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Erst Strukturen schaffen, dann Angriff auf das Oberhaus

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Von: Ralf Waldschmidt, Markus Konle

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Blick zurück und nach vorne: 46ers-Aufsichtsratsmitglied Dr. Lars Witteck, der Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Greilich sowie der geschäftsführende Sportdirektor Sebastian Schmidt (hinten, v. l.) im Gespräch mit AZ-Sportchef Ralf Waldschmidt (vorne links) und Sportredakteur Markus Konle.
Blick zurück und nach vorne: 46ers-Aufsichtsratsmitglied Dr. Lars Witteck, der Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Greilich sowie der geschäftsführende Sportdirektor Sebastian Schmidt (hinten, v. l.) im Gespräch mit AZ-Sportchef Ralf Waldschmidt (vorne links) und Sportredakteur Markus Konle. © Harald Friedrich

Nach dem Abstieg der Gießen 46ers aus der BBL muss sich einiges verändern. Im großen Interview geben sich die Entscheider schonungslos offen.

Gießen – Die Gießen 46ers stehen nach dem Abstieg aus der Basketball-Bundesliga vor einem Neuaufbau. In den nächsten Jahren sollen in der Pro A die notwendigen Veränderungen eingeleitet werden, um in zwei, drei Jahren die Rückkehr ins Oberhaus in Angriff nehmen zu können.

Der Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Greilich, Aufsichtsratsmitglied Dr. Lars Witteck und der geschäftsführende 46ers-Sportdirektor Sebastian Schmidt geben sich im Gespräch selbstkritisch - aber auch optimistisch. Auch in der Frage nach einer neuen Spielstätte für die 46ers sehen sie den Klub auf einem guten Weg.

Herr Greilich, Herr Dr. Witteck, was ist aus Ihrer Sicht in dieser Saison bei den 46ers schiefgelaufen?

Greilich: Fast alles. Ich habe noch die Szene vor Augen, als McCullum sechs Wochen vor Saisonbeginn im Trainingsspiel auf die Schulter geknallt und dann ausgefallen ist. Das war der erste Schritt von vielen. Dazu kam, dass es bei den Nachverpflichtungen hätte besser laufen können.

Witteck: Es haben uns wichtige Spieler verlassen. Teilweise aus tragischen privaten Umständen. Die Nachverpflichtungen haben nicht eingeschlagen. Das ist der sportliche Punkt. Und wir sind in der Konsolidierung unserer Infrastruktur nicht so weit gekommen, wie wir das gerne haben wollen. Ganz generell: Um eine erfolgreiche Saison zu spielen unter erschwerten Bedingungen, die auch etwas mit der Pandemie zu tun haben, hätten alle überperformen müssen – Mannschaft, Trainer, Management, Gesellschafter, Aufsichtsrat. Das ist auf allen Ebenen nicht gelungen. In Gießen, wo wir so viele Baustellen haben, müssen wir jedes Jahr Höchstleistungen aufrufen, um die Klasse zu halten.

Gießen 46ers: Blake hatte Bedenken wegen Rückkehr

Herr Schmidt, welche Lehren ziehen Sie?

Schmidt: Zunächst muss ich sagen, dass ich so eine Saison mit den vielen Facetten noch nie hatte. Über Verletzungspech, über tragische Vorfälle im Privaten wie bei BJ Blake (Anm.: Ermordung seines Bruders), dazu die Vielzahl der Nachverpflichtungen, die daraus auch resultierten und die nicht das gebracht haben, was wir uns oft erhofft hatten. Das sind für mich die zentralen Punkte, aus denen man Lehren ziehen muss. Ich sehe das wie Lars: Aufgrund der Gesamtsituation in Gießen müssen alle überperformen. Wenn das nicht gelingt, ist der Abstieg die logische Konsequenz.

Wann war in der Saison der Wendepunkt. Die Mannschaft hat in den ersten Spielen ordentlichen gespielt, die Körpersprache war gut – doch plötzlich hat sie sich verändert.

Schmidt: Der erste richtige Bruch kam im November, als das mit BJ Blake passiert ist. Er war unser Anführer, der das Team zusammengehalten hat.

Wie sind Sie mit dieser Tragödie umgegangen?

