Volvo V90 Recharge: Kombi fast so lang wie Bulli von VW – Wann macht ein Hybrid-Auto Sinn?

Der V90 ist das längste und wohl edelste Stück Schwedenstahl, das Volvo im Angebot hat. Den Kombi gibt es auch als Plug-In-Hybrid. Macht er Sinn?
- Der Kombi aus Schweden ist fast so lang wie ein Bulli von VW*.
- Als Plug-In-Hybrid hat er einen zweiten Elektro-Motor an Bord.
- Doch wie praktisch und sparsam ist das System im täglichen Betrieb?
Volvo V90 Recharge AWD T6 R-Design im Fahrtest
Länger ist kein Kombi: Zumindest bei Volvo hat der V90 diesen einsamen Rekord aufgestellt. Er ist fast so lang wie der neue T7 Bulli von VW, zur Mercedes-Benz S-Klasse fehlen nur knapp 20 Zentimeter. Und auch beim Preis erreicht der Schwede – je nach Motor und Ausstattung – erlesene Höhen. Das Testauto, ein Plug-In-Hybrid im selbstbewussten R-Design, kostet immerhin 86.300 Euro, das Basismodell, ein 197 PS starker Mild-Hybrid, kommt derzeit auf 53.800 Euro. In der Langversion heißt unser Testwagen etwas sperrig Volvo V90 Recharge AWD T6 R-Design. Noch wird der Kauf eines solchen PHEVs von Staats wegen bezuschusst, weil er bestimmte Strecken rein elektrisch zurücklegen kann. In unserem Fall sollen es bis zu 57 Kilometer sein. Ab 1.10 2022 wird das zu wenig sein, dann müssen mindestens 60 Kilometer nachgewiesen werden, ab 1. Januar 2024 sogar 80. Erst dann bekommt man die staatliche Umweltprämie von 4.500 Euro.

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Dienstwagenfahrer laden nicht gerne auf
Umstritten ist das Förderkonzept vor allem aus einem Grund. So ein PHEV macht nur Sinn, wenn die Batterie konsequent aufgeladen wird. Leider hat sich erwiesen, dass vor allem viele Geschäftsleute, die auch noch in den Genuss der um die Hälfte günstigeren Dienstwagensteuer kommen, das Aufladen vergessen. Oder es ist ihnen zu umständlich. In manchen Fällen wurden Dienstwägen nach ihrer Laufzeit mit Original verpackten und unbenutzten Ladekabeln zurückgegeben. Wer nicht auflädt, hilft nicht der Umwelt, sondern schadet ihr sogar. Denn durch die Hybridtechnik wird so ein Auto um bis zu 250 Kilogramm schwerer. Dieses Gewicht muss der Verbrenner mitschleppen – das kostet zusätzlich Sprit und sorgt für unnötige Abgase.

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So komplex ist der Hybrid-Antrieb beim V90
Das Antriebskonzept des V90 Recharge besteht aus insgesamt drei Komponenten. Aus einem Benziner mit Turbolader und 235 PS und einem Elektromotor, der auf der Hinterachse sitzt, und noch mal bis zu 87 PS auf die Räder bringt. Dazu kommt ein kleiner Startergenerator, der zwischen Verbrenner und Achtgang-Automatik sitzt. Er schiebt beim Anfahren noch mit an. Hört sich kompliziert an – beim Fahren merkt man davon jedoch nichts. Unmerklich greifen die Komponenten ineinander. So als ob es sich nicht um eine Antriebseinheit eines schwedischen Autobauers handelt, sondern um ein Schweizer Uhrwerk. Vollgeladen (was zu Hause an der Steckdose rund drei Stunden dauert), starten wir in Richtung Stadt. Dort soll der Plug-In-Hybrid ja auch punkten.

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2,2 Liter Verbrauch - das müssen wir überprüfen
Und siehe da, die Fahrt über die Autobahn mitten in die City kostet uns nur 2,4 Liter Sprit. Der Motor läuft nur, wenn der Volvo sehr schnell bewegt wird – oder wenn der Fahrer zu gerne aufs Gaspedal drückt. Das macht beim V90 trotz seiner 2,1 Tonnen Gewicht nämlich ziemlich Spaß. Zusammen sind Benziner und E-Motor bärenstark. Der Kombi zieht in knapp unter sechs Sekunden von 0 auf 100, bei 180 km/h ist Schluss. Das selbst auferlegte Tempo-Limit von Volvo wird auch im Hybridwagen durchgehalten. Nur bei der rein elektrischen Schwestermarke Polestar darf (noch) schneller gefahren werden – über 200 km/h. Dass der V90 Recharge so bravourös beschleunigt, ist einerseits cool. So richtig lässig ist jedoch das rein elektrische Gleiten, gerade in so einem Schiff. Ruhe ist echter Luxus – dazu kommt noch die (gegen Aufpreis erhältliche) Luftfederung, die aus dem schnöden Stück Auto ein Luftkissenboot macht. 2,4 Liter Verbrauch sind ja ein tolles Ergebnis – leider hat uns das Reichweite gekostet, weil in der Stadt überwiegend der E-Motor gelaufen ist. Ladestationen sind rar oder belegt. Und so bleiben uns schmale 12 Kilometer für den rund 35 Kilometer langen Rückweg, der aus Vergleichsgründen auf der gleichen Strecke zurückgelegt wird. Raus aus der City – ab in den Speckgürtel Münchens. Da schmilzt sie dahin, die Ladung im Akku. Da hilft auch das häufige Rekuperieren im Stadtverkehr nichts. Irgendwann sind wir bei 0 Prozent – und damit läuft der Verbrenner im Dauerbetrieb. Die Quittung liefert die Anzeige auf dem LED-Display. 8,9 Liter – damit liegen wir satt über den prognostizierten 2,2 Litern.

