Botticelli-Ausstellung: Schlangestehen als Attraktion
Frankfurt. Die »Botti«-Schlange. So putzig nennen einige Frankfurter das lange Gebilde, das sich von der Holbeinstraße ums halbe Museum bis vor den historischen Städel-Eingang schlängelt. Wartezeiten: bis zu vier Stunden. Nur noch bis einschließlich Sonntag besteht die Chance, sich hier engelsgeduldig anzustellen. Um sagen zu können: Ich war auch drin, in »Botticelli«.
Absolut »gehypt« wurde die Ausstellung über den italienischen Renaissance-Maler - sie trieb Laien ebenso wie Kenner ins Städel - und geht nun mit riesigem Erfolg zu Ende. Am morgigen Abend dürfte sie insgesamt rund 365 000 Besucher angezogen haben. Sie ist damit die mit Abstand erfolgreichste Schau in der rund 200-jährigen Geschichte des Städels.
Lockten die Botticelli-Frauen? Museums-Direktor Max Hollein hält eines für zentral: »Die Begeisterung für einen Meister der Schönheit und des melancholischen Blicks.« Im 500. Todesjahr Sandro Botticellis wird deutlich, welch schöne und zugleich distanziert wirkenden weibliche Ikonen er schuf und damit bis heute die Werbeindustrie beeinflusst. Etwa mit dem »Weiblichen Idealbildnis«, das aus dem Städel-Besitz selbst stammt. Model Kate Moss und Schauspielerin Uma Thurman nennt Hollein heute als Beispiele für »Botticelli-Frauen«. Den Audio-Guide spricht »Superweib« Veronica Ferres - mit ihrer belegten, kühlen Stimme. Andere Kunst erschließt sich den Besuchern erst mit einem Grundstudium in Kunstgeschichte. Bei Botticellis Werken geht es leichter. Und das hat das Städel noch forciert: »Es ist eine Ausstellung für absolute Experten und auf der anderen Seite auch für das Massenpublikum«, sagt Hollein. Auch der Spagat gelang, im Feuilleton ziemlich gut wegzukommen. Cleveres Marketing.
Es ist die erste große Botticelli-Schau im deutschsprachigen Raum. Rund 40 Arbeiten des Meisters und aus seiner Werkstatt sowie 40 Werke von Zeitgenossen werden auf den zwei Stockwerken vor weinroter Wand mit sakraler Strahlkraft gezeigt. Darunter sind äußerst schwierig zu bekommende Leihgaben wie das Gemälde »Minerva und Kentaur« aus den Uffizien in Florenz, wo Botticelli im goldenen Zeitalter der Medici- Herrschaft wirkte. Hollein ist bekannt für sein weltweites Netzwerk - und sehr umtriebig beim Marketing und der Sponsorensuche. Seit Beginn der Ausstellung Mitte November ist Botticelli omnipräsent in Frankfurt, selbst Bioläden und Parfümerien warben für die Schau. Man habe zwar schon große Resonanz erwartet, sagt Hollein. »Aber natürlich hat das jetzt noch einmal eine andere Dimension erreicht.« Einerseits sei diese Eigendynamik, das entstandene Gruppengefühl und auch dieser »Ruf, einfach dabei gewesen sein zu müssen«, schön. »Auf der anderen Seite sind wir auch an die Grenze des Machbaren gelangt.« Zeichen dafür: die Schlange. Heizstrahler, Info-Broschüren und Traubenzucker halten die Massen bei Laune. Die Öffnungszeiten wurden verlängert - für diesen Freitag und Samstag gar bis Mitternacht.
Die »Botti« steht in der Tradition der MoMA-Schlange in Berlin 2004. Dort gab es bis zu acht Stunden Wartezeit und etwa einen Stuhl-Verleihservice. »Wir haben die Schlange im positiven Sinn bearbeitet, aber sie wurde von selbst zum Kult«, erinnert sich der Geschäftsführer vom Verein der Freunde der Nationalgalerie, André Odier. »In der bildenden Kunst kannten wir das Phänomen vorher nicht.« Kunst als Massen-Event birgt aber auch Gefahren. Es sei sicher eine »freundliche Geste und fast auch ein Symbol, wenn die Museen bei großen Ausstellungen ihren Besuchern entgegenkommen und die Wartenden schon in der Schlange mit Wärmepilzen, Stühlen oder heißem Kaffee willkommen heißen«, sagt die Frankfurter Kunstgeschichte-Privatdozentin Daniela Bohde. Problematisch werde es, »wenn den Besuchern nachher ihre Wartezeit, die Schlange oder die Enge in den Ausstellungsräumen mehr im Gedächtnis bleibt als die angeschauten Werke«. Inga Radel, dpa