Schmidt: Man ist erst mal betroffen. Direkt nach der Nachricht wollte er unbedingt spielen, danach in die USA. Als BJ zurückgekommen ist, hat man gemerkt: Das war – völlig nachvollziehbar – nicht mehr der BJ Blake, den man gekannt hat. Für uns war klar: Wir müssen versuchen, ihm zu helfen. Es war nachvollziehbar, dass er in die USA möchte – gerade vor dem Hintergrund, dass er keine leichten familiären Umstände in Seattle hat.

Eine Rückholaktion war ausgeschlossen?

Schmidt: Nein. Wir waren ab Januar in Gesprächen. Am Ende haben aber sowohl der Spieler als auch wir gesagt, dass eine Rückkehr vielleicht noch mehr Unruhe reinbringt. Weil BJ sich auch nicht sicher war, ob er die Erwartung, die jeder wieder an ihn gehabt hätte, erfüllen kann.

Gießen 46ers: Aufsichtsrat diskutierte über Trainerwechsel

Hätte man während der Saison den Trainer wechseln müssen?

Witteck: Wir haben uns im Dezember und im Januar zusammengesetzt mit der Sportlichen Leitung und haben das hinterfragt. Wir sind ein Aufsichtsgremium, wir maßen uns nicht an, sportliche Entscheidungen zu treffen. Nichtsdestotrotz besprechen wir diese Situationen. Die Sportliche Leitung hat für uns nachvollziehbar erläutert, dass das Rädchen, an dem zu drehen ist, im Bereich der Mannschaft liegt – nicht beim Trainer. Man stellt sich natürlich all die Fragen: Erreicht der Trainer die Mannschaft? Gibt es Unruhe? Gibt es einen Plan? Wir haben dann mit dem Trainer selbst gesprochen. Wir haben Teambuildingevents gemacht vom Aufsichtsrat her mit den Spielern und dem Trainerteam. Wir wissen es am Ende nicht, ob es richtig war, am Trainer festzuhalten.

In der Vergangenheit wurde proklamiert, dass das Controlling durch den Aufsichtsrat intensiviert werden sollte.

Greilich: Wir waren ständig im Austausch. Die Trainerfrage hat uns alle bewegt. Wenn ich zurückschaue, sehe ich nicht, wo der Wendepunkt mit einem Trainerwechsel hätte sein können.

Schmidt: Letztlich geht es bei einem Trainerwechsel nur darum, einen Impuls zu setzen. Für mich hat sich die Frage gestellt: Wenn wir einen Trainerwechsel vollziehen unter den Gesichtspunkten wirtschaftlicher Faktor und Veränderungen – welcher Trainer käme infrage, welcher Trainer ist auf dem Markt, nimmt man einen x-Beliebigen, nur weil man einen Impuls setzen möchte in einer eigentlich noch intakten Mannschaft? Für mich war nie zu spüren, dass der Trainer die Mannschaft nicht erreicht.

Nach dem Abstieg ist der Trainer getauscht worden. Geschäftsführer und Sportdirektor Sebastian Schmidt stand im Aufsichtsrat nicht zur Disposition. Warum?

Greilich: Wir haben in einem Treffen der Gesellschafter – bewusst ohne Sebastian Schmidt – das Thema diskutiert. Und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Sebastian Schmidt das Vertrauen der Gesellschafter hat. Damit war das Thema erledigt.

Witteck: Wir haben natürlich auch Erwartungen definiert. Wir haben uns sportlich und infrastrukturell nicht weiterentwickelt. Damit meine ich zum einen die äußere Infrastruktur – Halle, Trainingsmöglichkeiten, Physio. Damit meine ich Infrastruktur und Professionalität des Umfeldes und der Geschäftsstelle. Damit meine ich auch die Gesellschafterstruktur; ich bin nicht sicher, ob man in diesem Punkt den Stein der Weisen schon gefunden hat. Andere Clubs – ja, aus anderen Regionen mit anderen Möglichkeiten – sind deutlich an uns vorbeigezogen. Der Trend geht in die Metropolregionen, die potenter sind – Hamburg, Berlin oder München. Letztlich auch wie in Heidelberg, die ganz andere Möglichkeiten haben. Wenn wir da mithalten wollen, müssen alle eben genannten Steine zusammenpassen. Und da steht einer im Zentrum, der all diese Fäden zusammenhalten muss. Das ist die Erwartung, aber auch das Zutrauen und das Vertrauen, dass das funktioniert.

