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Drei hessische Fußballfunktionäre fordern: »Das muss sich im Verband endlich ändern«

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Von: Sven Nordmann

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Sind trotz der Herausforderungen für den heimischen Amateurfußball optimistisch gestimmt (v. l.): Thorsten Balser (stellvertretender Vorstand TSF Heuchelheim), Jörg Jackl (Abteilungsleiter Fußball TSV Hungen) und Stefan Mandler (Qualifizierungsbeauftragter des Hessischen Fußballverbandes) im Gespräch mit Sportredakteur Sven Nordmann. © Tim Balser

Was muss der heimische Fußball verändern, um auch in zehn Jahren gut dazustehen? Mit Jörg Jackl, Thorsten Balser und Stefan Mandler erheben drei erfahrene Funktionäre ihre Stimme - und fordern eine Saison von März bis November, kleinere Ligen und Mut für Neuerungen auf allen Ebenen.

Ihr Wort hat Gewicht. Wenn drei der heimischen Urgesteine im Fußballfunktionärswesen erklären, dass die Strukturen des Hessischen Fußballverbandes »starr«, teilweise »schizophren« und »altmodisch« sind, dann liegt das daran, dass Thorsten Balser, Jörg Jackl und Stefan Mandler viel Änderungsbedarf für die Organisation des heimischen Amateurfußballs sehen.

»Wir müssen uns endlich Neuerungen gegenüber öffnen. Sonst holt uns die Entwicklung ein«, sagt der 57-jährige jahrzehntelange Abteilungsleiter des TSV Hungen, Jörg Jackl (Lich). »Beim Verband wird der Fußball zu sehr verwaltet anstatt gestaltet«, kritisiert der 55-jährige Stefan Mandler (Krofdorf-Gleiberg), selbst Qualifizierungsbeauftragter beim Fußballkreis.

Und der stellvertretende Vorsitzende und stellvertretende Fußball-Abteilungsleiter der TSF Heuchelheim, Thorsten Balser (59, Heuchelheim), sagt: »Der Verband darf verstehen, dass er Dienstleister der Vereine ist! Es braucht dringend Neuerungen!«

Welche Veränderungen sich die drei erfahrenen Ehrenamtler für die Spielklassen, die Wechselfristen und Anreize für Helfer wünschen, erklären sie im Gespräch mit dieser Zeitung.

Welches Thema liegt Ihnen besonders am Herzen? Welche Veränderung braucht es im hessischen Amateurfußball unbedingt?

Thorsten Balser: Wir diskutieren seit zehn Jahren über die Spielklassenreform. Sie muss endlich kommen. Unser Wunsch ist, dass keine Liga mehr als 16 Mannschaften hat. Das würde dafür sorgen, dass man die Wochenspieltage umgehen kann. Die belasten die wenigen Ehrenamtlichen. Es wäre außerdem möglich, diese 30 Spiele von März bis November auszutragen. Unser zweiter großer Wunsch ist also, die Saison im Amateurfußball endlich an den Kalender und das Wetter anzupassen. Auch mit Blick auf die Energiepreise, die im Winter noch mehr zuschlagen als im Sommer.

Jörg Jackl: Wir pausieren im Juni und Juli, wenn es am schönsten ist, wenn es am längsten hell ist, wenn wir die meisten Zuschauer auf den Plätzen hätten.

Stefan Mandler: Im Sommer kannst du die Jugendlichen mit Spielfesten oder Blitzturnieren auch besonders gut beschäftigen. Natürlich fahren viele Familien in den Urlaub, aber nicht für sechs Wochen.

Balser: Zumal sich die Gesellschaft verändert hat. Früher haben wir unseren Jahresurlaub noch an der Saisonplanung ausgerichtet. Heute fahren Spieler in den unteren Ligen auch in der Vorbereitung oder während der Saison in den Urlaub. Das macht keinen Unterschied mehr!

Könnten auch die Energiepreise ein Argument für den Sommer-Wechsel darstellen?

Balser: Absolut. Eine an den Jahresrhythmus angepasste Saison hätte noch viele weitere Vorteile. Was, wenn mir der Bürgermeister im Winter angesichts der Energie-Krise sagt: ›Bitte ab sofort nicht mehr an fünf Tagen in der Woche Flutlicht?‹

Jackl: Im Winter kostet es nun mal mehr, Vereinsheime zu heizen, als im Sommer.

Mandler: Ich glaube, dass einige Vereine angesichts der steigenden Preise noch gar nicht wissen, was auf sie zukommt.

Jackl: Zumal du als Verein ohne Kunstrasen in den Wintermonaten zusätzliche Kosten hast, weil du pro Trainingseinheit bestimmt 150 Euro für die Anmietung eines Kunstrasenplatzes samt Licht, Umkleide usw. zahlst.

