Driften, schleudern, schlittern – Testfahrt im geheimen Eis-Labor von Audi

Exklusive Einblicke, wie man aus einem Auto einen echten Audi macht: Am Polarkreis lüften Entwicklungsingenieure von Audi eines der großen Geheimnisse.
- Die Fahreigenschaften prägen den Charakter einer Marke.
- Normalerweise verraten Hersteller nichts über ihre DNA.
- Die Ingolstädter haben es trotzdem getan – wir waren dabei.
Warum fährt sich ein Audi* wie ein typischer Audi? Wie prägt man den Charakter eines Modells? Was steht in der DNA eines Fahrzeugs? Normalerweise hüten Autohersteller Antworten auf diese Fragen wie einen Heiligen Gral. Audi lüftete für uns das Geheimnis, zumindest teilweise. Bei eisigen Temperaturen in der Nähe des Polarkreises. Hier in Lappland liegt das Testgelände des VW-Konzerns. 3.600 Hektar groß, fast die doppelte Fläche des Frankfurter Flughafens. Hier werden die Autos für den Winterbetrieb auf Herz und Nieren geprüft. Bei Schneetreiben und Tiefstwerten zweistellig unter Null Grad Celsius. Fast noch wichtiger sind die zugefrorenen Seen, auf denen sich auch Fahrsituationen im Grenzbereich testen lassen. 83 Kilometer stehen dafür zur Verfügung. „Kalt 1“ heißt das Prüfgelände passenderweise, weil die Temperaturen unter minus 20 Grad sinken können. Tagsüber. „Kalt 1“ ist so geheim, dass auch wir es nicht betreten dürfen, sondern für Testfahrten auf einen anderen See ausweichen müssen. Immer auf der Suche nach der Audi-DNA.

E-Antriebe: Das gleiche Herz in einem anderen Körper
„Wer einen Audi fährt, muss Audi spüren können“, fordert Entwicklungsvorstand Oliver Hoffmann. Die Fahreigenschaften eines Autos sind noch wichtiger geworden in der neuen Welt der Elektromobilität. Benziner oder Diesel, Turbo- oder Saugmotoren, Drehmomentverlauf, Sportgetriebe – alles das, was bislang für Emotionen gesorgt hat, fällt weg. E-Antriebe unterscheiden sich durch Leistung, wie viele Motoren pro Fahrzeug eingesetzt werden und dadurch, wo sie platziert sind. Auf Vorder- oder Hinterachse, eine Maschine, zwei Maschinen, drei Maschinen? In großen Konzernen wie etwa VW werden die Antriebsstränge 1:1 zwischen den einzelnen Marken verschoben. So sind etwa der Porsche Taycan und der Audi e-tron GT technisch eng verwandt. Das gleiche Herz aber in einem anderen Körper.

Die Audi-DNA ruht auf sechs Säulen
Umso entscheidender wie die Kraft des Herzens im Fahrzeug umgesetzt wird. Wie lenkt sich ein Auto? Ist das Handling präzise? Fühlt sich die Beschleunigung gut an und der Bremsvorgang sicher? Bei jedem Modell werden diese Grundeigenschaften schon in einer frühen Phase definiert. Schließlich muss erst einmal die Hardware in das Auto eingebaut werden, beispielsweise das Lenkgetriebe. Erst dann kann per Software nachjustiert werden. Weitere wichtige Komponenten sind Fahrwerk, Kraftverteilung des sowie Brems- und Regelsysteme. Über dem Grundkonzept eines jeden Modells schwebt die alles normierende DNA von Audi. Sie ruht auf sechs Säulen.