Lars Witteck
Lars Witteck © Harald Friedrich

Gießen 46ers: Neuer Trainer kommt spontan zu Grillabend

Wie bewerten Sie die Besucherzahlen in der Osthalle. Als es keine Beschränkungen mehr gab, waren selbst bei »Endspielen« nur rund 1000 Zuschauer da. Hat das Basketball-Interesse in der Region nachgelassen?

Schmidt: Das glaube ich nicht. Ich denke, für den Rückgang sind zwei Faktoren verantwortlich. Der eine ist die sportliche Komponente. Wenn man sich anschaut, dass 500 Gießener Fans mit nach Frankfurt reisen, sieht man, welche Bedeutung der Basketball in der Region hat. Und ich bin mir auch sicher, dass in der ProA die Osthalle gut besucht sein wird. Das andere ist: Alle BBL-Klubs, mit Ausnahme von Bonn, haben unter der Pandemie extrem gelitten, was die Zuschauer anging. Wir sind von der Auslastung her im oberen Drittel gewesen.

Was vielen gefehlt hat, war der Versuch, die Fans zu mobilisieren. Zum Beispiel vor den Spielen im Frühjahr, als man in früheren Spielzeiten z. B. Getränkestände vor der Halle aufgestellt hat, um die Anhänger aufs Spiel einzustimmen.

Witteck: Ich finde, das ist richtig in der Analyse. Ich bin froh, dass das jetzt wieder losgeht, so wie in den letzten drei, vier Wochen. Da gab es ein Sponsorentreffen in Kinopolis mit dem Dirk-Nowitzki-Film. Da waren über 80 Leute da. Am Dienstagabend gab es einen Grillabend für die Dauerkarten-Inhaber, bei dem der neue Coach unangemeldet vorbeigekommen ist. Und ja, das ist etwas, was eine der Aufgaben der Geschäftsstelle ist: Diese Bindung wiederherzustellen zu den Fans. Ich glaube schon, dass das Interesse hoch ist. Wir sehen das ja auch an den Erfolgen der Licher, wie die begleitet werden, an den Erfolgen der Pointers. Das ist alles super. Die Leute sprechen auch mit mir über die 46ers. Die Menschen fühlen und leiden mit. Dass sie das wieder mehr in der Halle machen, das ist eine der großen Aufgaben.

Greilich: Das hat auch viel damit zu tun, dass Besucher Spaß haben wollen. Ich denke zurück an die Zeit, als wir zum ersten Mal in die ProA gegangen sind. Auf einmal waren auch wieder mehr Leute in der Halle, weil guter Basketball gezeigt und Spiele gewonnen wurden. Das müssen wir wieder hinkriegen. Was mich optimistisch stimmt ist dieser Kern der Fans, um den sich die anderen gruppieren, der mit in Frankfurt war und der beim letzten Heimspiel bei aller Kritik mit Tränen in den Augen gesagt hat: Das geht hier weiter. Das haben wir auch bei dem Treffen der Dauerkarten-Inhaber gesehen. Erstens waren über 100 Leute da, was ich bemerkenswert fand, zumal es pausenlos geregnet hat. Und zweitens war die Stimmung gut. Die Leute wollen, dass es weitergeht.

Gießen 46ers: Mit Team-Etat unter Top 8 in der ProA

Wie stellt sich die wirtschaftliche Situation dar? Bleibt der Namenssponsor an Bord, wie sieht es bei weiteren Sponsoren aus?

Schmidt: Unser Namenssponsor Jobstairs bleibt an Bord. Weitere Verträge mit den großen Partnern laufen, zum Teil sind wir in Gesprächen. Man muss auch darüber reden, wie sieht die Zielsetzung der Partner auch für die kommenden Jahre aus. Und welche Ziele haben wir – das ist natürlich auf kurz oder lang die BBL. Bis jetzt hat jeder bestehende Premium-Partner gesagt, dass er uns die Treue halten wird.

Auch wenn Sie in der Vergangenheit nicht gerne über Zahlen gesprochen haben: Mit welchem Etat planen Sie für die ProA?