Balser: Neben der Reduzierung der Mannschaftszahl und der Anpassung der Saison von März bis November wünschen wir uns, dass regionsübergreifender gedacht wird. Es ist zunächst mal nicht entscheidend, wer welches Modell favorisiert, ob wir eine Hessenliga, zwei Verbandsligen und sechs Gruppenligen installieren oder stattdessen vier neue Landesligen und acht Gruppenligen. Es gibt verschiedene Modelle. Es geht darum, dass klar diskutiert wird und das Präsidium des Hessischen Fußballverbandes erkennt, dass es notwendig ist, zu reagieren und Veränderungen mit Entscheidungen anzustoßen. Denn aktuell fußt die Aufteilung der Klassen schlicht auf der Historie. Das ist veraltet.

Mandler: Es braucht eine klare Definition, was einen Fußballkreis ausmacht. Aktuell sind die Kreise vollkommen unterschiedlich aufgestellt. Es wäre deutlich sinnvoller, eine Neuordnung mit Regionen vorzunehmen.

Balser: Wir in Gießen leben von der Anzahl der Mannschaften verhältnismäßig noch in einer grünen Oase. Aber manche Kreise schrumpfen und schrumpfen.

Jackl: Ohne Gießen wäre der Fußballkreis Alsfeld seit Jahren nicht spielfähig. In unserer Gießener A-Liga steigen bis zu sieben Mannschaften ab - das ist mehr als ein Drittel der Liga. Und in der Alsfelder A-Liga steigen drei Teams ab. In dem Kreis, den du versuchst, am Leben zu erhalten, passiert nicht viel. Und wir Gießener A-Ligisten müssen um die Existenz spielen. Da wäre es aus unserer Sicht deutlich sinniger, die Alsfelder A-Liga auseinanderzupflücken, die Gießener Vereine zurückzuholen und eine Neuaufteilung vorzunehmen.

Balser: Wir müssen in Zu-kunft jedenfalls mehr über geografische Zuordnungen kommen.

Mandler: Von Heuchelheim nach Hungen ist es doch nicht weiter als nach Niedergirmes oder Oberbiel. Wir brauchen einfach Flexibilität. Die aktuelle Aufteilung, das jetzige System, das ist zu starr.

Balser: Der Verband muss in die Vorreiterrolle gehen. Das Argument, dass es Herausforderungen wie bei uns in Frankfurt nicht gibt, kann nicht gelten. Da fahre ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Auf dem Land werden mit diesem jetzigen System teilweise Kilometer hirnrissig verbrannt. Hier brauche ich das Auto, hier braucht es im Jugendbereich Eltern, die sich bereit erklären, zu fahren.

Jackl: Wir müssen geografischer denken und wirklich darauf achten, die Anzahl der Mannschaften auf 16 zu halten, in den B-Ligen besser auf 14. Wir haben mit unserer FSG Hungen/Villingen/Nonnenroth im August sieben Spiele absolviert und treten bis zum Dezember an jedem Wochenende an, dazukommen zwei Wochenspieltage. Am Bratwurststand stehen dann meist die gleichen Personen, die ihre Zeit hergeben.

Mandler: Das hörst du auch von den Spielern. Wir leben mittlerweile einfach in einer anderen Zeit.

Balser: Bei unseren Gruppenliga-Fußballern der TSF Heuchelheim sehe ich immer öfter, dass aufgrund der Belastungssteuerung auch in Kleingruppen trainiert wird. Da laufen vier mal nur locker, zwölf spielen Fußball-Tennis und acht trainieren normal. Es braucht einfach eine Entschlackung des Spielplans.

Zumal die Jugendabteilungen künftig nicht mehr Spielermaterial produzieren dürften, oder?

Mandler: Weniger Spiele sind auf Sicht auch einfach deshalb notwendig, weil weniger Spieler nachkommen. Es fängt unten an. Wir müssen den Fokus wieder mehr auf unsere Jugend legen, wenn wir langfristig Spaß am Fußball haben wollen. Dafür dürfen wir nicht zu früh auf die Leistung schauen. Vor der D-Jugend brauchen wir keinen geregelten Spielbetrieb. Es gibt in der E-Jugend einfach kein wichtiges Spiel! Da sollen sich die Kinder ausprobieren dürfen. Wenn wir zu früh Ergebnisdruck ausüben, demotivieren wir unsere Kinder. Und so verlieren wir dann gegebenfalls einen Spieler als C-, B- oder A-Jugendlichen, der sonst weitergemacht hätte. Er wird dann auch kein Seniorenspieler und auch kein Funktionär. Wir verlieren so einen Spieler sozusagen gleich fünfmal!

Jackl: Wir müssen mehr dahin kommen, erst zu fördern und dann zu fordern. Wenn die Struktur da früh stimmt, bleiben die Kinder dabei und die Eltern haben das Gefühl, dass der Verein wie eine Familie wird. Dann beteiligt man sich und später kommen Ehrenamtler heraus. Du musst die Eltern einfach mitnehmen.

