Gießen 46ers: Ein Abstieg mit Ansage

Mit einer neuen Führung riefen die Gießen 46ers im Sommer den x-ten Neuanfang aus. Er endet mit dem Abstieg aus der Basketball-Bundesliga im Desaster. Eine Chronologie.
Bei den Gießen 46ers herrschte vor der Saison Aufbruchstimmung. Mit dem neuen geschäftsführenden Sportdirektor Sebastian Schmidt, dem durch eine Wildcard verhinderten sportlichen Abstieg und unter dem neuen Coach Pete Strobl sollte alles besser werden. Doch nach einer von Verletzungen geprägten Vorbereitung zeichnete sich früh ab, dass es wieder einmal eine schwierige Spielzeit für den Basketball-Bundesligisten von der Lahn werden würde. Zu schwierig. Seit letzten Freitag steht der Abstieg in die Pro A fest. Die Saison im Zeitraffer.
26. September: Die 46ers feiern zum Bundesliga-Auftakt einen 86:74-Sieg gegen Bayreuth. In der Startformation stehen Kyan Anderson, Rawle Alkins, BJ Blake, Flo Koch und John Bryant. Sie verlieren zwei Tage später trotz einer zwischenzeitlichen 14-Punkte-Führung mit 87:89 in Bamberg.
5. Oktober: Alkins, einer der Leistungsträger in den ersten beiden Spielen, verlässt die 46ers schon wieder. Der Ex-NBA-Spieler nutzt eine Ausstiegsklausel in seinem Low-Budget-Vertrag, um sich für die kolportierte Ablösesumme von 35 000 Euro dem Ligakonkurrenten Ludwigsburg anzuschließen. Bei der 68:75-Niederlage gegen Heidelberg gibt der nachverpflichtete Jalen Tate ein unauffälliges Debüt.
8. Oktober: Die Gießen 46ers machen in der Hallenproblematik Druck auf die Stadtpolitik. Zwei Wochen vor der OB-Stichwahl präsentiert der Klub große Pläne, wie die Osthalle in eine moderne 5000-Zuschauer-Arena verwandelt werden kann. Die ehrgeizige Vorstellung: Ende 2024 soll der rund 25 Millionen Euro teure Komplex stehen, der auch eine neue Halle für die Ostschule vorsieht.
23. Oktober: Die Gießener feiern mit dem 100:81 gegen den Mitteldeutschen BC ihren zweiten Saisonsieg, den sie eine Woche zuvor beim FC Bayern nach einer starken Leistung und einer 64:71-Niederlage n. V. liegen gelassen haben.
6. November: Die 46ers sind völlig von der Rolle und erleben ein 70:104-Debakel gegen Crailsheim. Was an diesem Samstagabend zunächst noch niemand weiß: Die Mannschaft hat wenige Stunden vor Spielbeginn erfahren, dass der Bruder von Blake in den USA erschossen worden ist. Nach dem siebten Spieltag stehen die 46ers mit 4:10 Punkten auf dem 16. Platz.
20. November: Endlich! Die 46ers holen beim 75:72 in Oldenburg dank eines Geniestreichs von Kendale McCullum den ersten Auswärtssieg der Saison.
30. November: Die 46ers reagieren auf anhaltende Verletzungensprobleme auf den kleinen Positionen und verpflichten den 30-jährigen Combo-Guard T. J. Williams. Er ist der siebte US-Amerikaner im Team.
17. Dezember: Topscorer Blake verlässt die 46ers und geht nach der Ermordung seines Bruders zurück in die USA. »Nach langen Gesprächen mit meiner Familie musste ich eine sehr schwere Entscheidung treffen. Letztlich werde ich den Rest dieser Saison aussetzen, um mich auf meine psychische Gesundheit zu konzentrieren«, schreibt Blake bei Instagram zum Abschied, der die Gießener erheblich schmerzt. Den Abgang des Führungsspielers können sie nicht kompensieren.
23. Dezember: Zum Auftakt einer Auswärts-Tournee mit drei Spielen rund um die Feiertage kassieren die 46ers eine 69:71-Niederlage im Kellerduell in Braunschweig - trotz einer 67:58-Führung drei Minuten vor dem Ende. In US-Center DJ Miller, der aus Südkorea an die Lahn gekommen ist, gibt die dritte Nachverpflichtung der laufenden Saison sein Debüt. Ihn haben Coach Strobl und Geschäftsführer Schmidt als Ersatz für den Flügelspieler Blake verpflichtet. Mit 6:18 Punkten stehen die Mittelhessen vor Frankfurt und Oldenburg auf Platz 16.
29. Dezember: Auch die folgenden Partien in Hamburg und in Ludwigsburg verlieren die Gießener, die am zweiten Weihnachtsfeiertag auf einen Abstiegsrang abgerutscht sind. Es rumort im Klub.