Schmidt: Man muss dabei verschiedene Facetten betrachten – das Gesamtbudget, das Teambudget, das Trainerbudget. Man kann ein Gesamtbudget von über 4,0 Millionen Euro haben, wenn man aber an einem Standort ist, wo für das ein oder andere extrem hohe Kosten anfallen, und man für die Mannschaft vielleicht nur ein Budget von 800 000 Euro bis 1,0 Millionen brutto hat, sind Budget-Zahlen schwer zu greifen. Ich werde auch jetzt keine Zahl nennen. Aber ich bin überzeugt, dass wir einen Etat auf die Beine stellen für die Mannschaft, mit dem wir unter den Top 8 in der Liga sind. Wir haben gesagt: Wir wollen im nächsten Jahr als Absteiger eine solide Saison spielen und in die Playoffs kommen. Dafür müssen wir auch den entsprechenden Etat hinbekommen.

Gießen 46ers: Steht Tradition manchmal im Weg?

Ist die Philosophie des Klubs die, ein Gießener Verein zu sein, oder haben die 46ers eine größere regionale Ausrichtung und sehen sich als Ankerverein für ganz Mittelhessen?

Schmidt: Ich sehe uns nicht nur als Stadtverein, sondern ganz klar für die Region stehend. Was in den vergangenen Wochen angelaufen ist, wird jetzt fortgesetzt – gerade für die Marke 46ers. Man hört immer das Wort Tradition, gerade verbunden mit den erfolgreichen 70er Jahren. Wir müssen auch schauen: Steht uns das Wort Tradition manchmal im Weg? Was denken die Leute, wenn sie an Gießener Basketball denken? Da sind wir gerade in einem Prozess. Der wird auch mit Sicherheit noch etwas dauern. Aber das wird eine zentrale Frage sein, um uns möglicherweise neu zu positionieren.

Greilich: Das heißt nicht, dass wir uns von der Tradition verabschieden. Sondern mit den Wurzeln im Kopf den Blick stärker in die Zukunft richten.

Witteck: Weitergeben der Flamme, nicht behüten der Asche.

Geschäftsführer Sebastian Schmidt hat das Ziel Playoffs für die ProA formuliert. Mit welchen Erwartungen geht der Aufsichtsrat in die neue Saison?

Greilich: Wir wollen, so wie es Sebastian gesagt hat, die Playoffs erreichen. Das ist das sportliche Ziel. Und wir wollen drumherum unsere Strukturen deutlich verbessern. Das heißt nicht ausdehnen, was zum Beispiel den Apparat angeht, sondern im Gegenteil: Wir müssen darauf achten, das ist die Vorgabe auch an der Geschäftsführer, dass wir den Schwerpunkt aufs Sportliche legen und versuchen, sonstige Kosten zu reduzieren, wo immer das geht. Dabei müssen wir auch an unsere Strukturen ran. Das ist sowohl das Hallenthema, in dem wir mit der Stadt im Gespräch sind. Wir waren bei diesem Thema noch nie so gut im Gespräch wie das seit ein paar Monaten der Fall ist. Das finde ich höchst erfreulich. Auf der anderen Seite haben wir intern Aufgaben zu erledigen.

Welche denn?

Greilich: Da sind die Stichworte schon gefallen. Die Gesellschaftsstruktur war damals auf einer breiten Basis angelegt, um einen Neustart zu ermöglichen. Das haben wir auch geschafft. Auf längere Sicht hin zeigen sich auch die Schwierigkeiten einer so breiten Gesellschafter-Struktur. Darüber diskutieren wir. Das kann man auch nicht von heute auf morgen ändern. Wir wollen auch niemanden verlieren dabei. Auf der anderen Seite müssen wir zu einer strafferen Struktur kommen, um ordentlich reagieren zu können.

Wolfgang Greilich
Wolfgang Greilich © Harald Friedrich

Witteck: Für mich sind die nächsten ein, zwei Jahre weichenstellende Jahre in der Konsolidierung des Umfelds. Natürlich ist der Etat in der ProA geringer als in der Bundesliga. Es ist wichtig, dass man erst die Defense spielt, dass man nicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät. Das ist uns in den letzten zwei Jahren in der Pandemie im Gegensatz zu manch anderem Profisportverein gelungen. Das heißt aber: Wenn man weniger Geld zur Verfügung hat, muss man gucken, wo man es ausgibt und wo man einspart. Wir müssen in den nächsten ein, zwei Jahren unsere Hausaufgaben machen und dann werden wir feststellen, ob wir mittelfristig ein guter Basketball-Standort in Deutschland bleiben können oder nicht.

Gießen 46ers: Neue Strukturen für BBL notwendig

Wie sehen diese Hausaufgaben aus?

