vor dem EM- Finale der deutschen Frauen, wie die Entwicklung dem Frauenfußball helfen kann - und was diesen auszeichnet.

Seit 14 Jahren spielt Lynn Schwarzhaupt Fußball in Reiskirchen - die 21-Jährige freut sich über die EM-Euphorie in Deutschland vor dem Finale am Sonntag (18 Uhr, ARD/DAZN, Wembley-Stadion gegen England) und sagt: »Das öffnet gerade die Augen: Frauenfußball kann so spannend sein.«

Schwarzhaupt, die in Reiskirchen wohnt, zuletzt auch die U16 der dortigen SG trainierte und nun zu Kreisoberligist SG Kinzenbach wechselt, reflektiert ihre Eindrücke von männlichen Kollegen, erklärt, wie sich auch der Frauenfußball vor Ort entwickelt und was sie an ihrem Sport liebt.

Frau Schwarzhaupt, sind Sie wie so viele Deutsche in diesen Tagen im EM-Fieber? Wie haben Sie die Frauen-Länderspiele zuletzt verfolgt?

Ich verfolge die Entwicklung mit Freude. Ein Stück weit ist das alles gerade ungewöhnlich. Mir fällt auf, dass auch bei männlichen Freunden das Interesse da ist. Wir haben bislang meistens spontan in Kleingruppen geschaut. Es ist einfach schön zu sehen, dass jetzt viele erkennen, dass die Klischees einfach nicht zutreffen. Frauenfußball kann so spannend sein - es ist schlicht etwas anderes.

Woran machen Sie es fest, dass die Zuschauerrekorde für eine Frauen-EM schon vor den Viertelfinalspielen gebrochen wurden und das Interesse nunmehr so groß ist?

Ich glaube, die Zeit passt gerade einfach. Ein großes Event, die deutschen Frauen sind erfolgreich - ich weiß von einigen Freunden, dass sie Nationalspielerinnen nun auf Instagram folgen. Viele schalten ein, um mitreden zu können. Was mich persönlich beeindruckt hat: Ich war vor Kurzem auf Mallorca. Dort wurden die EM-Spiele am Ballermann auf einer großen Leinwand übertragen - und die Männer haben mitgefiebert.

Was beeindruckt Sie sportlich an der Leistung der deutschen Fußballerinnen?

Der Teamspirit. Wir sind gerade einfach eine Mannschaft. Das Zwischenmenschliche stimmt. Das sieht man einfach, wenn du schon ein paar Jahre Fußball spielst. Du merkst, ob du dir einig bist im Team, ob die Flüssigkeit im Spiel da ist. Jeder weiß, was zu tun ist und kennt sich blind.

Wie schätzen Sie die Chancen vor dem Endspiel am Sonntag gegen Gastgeber England im Wembley-Stadion ein?

Ich glaube, auf den Heimvortei haben viele schon vergebens gesetzt. Da denke ich nur an Brasilien und 2014. Es wird für beide schwer. Ich sehe keine überlegene Mannschaft. Ich habe auf jeden Fall vor, es mir mit Freunden anzugucken - das verbindet einfach.

Welttrainer Jürgen Klopp überraschte die Nationalelf mit einem Motivationsvideo vor dem Halbfinale, in dem er u. a. erklärte, bei den bisherigen drei Partien, die er gesehen habe, von der Geschlossenheit beeindruckt gewesen zu sein. Bundeskanzler Olaf Scholz wird am Sonntag im Stadion sein. Wie denken Sie darüber?

Klopps Nachricht hilft, dass jetzt gerade die Augen geöffnet werden: Frauenfußball ist nicht langweilig. So eine Aussage von solch einem angesehenem Trainer hilft dem Frauenfußball. Es wäre doch toll, wenn wir wüssten, dass wir bei Großevents der Frauen nun jetzt immer solche Einschaltquoten haben. Ansonsten denke ich, dass einige Politiker den Moment nun auch für sich nutzen wollen.

Sie spielen seit ihrem siebten Lebensjahr Fußball - wie fielen über all die Jahre die Reaktionen aus?

Wenn ich neue Leute kennengelernt habe, fanden das vor allem die Männer immer cool. So hatten sie gleich ein gemeinsames Gesprächsthema. Lustigerweise wollte gerade meine Mama früher nicht, dass ich Fußball spiele, weil das ein ›Männerding‹ sei. Teilweise kann man Frauen- und Männerfußball auch einfach nicht miteinander vergleichen.

Inwiefern?

Gerade beim Futsal in der Halle sehe ich das: Die Männer spielen einfach deutlich schneller. Wenn sie in der Halle nach uns dran sind, dann ist das schon noch mal ein anderes Tempo. Das muss man einfach so sagen.

Gibt es auch etwas, das der Frauenfußball hat, was dem Männerfußball aber fehlt?

Spontan kommt mir da: Frauen heulen auf dem Platz nicht so rum wie Männer. Wir stehen nach einem Foul meistens schneller wieder auf. Es gibt im Profibereich auch vereinzelt Frauen, die abgehoben sind, aber im männlichen Profibereich ist das sicher öfter vertreten. Frauen bleiben, vielleicht auch, weil es einfach weniger zu verdienen gibt, auf dem Boden.

Wie stehen Sie zur Prämiendiskussion? Die männlichen Nationalspieler hätten bei einem EM-Titel zuletzt jeder 400 000 Euro kassiert, die Frauen würden beim EM-Sieg nun 60 000 Euro erhalten. Sollte eine Angleichung stattfinden?

Ich kann da beide Seiten verstehen. Objektiv betrachtet ist das natürlich nicht fair. Aber im Männerfußball fließen nun mal im Gesamten ganz andere Gelder. Wenn die Nachfrage bei den Frauen insgesamt steigt, dann können sich auch die Prämien angleichen.

Wird der Frauenfußball in Deutschland zunehmend professioneller?

Ich denke ja. Wenn ich alleine auf meinen ehemaligen Verein aus Reiskirchen schaue: Da gibt es zwei talentierte Mädchen aus der U12, die jetzt von Wetzlar angesprochen wurden. Wenn die beiden wollen und viel investieren, kann es weit gehen. Die Sichtung findet statt - aber das geht nicht von heute auf morgen.

Abschließend: Was lieben Sie am Fußball?

Ich bin ein totaler Teammensch. Ich liebe es, mit meinen Mädels aufzulaufen und mich blind mit ihnen zu verstehen. »Gewinnen wollen, verlieren können.« Dieser Satz hat mich als Mädchen geprägt. Ich kann dadurch besser mit Verlusten umgehen. Sich im Training auszupowern und dann nach Hause zu fahren, gibt mir einfach immer wieder ein gutes Gefühl.

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LynnSchwarzhaupt_290722_4c © Red

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