Ein Audi ist ausbalanciert, solide, kontrolliert und präzise
- Ein Audi muss sich ausbalanciert anfühlen: Wert legen die Entwickler dabei auf harmonisches und rundes Fahrverhalten.
- Solide heißt nicht langweilig, sondern komfortabel mit einer guten Rad-Dämpfung zum Beispiel.
- Unter kontrolliert versteht Audi, dass das Auto auch im Grenzbereich wie etwa bei glatten Straßen sicher reagiert.
- Dazu müssen das Fahrwerk und alle Regelsysteme vernetzt sein, um vorausschauend agieren zu können. Das ist besonders wichtig in Kurven.
- Präzise Eigenschaften werden von der Steuerung verlangt – das Einlenkverhalten muss linear und gefühlvoll sein.
- Und das Ganze im besten Fall immer mühelos – mit bester Traktion und höchster Sicherheit.

Das Feintuning dauert eineinhalb Winter lang
Erst die DNA, dann die Grundausrichtung, zum Schluss die Feinabstimmung – so lautet die technologische Dreifaltigkeit, wie aus einem Audi ein echter Audi wird. Das Feintuning dauert dabei am längsten. Eineinhalb Winter! Nach Testfahrten auf trockenen und nassen Fahrbahnen geht es Ende November dann zum ersten Mal nach Nordschweden. Dabei werden ABS, ASR und andere Regelsysteme Stück für Stück verbessert. Im Frühjahr und Sommer ist dann wieder der Süden dran, letzte Hand legen die Entwickler in Lappland an.

Spurwechsel mit 100 auf Eis – ein echtes Abenteuer
Carsten Jablonowski ist Teamleiter Entwicklung Fahreigenschaften und sitzt neben uns im Audi e-tron S Sportback. Wir simulieren eine alltägliche Fahrsituation und sollen das Verhalten des Autos bei einem ruckartigen Spurwechsel auf glatten Fahrbahnen beurteilen. Wir haben fünf Punkte zur Beurteilung. Normalerweise ist es ein ganzer Katalog. Vor uns die Eisfläche und zwei Gassen, die mit Pylonen markiert sind. „Beschleunigen, auf Tempo 85 mindestens und dann von links nach rechts wechseln“, lautet die Aufgabe. Das Gefühl, auf einer schneebedeckten Eisfläche erst Vollgas zu geben und dann ohne zu bremsen einen flotten Spurwechsel hinzulegen, erfordert Mut. Also rauf aufs Gas, rein in die Gasse, Slalom nach rechts und gleich wieder geradeaus. Dabei bleibt der Audi erstaunlich stabil, kommt weder ins Rutschen, noch ins Schlingern und ist einen Wimpernschlag später wieder voll auf Kurs. Auch nach dem fünften Versuch und dann schon mit Tempo 100 (Entwickler fahren bis zu 130 km/h) fühlt sich die Lenkung direkt und präzise an. Dass das elektronische Stabilitätsprogramm eingegriffen hat, haben wir fast nicht bemerkt. Deshalb Bestnoten vom Amateurtester.

Driften im Eiskreisel: Grenzerfahrung mit einem 2,5-Tonner
„So muss es sein“, sagt Jablonowski und schickt uns in den Eiskreisel. Eine geräumte Fahrspur, 360 Grad, Durchmesser geschätzte 250 Meter. Jetzt geht es um den Grenzbereich und die Beherrschbarkeit eines 2,5 Tonners. Auch beim Driften. Nach dem dritten Versuch gelingt uns das tatsächlich. Mit dem Gaspedal lässt sich der Heckschwung leicht einleiten, wir denken an den Rat des Ingenieurs: „Immer dahin lenken, wohin das Auto soll, egal was passiert!“ Der Mensch lenkt, das Auto denkt. Tatsächlich lässt sich der e-tron fahrstabil um die Kurven zirkeln. Vor allem dank der elektronischen Regelsysteme, die das Elektroschiff auf Kurs halten. „Ein Audi“, so Jablonowski, „darf nie untersteuern, aber in bestimmten Situationen leicht und kontrolliert übersteuern.“ Übersetzt heißt das: Ein gefährliches Schieben über die Vorderräder ist ausgeschlossen, aber ein lockerer Hüftschwung im Heck ist auf Wunsch immer drin. Und deshalb ist ein Mann immer auch ein Mann und ein Audi immer auch ein Audi. Rudolf Bögel *tz.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.