Witteck: Das hat etwas mit der Halle zu tun, mit den Trainingsmöglichkeiten. Das hat etwas zu tun mit Kooperationen mit anderen Vereinen. Das hat auch etwas mit Jugendarbeit zu tun. Wir stufen sehr positiv ein, wie sich die Basketball-Akademie unter der Führung vor allem von Christian Roth entwickelt hat – dass es einen Unterbau gibt, der Betreuung von klein auf und Durchlässigkeit bis in höchste Klassen generiert. All das ist zu tun. Wenn das alles gelingt und dabei noch eine Mannschaft aufs Parkett kommt, die Leidenschaft ausstrahlt und Intensität, die sich den Arsch aufreißt – das ist das, was die Leute in Gießen sehen wollen – dann kriegen das auch irgendwie hin.

Greilich: Unser mittelfristiges Ziel ist es natürlich, wieder in der 1. Liga zu spielen. Aber, und das ist die Konsequenz aus den letzten ein, zwei Jahren: Wir wollen den Aufstieg dann so gestalten, dass wir auch die Situation vorfinden, in der wir uns dauerhaft in der ersten Liga etablieren können. Und das setzt voraus, dass die finanzielle Grundlage so entwickelt wird, dass sie auch für die Zukunft trägt. Es macht keinen Sinn, von der Hand in den Mund zu leben. Deswegen haben wir die klare Ausrichtung, uns jetzt sportlich und in allen anderen Bereichen ordentlich aufzustellen, guten Basketball zu spielen, die Fans mitzunehmen und dabei parallel die Strukturen so zu entwickeln, dass wir in zwei, drei Jahren ernsthaft daran denken können, in die 1. Liga zurückzukehren, um dann dort auch zu bleiben.

Witteck: Ich habe in den letzten Wochen oft den Satz gehört: Gießen gehört in die 1. Bundesliga. Aus dem Fakt, dass man ein Traditionsverein ist, kann man keinen Anspruch für die Zukunft ableiten. Sondern man muss es sich hart arbeiten. Und man ist nur dann in der Bundesliga, wenn man bestimmte Dinge besser macht als die anderen. Da ist das Sportliche nur ein Aspekt. Das ist ganz, ganz viel Arbeit. Und diese Arbeit schaffen wir nicht alleine. Natürlich liegt der Hauptteil bei uns. Aber das müssen wir in ganz intensiven Gesprächen mit der Sportstadt Gießen, mit den Partnern aus der Wirtschaft und mit dem ganzen Umfeld erreichen. Und dann wird sich zeigen, ob wir das schaffen.

Gießen 46ers: Klare Ansage an die Stadtpolitik bei Hallenthema

Fürchten Sie, dass die Diskussion um die neue Halle durch den Abstieg an Fahrt verliert?

Greilich: Wir haben sehr erfreut die Schlagzeile in der Allgemeinen »OB Becher: Der Abstieg ändert nichts« zur Kenntnis genommen. Das entspricht unserem Gesprächsstand. Über die Grundsatzfrage, wie lösen wir das Hallenproblem, haben wir eine klare Verabredung sowohl mit dem OB als auch mit den Koalitions-Beteiligten und da liegen wir im Zeitplan. Mit den TV-Übertragungen ist eine Konkurrenz zu dem Hallenevent erwachsen, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Umso wichtiger, ist es, den Event-Charakter eines Spiels – und zwar stärker als er es je war – in den Vordergrund zu rücken. Mit der Hallen-Infrastruktur, die wir jetzt haben, wird das nicht möglich sein.

Witteck: Wir wissen, dass Gießen als wachsende, sich entwickelnde Stadt viele Aufgaben hat. Und wir sind weit davon entfernt, zu erklären, dass sich die Stadtpolitik mit nichts anderem als den Basketball zu beschäftigen hat. Auf der anderen Seite: Wenn Sie mit Auswärtigen über Gießen sprechen, kommt die Uni, kommt der Basketball. Das ist ein Stück Identifikation, ein Stück Werbeleistung für diese Stadt. Insofern: Wir sind bescheiden und realistisch, haben aber auch den Anspruch, dass wir gemeinsam mit der Stadt gerne das weiterführen würden, was die Stadt auch ausmacht nach außen.

Schon lange in die Jahre gekommen: Die Gießener Osthalle, Heimat der 46ers.
Schon lange in die Jahre gekommen: Die Gießener Osthalle, Heimat der 46ers. © Oliver Vogler

Die Trainingsbedingungen mit dem Pendeln nach Krofdorf, in die Rivers und die Osthalle ist für Leistungssport katastrophal.