Mandler: Um den Ergebnisdruck rauszunehmen und das starre System des Verbandes aufzuweichen, braucht es mehr Flexibilität. Funino war ein guter Start. Warum kein sieben gegen sieben auch in der D- oder C-Jugend? Es muss nicht immer neun gegen neun oder elf gegen elf sein.

Jackl: In Hungen stellen wir aktuell drei C-Jugend-Mannschaften, eine davon ist als Neuner-Mannschaft gemeldet. Es ist uns zu riskant, drei Mannschaften auf üblicher Basis zu melden, wenn wir an die Konsequenzen mit Geldstrafen usw. denken. Wenn ein Teil mal auf Klassenfahrt ist und wir nicht elf Spieler stellen können, kommt die Strafe. Das wäre Spitz auf Knopf.

Mandler: Das ist ja aber auch ein Thema für sich. Bei allem, was passiert, wird bestraft. Wenn du etwas gut machst, wirst du aber selten belohnt. Wenn sich die Trainer kurzfristig einigen, dass ein Jugendspiel verlegt wird, aber das nicht fristgerecht eingetragen wird, gibt es eine Strafe. Heute muss alles über das System laufen. Ein Dienstleister bestraft nicht.

Welche Veränderungen wünschen Sie sich noch?

Mandler: Dass Verantwortliche im hessischen Fußballverband nicht aus Eigeninteresse am Posten kleben, sondern es um die Sache geht. Dass mehr Menschen von der Basis Entscheidungen treffen dürfen. Es wird zu viel Fußball verwaltet statt gestaltet. Das geht oft am Spielerinteresse vorbei.

Balser: Wir brauchen ein System, das entlohnt, wenn ich etwas geleistet habe. Der Status des Vertragsspielers muss weg. Es kann nicht sein, dass Spieler, die schon bei einem Verein aufgelaufen sind, locker, leicht während der Saison mit einem Amateurvertrag weggelockt werden können. Und wenn du Pech hast, wird dir ein Spieler im Erwachsenenalter noch via Amateurvertrag abgeluchst und du bekommst keinen Cent Ausbildungsentschädigung, trotz mehrjähriger Arbeit. Wir kennen Fälle, in denen A- und B-Ligisten Vertragsspieler anstellen. Der Verband muss klar trennen, wo die Grenze verläuft zum Amateurbereich.

Jackl: Wenn wir nur eine Wechselfrist im Winter haben und von März bis November spielen, könnte man auch dieses Problem insgesamt besser umgehen. Wer Anfang März zum Kader zählt und eine Partie absolviert hat, spielt in dieser Saison bei meinem Verein, fertig.

Wie können sich Vereine für die Zukunft rüsten, um personell gut aufgestellt zu sein?

Mandler: Vereine dürfen sich professioneller aufstellen und über Teil- oder Vollzeitanstellungen in der Geschäftsstelle nachdenken. Diese Personen finanzieren sich meist selbst. Ich kenne gute Beispiele. Oft wird ein Verein in der Geschäftsstelle vom Vorsitzenden oder einem Vorstandsmitglied sporadisch vertreten. Aber diese Personen kümmern sich selten um die Hintergründe, was Fördermöglichkeiten usw. angeht. Warum nicht eine Frau anstellen, die Wirtschaftskenntnisse hat und nach ihrer Schwangerschaft wieder halbtags arbeiten will? Oder einen Berufseinsteiger, der Verwaltungskenntnisse hat. Mit 24 000 bis 30 000 Euro im Jahr können sich diese Personen selbst finanzieren - es gibt so viele Zuschussmöglichkeiten. Und so bist du als Verein abgedeckt. Wir müssen dahin kommen. Denn rein ehrenamtlich wird das auf Dauer kaum noch funktionieren. So einen Verein zu führen, das ist ja teilweise ein zweiter Job. Menschen wie Jörg Jackl oder Thorsten Balser findest du heute immer seltener. Es gibt die jungen Leute, natürlich. Aber du musst Anreize schaffen. Das heißt dann auch: Jugendtrainer bezahlen, mit 15 Euro in der Stunde!

Balser: Da reden wir natürlich über gesammtgesellschaftliche Wahrnehmung: Welchen Stellenwert hat die Jugendarbeit heutzutage?

Mandler: Wir brauchen eine klare Bezahlung für unsere Jugendtrainer in Deutschland. Es kann nicht sein, dass ein A-Liga-Trainer im Seniorenbereich, der zweimal in der Woche gestandene Männer trainiert, 600 bis 800 Euro dafür bekommt und ein Jugendtrainer, der Kinder von der Straße holt, sie begleitet und ihren Charakter mitentwickelt, umsonst arbeiten soll. Mit welcher Berechtigung?

» Lesen Sie morgen: Nach den drei erfahrenen Ehrenamtlern erklären nun vier junge Fußballfunktionärinnen, was sie sich für die Zukunft wünschen: Lea Balser (TSF Heuchelheim), Mira Dahmen-Stang, Maria Tatsch (beide BW Gießen) und Laura Nickel (TSG Leihgestern) über notwendige Veränderungen im Jugendfußball.

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