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Volvo V90 Recharge: Da passt sogar eine Europalette rein
So richtig überrascht uns das nicht. War mit Ansage. Aber der Test liefert uns den Beweis: Plug-In-Hybride müssen immer aufgeladen werden. Inwieweit das in der Praxis realistisch ist – das sieht man an unserem Test. Dabei hatten wir noch das Glück, zu Hause laden zu können. Wer auch noch im Job die Batterie anstecken kann, für den verdoppelt sich das Glück. Aber auf der Langstrecke kommt das Hybrid-System schnell an seine Grenzen – da wird hauptsächlich mit Verbrenner gefahren. Zurück zum längsten Stück Schwedenstahl, das Volvo zu bieten hat. Perfekt verarbeitet und fein beledert bietet das Interieur ein luxuriöses Ambiente trotz des sprichwörtlich unterkühlten nordischen Designs. Praktisch ist der V90 sowieso – mit bis zu knapp 1600 Litern schluckt der Kofferraum ordentlich was weg, wenn die Rücksitzbank umgelegt wird. Dann stehen auch bis zu zwei Meter Ladelänge zur Verfügung – und zwischen die Radkästen passt sogar eine Europalette. Hier gibt Volvo eine Breite von 1,10 Metern an. Ein Sonderlob gibt es für die Unterbringung des Ladekabels. Das versteckt man im doppelten Unterboden des Kofferraums, bestens gebändigt von zwei Kunststofflaschen im Ladeboden.

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Rückspiegel & Notbremse: Das ist uns negativ aufgefallen
Neben dem hohen Grundpreis gibt nur das Bordsystem Anlass zum Meckern. Die Bedienung ist zu kompliziert, gerade wenn es um Feinheiten geht. Beispiel Seitenspiegel. Die senken sich beim Rückwärtsfahren ab, damit man Straße und Bordsteinkante genau im Blick hat. Legt man jedoch den Vorwärtsgang ein, brauchen viel zu lang, bis sie sich wieder in Normalposition begeben. Echt schwierig, den rückwärtigen Verkehr zu beobachten, wenn der Spiegel noch den Asphalt zeigt. Das kann man natürlich ändern – dazu muss man aber erst umständlich im Menü suchen. Ebenfalls ein Manko bei Volvo: Das System zum teilautonomen Fahren reagiert zu ruppig. Die Lenkeingriffe sind zu hart und man muss schon gehörigen Schmalz aufwenden, um am Steuerrad dagegenzuhalten. Zu empfindlich ist hingegen die Notfallbremsung bei Rückwärtsfahren. Da legt das Auto schon einen kompletten und plötzlichen Stillstand hin, auch wenn das Heck beim Ausparken nur wenige Zentimeter in die Fahrbahn ragt und ein anderer Verkehrsteilnehmer noch weit weg ist. Aber vielleicht sind die Entwickler entschiedene Anhänger von diesem Spruch: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
Und so lautet unser Fazit zum Volvo V90 Recharge
Der Volvo V90 Recharge ist summa summarum ein feines Auto, das man liebgewinnt, teuer ist es sowieso. Als Plug-In-Hybrid macht er nur Sinn, wenn man den Akku zu Hause und in der Arbeit laden kann. Und das auch konsequent tut. Vom Langstreckenfahrzeug im Dienstwagenbetrieb hingegen ist abzuraten – wenn man sich so ein Auto aus Gründen des Umweltschutzes zulegen möchte. Auch wenn sich der Staat bei Anschaffung und Dienstwagensteuer so großzügig zeigt.
Datenblatt Volvo V90 Recharge T6 AWD, R-Design
- Verbrenner: Reihen-Vierzylinder-Benziner mit Mono-Turbolader
- Hubraum: 1.996 ccm
- Maximale Leistung: 186 kW (235 PS) bei 5.500 U/min
- Maximales Drehmoment: 350 Nm bei 1.700 – 5.000 U/min
- E-Motor auf der Hinterachse: 65 kW (87 PS)
- Maximales Drehmoment: 240 Nm
- Maximale Reichweite: 57 km
- Batterie: 11,3 kW
- Ladezeit: 3 Stunden bei 3,7 kW
- Antrieb: Achtgang-Automatik, Allrad
- Beschleunigung 0-100 km/h: 5,9 s
- Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h (elektrisch: 125 km/h)
- Kraftstoffverbrauch kombiniert: 2,2 l/100 km
- CO2-Emission kombiniert: 50 g/km
- Länge / Breite / Höhe: 4.95 x 1,90 x 1,48 Meter
- Leergewicht / Zul: 2.100 / 510 kg
- Anhängelast gebr. 2.100 kg
- Kofferraumvolumen: 551 – 1517 l
- Preis: 72.700 Euro (Testwagenpreis: 86.300)
Rudolf Bögel *tz.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.