Schmidt: Das Problem ist, dass wir zwei Herausforderungen haben. Zum einen brauchen wir langfristig eine neue Spielstätte, um den Anforderungen der BBL in der Zukunft gerecht zu werden und um mehr Umsatzerlöse zu generieren. Das ist in der Sporthalle Ost nur sehr schwer zu toppen. Das andere sind die Trainingsmöglichkeiten. Ich hab’s in Braunschweig erlebt. Da waren die Trainingsmöglichkeiten auch nicht perfekt, wir hatten aber den ganzen Tag die Halle zur Verfügung. Spieler konnten dort jederzeit mit dem Individualtrainer arbeiten oder werfen. Je mehr Trainingsmöglichkeiten ein Spieler hat, desto besser wird er in der Regel auch.

Deshalb wäre der vorgestellte Plan mit einer neuen Osthalle und angeschlossenem Campus gerade auch für den Nachwuchs sehr wichtig.

Schmidt: Ja. Ich denke, gerade der Nachwuchs wird immer wichtiger. Deswegen ist die Hallenthematik nicht nur eine Thematik, die die Profis angeht, sondern die komplette Kette bis zur Jugend. Das große Ziel ist, dass wir irgendwann nicht nur Schulkooperationen haben, die bei uns schon sehr gut funktionieren, sondern auch ein Internat. Ich kann da gar keine Jahreszahl sagen, bis wann das der Fall sein wird. Das ist wichtig, um im Vergleich mit anderen Bundesligisten nicht noch weiter ins Hintertreffen zu geraten. Internatsplätze in Kooperationen mit Schulen haben auch kleinere Klubs, nicht nur die großen.

Gießen 46ers: ProB-Lizenz soll zurückgegeben werden – Kooperation mit Pointers angestrebt

Wie geht es mit dem Unterbau weiter. Ein eigenes ProB-Team werden die 46ers nicht mehr stellen. Verschwinden die Rackelos von der Bildfläche? Gibt es schon Kooperationen?

Schmidt: Wir sind in Gesprächen mit den Pointers und der Akademie. Es ist wirtschaftlich nicht möglich, als ProA-Team ein eigenständiges ProB-Team zu haben. Deswegen müssen die Gespräche, die auch schon geführt worden sind, bis Ende Mai fortgesetzt werden. Für uns ist klar: Die ProB in Gießen soll es geben, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen, wird sich in den nächsten Wochen klären.

Witteck: Ich fände es ganz wichtig, wenn wir die tollen Leistungen, die es in der Region gegeben hat in den letzten Jahren, würdigen, wenn wir mit den Verantwortlichen ins Gespräch kommen und wenn wir dann echte Kooperationen auch auf Augenhöhe machen können. Die Region, und das erzähle ich schon seit 15 Jahren in unterschiedlichsten Funktionen, ist dann stark, wenn sie sich einig ist. Das heißt nicht, dass alles in einem Einheitsbrei verschwinden soll. Jeder hat seine Stärken und seinen Standort. Aber wenn man sich austauscht und vernetzt, ist es extrem erfolgreich. Und deshalb bin ich froh, dass solche Gespräche stattfinden. Und das ist auch unsere Erwartung, dass man sich nicht gegenseitig abgrenzt und sagt: Wir sind die 46ers, wir waren schon immer da und wir sagen, wo es langgeht. Das darf nicht der Anspruch sein.

Greilich: Das war auch schon in den letzten Jahren nicht mehr der Anspruch.

Witteck: Das stimmt. Da gibt’s aber alte Wunden.

Greilich: Es kann doch nicht sein, dass wir uns hier gegenseitig Konkurrenz machen. Das Ziel muss doch das sein, dass die Region Spitzenbasketball gemeinsam trägt und dass auch der Unterbau breit ist. Ich habe den Eindruck, da ist in den letzten Jahren schon ein Stück Bewusstseinswandel da. Bei uns auf jeden Fall. Es hat viel mit den handelnden Personen zu tun und der Bereitschaft zu sagen, mein persönliches Renommee hängt nicht daran, dass ich mir den Erfolg ans eigene Revers heften kann.