2. Januar: Die Geisterspiele sind zurück. Aufgrund der Corona-Beschränkungen sind nur 170 Zuschauer in der Osthalle beim Hessenderby und Kellerduell gegen Frankfurt zugelassen - sie sehen eine 79:90-Niederlage der 46ers, die schon die siebte Pleite in Folge kassieren. Die größten Baustellen zu diesem Zeitpunkt: Aufbauspieler Kyan Anderson kann die Mannschaft nicht führen, die sich viel zu oft in Einzelaktionen verstrickt. Sie zeigt zudem erhebliche Defizite in der Verteidigung, ist das schlechteste Team von der Dreier- und das zweitschlechteste von der Freiwurflinie und hat zu wenige Profis, die das Team mitreißen. Einzig Kendale McCullum liefert zuverlässig ab.
8. Januar: Aus dem Rumoren wird ein Brodeln. Nach der 76:87-Heimniederlage gegen Göttingen - es ist die achte Pleite in Serie - wird im Umfeld über Trainer Strobl diskutiert. Geschäftsführer Schmidt hält aber an dem Coach fest, der nach dem Spiel Numi Omot öffentlich scharf kritisiert: »Ich erlaube es nicht, dass ein Spieler eigensinnig ist.« Während Williams wegen einer Verletzung zuschauen muss, verzichtet Strobl auf Tate, dem er mangelnde Arbeitseinstellung vorwirft. Risse innerhalb der Mannschaft sind unübersehbar - ebenso, dass die Qualität des Kaders für den Abstiegskampf nicht ausreicht.
11. Januar: Center und Kapitän John Bryant einigt sich mit den 46ers auf eine Vertragsauflösung und wechselt mit sofortiger Wirkung zum Mitteldeutschen BC. Der Routinier ist mit seiner Rolle in Gießen unzufrieden, kritisiert, dass es bei den 46ers keine Teamchemie und kein Teamplay gibt. Einen Tag zuvor haben sich Gießener schon von Tate getrennt.
22. Januar: Coach Strobl und Geschäftsführer Schmidt betonen trotz aller Alarmzeichen im Interview mit der AZ: »Wir sind überzeugt vom Klassenerhalt!« Auf dem Parkett führt McCullum mit 22 Punkten, 10 Rebounds, 8 Assists und 6 Steals die 46ers zu einem 100:73-Sieg gegen coronageplagte Hamburger. Der im Vorfeld von den Verantwortlichen hochgelobte Lette Martins Laksa, die vierte und letzte Nachverpflichtung der 46ers, gibt sein Debüt. Er wird bis zum heutigen Tag den Vorschusslorbeeren nicht gerecht.
29. Januar: Jetzt hat es auch die 46ers erwischt: Nach einem Corona-Ausbruch im Team werden die Spiele gegen Braunschweig und in Berlin abgesagt. Die nächsten Partien im Februar gegen personell gebeutelte Bamberger (89:92) und in Crailsheim (81:87) gehen knapp verloren, in Ludwigsburg kassieren die 46ers eine Klatsche - die Lage im Abstiegskampf spitzt sich dramatisch zu.
21. Februar: Die 46ers lassen Aufbauspieler Kyan Anderson ziehen. Er wechselt nach Heidelberg zu einem zu diesem Zeitpunkt Hauptkonkurrenten im Kampf um den Ligaerhalt. Aus der Startformation, die beim Auftakt auf dem Feld stand, trägt nur noch Flo Koch das 46ers-Trikot.
9. März: Die 46ers holen mit 95:89 in Bayreuth den fünften Saisonsieg, sind nicht mehr Letzter, aber punktgleich hinter Frankfurt auf einem Abstiegsplatz.
17. März: Coach Strobl hat das Kellerduell beim Mitteldeutschen BC als »Do-or-die-Spiel« ausgerufen - seine Mannschaft verliert das Spiel in Weißenfels mit einer katas-trophalen Freiwurfquote von 53 Prozent mit 81:89. Der Abstieg rückt näher. Ein Lebenszeichen senden die Gießener danach mit dem 88:75 gegen die Baskets Oldenburg, die unter dem neuen Trainer Ingo Freyer in der Tabelle längst an den 46ers vorbeigezogen sind.
2. April: Gießen kassiert beim Mitkonkurrenten in Heidelberg eine 81:95-Niederlage und hat bereits drei Siege Rückstand auf das rettende Ufer. Trotz ordentlicher Leistungen verlieren die 46ers knapp bei den Topteams in München (85:95) und in Bonn (72:78). Was bleibt? Die Hoffnung auf ein Wunder, um den Ligaerhalt noch zu schaffen.
16. April: Nach der 97:110-Niederlage vor nur 1400 Zuschauern in der Osthalle gegen Würzburg und nun vier Siege Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz ist selbst diese Hoffnung weitgehend dahin.
20. April: Der Auftritt der 46ers gegen Braunschweig gleicht einem sportlichen Offenbarungseid - nach der 66:82-Niederlage gegen die Löwen steht der Abstieg praktisch fest. »Wir spielen nicht mit Herz. Dieses Herz haben wir nicht mehr, das ist für mich erschreckend«, sagt 46ers-Profi Flo Koch hinterher.
24. April: Ein letztes Aufbäumen: Die 46ers gewinnen das Hessenderby bei den als sportlicher Absteiger bereits feststehenden Frankfurt Skyliners mit 76:75.
29. April: Der nächste traurige Tag in der Geschichte des Gießener Basketballs. Nach der 70:91-Niederlage gegen Chemnitz steht der insgesamt sechste Abstieg der 46ers auch rechnerisch fest.



