46ers schaffen Sensation

Das zweite Halbfinale der Playoffs in der 2. Basketball-Bundesliga Pro A geht an die Gießen 46ers. 79:76 schlagen die stark ersatzgeschwächte Mittelhessen nach 40 umkämpften Minuten vor über 3000 Zuschauern Favorit Rasta Vechta zum 1:1-Serien-Ausgleich. Damit steht fest: Am kommenden Freitag gibt es ein weiteres Heimspiel.
Vor 3012 Fans in der Sporthalle Gießen Ost und damit vor einer Rekordkulisse seit der Pandemie waren es am Sonntagabend Einsatz, Wille und Leidenschaft, die den Unterschied zugunsten der 46ers gegen den Favoriten und Hauptrundensieger Vechta machten. »Ich habe meine Mannschaft schon oft gelobt, aber heute haben sie sich selbst übertroffen«, war 46ers-Headcoach »Frenki« Ignjatovic voll des Lobes. Nach dem 79:76 (40:38)-Sieg steht es in der Halbfinalserie zwischen den 46ers und Rasta Vechta 1:1, der Sieger des Best-of-five-Duells steigt in die Bundesliga auf. Spiel drei findet am Mittwoch (19.30 Uhr) bei den Niedersachsen statt. Durch den Sieg steht fest: Spiel vier der Serie steigt am kommenden Freitag um 19.30 Uhr an der Lahn.
Was die 46ers in diesem hart umkämpften Match geleistet hatten, grenzte an ein Sportwunder. Ohne die verletzten Luca Kahl, Stefan Fundic und ohne den aufgrund einer Vertragsklausel aussetzenden Ex- Vechtaer Enosch Wolf musste Ignjatovic erneut ohne drei Stammkräfte rotieren. Vor allem unter den Brettern klaffte wie im ersten Spiel eine Lücke, die im Gegensatz zur Partie am Freitag (82:99-Niederlage) aber durch eine Reihe an anderen Elementen gefüllt wurde.
Da wäre zunächst die euphorische Heimkulisse zu nennen. Die Fans in der Osthalle zauberten eine Playoff-Stimmung, wie man sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte. Vor dem Spiel wurde der verletzte Fundic (Meniskusschaden) mit Gesängen und Bannern (»Fundic werd gesundic«) bedacht. Während der Partie brachten sie die Niedersachsen durch 40 Minuten Dauer-Bambule aus der Fassung. MVP-Kandidat und Center-Ass Tajuan Agee (4 Punkte) zeigte Nerven, kämpfte mehr mit sich selbst und stachelte die Fans durch Gesten zusätzlich an.
»Unser Gameplan war einfach, wir wollten mit anderer Energie spielen«, ergänzte Ignjatovic den zweiten Baustein zum späteren Sieg. »Das waren Dinge wie Körpersprache, die Eins-gegen-Eins-Defense. Das ist über weite Strecken gut gelungen, auch wenn es kein perfektes Spiel von uns war.« Tatsächlich verwaltete Gießen meist eine solide Führung, die aber im dritten und vierten Viertel kippte. »Wir haben etwas den Kontakt verloren, lagen zurück, haben uns dann aber toll zurückgekämpft«, sagte Justin Martin, der kurz zuvor von der ganzen Halle mit Gesängen bedacht worden war und Handküsse ins Publikum warf. Der siegbringende Dreier aus NBA-Distanz war dem Forward in der Schlussminute gelungen. »Es war einfach ein verrücktes Spiel, vom Anfang bis zum Ende«, sagte Martin.
Im zweiten Viertel gelangen den Hessen acht Dreier bei elf Versuchen, die eine knappe 40:38-Halbzeitführung bedeuteten. Das Spiel wurde in dieser Phase hitziger. Nach dem Seitenwechsel gewann Vechta Fahrt und verwandelte ein 58:46 der Gießener (26.) in eine Führung: Joschka Ferner zimmerte von ganz weit draußen einen Dreier durch die Reuse (66:64, 33.) und ließ sich von den 40 mitgereisten Vechta-Fans bejubeln. Diese schlugen auf ihre mitgebrachten Klatschpappen ein und waren sicher, die 46ers nun geknackt zu sehen.
Mit der dritten und vierten Luft aber machte Gießen Boden gut. Gerade defensiv ackerte man wie irre, jedes Duell um Rebounds glich einer epischen Schlacht. Kevin Strangmeyer durfte in der Crunchtime viel spielen. »Ich habe einfach an nichts gedacht in dieser Phase, da schaltet man den Kopf komplett aus«, sagte der 22-Jährige, der mit vier Punkten - darunter zwei Freiwürfen in der Schlussminute - die Führung zurückgeholt hatte (75:74, 40.).
Als Martin jenen oben beschriebenen Dreier - es war der 17. der 46ers an diesem Abend - aus fast neun Metern und tief ins Gesicht seines Gegenspielers zum 78:76 durch die Reuse hämmerte, kannte die Freude in der Halle keine Grenzen mehr. Martin sprang über die Bande und in den Fanblock der Gießener Anhängerschaft. Vechta hatte noch 21 Sekunden. Ignjatovic beschrieb später, dass sein Team in dieser Zeit eigentlich foulen sollte. »Das haben sie aber nicht gemacht.« Ferner hätte mit einem Dreier die Klatschpappen der Gästefans fast noch zum Glühen gebracht. Der Wurf verpasste mit leichtem Linksdrall aber sein Ziel, Martin kontrollierte die Murmel, wurde gefoult und hielt den Sensationssieg an der Linie fest.
»Blickt man auf die Statistiken, so haben wir nicht gewonnen, weil wir 20 Rebounds weniger hatten oder die bessere Dreierquote. Wir haben gewonnen, weil wir ein Topteam wie Vechta zu 19 Ballverlusten gezwungen haben«, nannte Ignjatovic das finale dritte Element des Gießener Siegs. »Bei der kleinen Rotation ist das eine sensationelle Leistung. Ich bin fest überzeugt, dass wir es über 40 Minuten auch mehr verdient hatten.«
Gießen: Barnes (17/4 Dreier, 11 Assists), Brauner (21/7), Figge (7/1), Cvorovic (6), Martin (22/5), Strangmeyer (4), Nyama (2), Miksic.
Vechta: Jänen, Jones (11), Ferner (9), Lodders (5), Agee (4), Schwieger (10), Wolf, Smit (3), Aminu (16), Flanigan (6), Bohannon (12) .
Spiel 2:
Karlsruhe - Tübingen 70:83 (Playoff-Stand: 0:2)
Gießen - Vechta 79:76 (Playoff-Stand: 1:1)
Spiel 3:
Tübingen - Karlsruhe 23. Mai (Dienstag), 19.30
Vechta - Gießen 24. Mai (Mittwoch), 19.30
Evt. Spiel 4:
Karlsruhe - Tübingen 25. Mai (Donnerstag), 19.30
Gießen - Vechta 26. Mai (Freitag), 19.30
Evt. Spiel 5:
Tübingen - Karlsruhe 27. Mai (Samstag), 19.30
Vechta - Gießen 28. Mai (Sonntag), 18.00