Schmidt: Wir haben ja auch schon im letzten Jahr mit den Pointers sportlich eng zusammengearbeitet. Auch wenn das vielleicht gar nicht immer so rausgekommen ist. Was die Nachwuchsspieler angeht, standen viele im ProB-Kader, im Regionalliga-Kader. Für uns als 46ers mit der Akademie ist es wichtig, dass wir den Spielern die ideale Plattform bieten, um sich weiterzuentwickeln. Die Pointers, sozusagen als erste Mannschaft in der ProB, haben zum Teil eine andere Zielsetzung als wir. Das ist auch völlig normal, das kann sich aber auch sehr gut ergänzen. Man hört oft die Frage: Unter welchem Dach findet das dann statt? Ich bin da total offen. Ich denke, es muss Sinn ergeben. Ob die ProB weiter unter den 46ers läuft, ist für mich zweitrangig.

Was passiert mit der ProB-Lizenz der 46ers, wird sie verkauft?

Schmidt: Die Lizenz zu verkaufen, ist nicht so einfach. Da gibt es besondere Auflagen. Dazu kommt noch, dass die ProB aufgestockt wird. Von daher ist es auch nicht so, dass bei mir fünf Vereine angerufen und gefragt haben, ob sie unsere ProB-Lizenz haben können. Letztendlich wird es darauf hinauslaufen, dass wir, wenn die Kooperation mit den Pointers funktioniert, unsere ProB-Lizenz zurückgeben und damit einen Startrecht in der 1. Regionalliga bekommen, damit wir weiterhin die Durchlässigkeit haben.

Sebastian Schmidt
Sebastian Schmidt © Harald Friedrich

Gießen 46ers: Harte Verteidigung, eiserner Wille

In Branislav »Frenki« Ignjatovic wurde schnell ein neuer Trainer verpflichtet. Für was soll das neue 46ers-Team stehen?

Schmidt: Ich hatte eine Shortlist für mich, welcher Trainer mit welchem Profil zu Gießen passt. Als ich vor ein paar Wochen gehört habe, das es in Heidelberg einen Trainerwechsel geben wird, habe ich relativ schnell reagiert und habe mich dann mit dem Agenten von Frenki und auch mit ihm selbst ausgetauscht. Unser erstes Treffen dauerte über sechs Stunden, und wir hatten beide ein sehr gutes Gefühl, als ich ihm unsere Pläne vorgestellt habe und auch, was diese Region hier an den Basketball verlangt. Nämlich das, was wir schon letzte Saison eigentlich aufs Feld bringen wollten: Ehrlichkeit, harte Physis, eine starke Verteidigung und den Willen, alles zu geben, bis das Spiel vorbei ist. Er hat direkt gesagt: Dann bin ich dein Mann. Auch in den Tagen danach hat sich für uns herauskristallisiert, dass wir zusammenarbeiten wollen, weil wir auch von der Spielidee ähnliche Konzepte haben – und auch von den Spielern. Für mich war schnell klar: Wenn ich Frenki bekommen kann, möchte ich ihn holen.

Bringt der neue Coach seinen eigenen Co-Trainer mit – wie geht es mit dem bisherigen Assistenten Steven Wriedt weiter?

Schmidt: Das ist noch alles offen. Frenkis erster offizieller Arbeitstag wird der 1. Juni sein. Natürlich tauschen wir uns jetzt schon intensiv aus. Wir telefonieren jeden Tag.

Wie ist der Stand bei den Verpflichtungen deutscher Spieler, die in der ProA eine besondere Rolle spielen. Außer Maxi Begue hat niemand Vertrag. Bleiben Tim Uhlemann und Bjarne Kraushaar? Und wie schwer ist es, deutsche Profis an Land zu ziehen?

Schmidt: In der ProA mit der Regelung, dass mindestens zwei deutsche Spieler auf dem Feld stehen müssen, steigt der Wert der deutschen Spieler. Und das Wissen die Jungs und deren Agenten zu nutzen. Letztendlich zahlt man in der ProA für Spieler mit deutschem Pass mehr als für deutsche Spieler, die in der BBL spielen. Das heißt, dass bei der Zusammenstellung des Kaders die deutschen Spielern für uns im Moment Priorität haben. Spieler wie Uhlemann, Kraushaar oder Nawrocki würden wir gerne halten. Alle deutschen Spieler, die wir letzte Saison unter Vertrag hatten, wären für die ProA gute Kandidaten. Am Ende ist es aber eine Frage des Budgets. (Interview: Rald Waldschmidt und Markus Konle)

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