Vor „letzter Schlacht“ um Mariupol: Soldaten verschanzen sich in Tunneln
Die „letzte Schlacht“ Mariupols steht offenbar bevor. Bis dahin ziehen sich die Ukrainer in Tunnel zurück. Das hat Vor- und Nachteile.
Mariupol – Wann fällt Mariupol in russische Hände? Die Eroberung der seit Wochen belagerten südostukrainischen Hafenstadt scheint unausweichlich. Am Montag (11.04.2022) sprachen ukrainische Truppen bereits von der „letzten Schlacht“.
Mariupol ist die am stärksten bombardierte Stadt im Ukraine-Krieg – und der Schlüssel zu Putins Feldzug in der Ukraine. Die verbleibenden Verteidiger Mariupols konnten die Kämpfe bisher jedoch in die Länge ziehen. Sie verschanzen sich derzeit in einem Industriekomplex. Der ist gut zu verteidigen. In ihre Karten spielt auch die großzügige Untertunnelung des Gebietes.
Ukraine-Krieg: Industrie-Guerilla um Mariupol
Die Kämpfe in Mariupol konzentrieren sich seit einiger Zeit auf den weitläufigen Industriekomplex der Asow-Stahl- und Asowmasch-Werke. Das Gelände ist wie gemacht für eine Stadtguerilla: Mehrere Quadratkilometer voll Eisenbahnschienen, Lagerhäusern und Schornsteinen. Für Angreifer bedeutet dies schlechte Sicht, Löcher, Hindernisse und potenzielle Fallen auf Schritt und Tritt, auch wegen der zahlreichen Tunnel.
Nach Angaben, die nicht unabhängig verifiziert werden können, verlaufen unter dem Fabrikgelände bis zu 30 Meter tiefe unterirdische Gänge mit einer Gesamtlänge von mehr als 20 Kilometern. „Es ist eine Stadt in der Stadt, und es gibt mehrere unterirdische Ebenen aus der Sowjetzeit“, sagte der Vertreter der in Mariupol kämpfenden pro-russischen Separatisten, Eduard Basurin.

Ukraine-Krieg: Mariupols historische Vorbilder
Diese Strategie der militärischen Nutzung von Tunneln im Ukraine-Krieg* beruht auf Vorbildern. Zu nennen sind hier etwa die Cu-Chi-Tunnel des Vietkong bei Saigon, die Tunnel der Hamas bei Kämpfen gegen die israelische Armee oder die Tunnel der IS-Miliz beim Kampf um Mossul im Irak.
Auch bietet sich ein Vergleich mit der Schlacht um Stalingrad im Zweiten Weltkrieg an. Damals konzentrierten sich die Kämpfe in der Stadt auf ein Industriegebiet rund um das Stahlwerk „Roter Oktober“. „Die Sowjets haben die unterirdischen Gänge, die Kanalisation und die Tunnel benutzt, um hinter die deutschen Linien zu gelangen“, sagt ein französischer Militärvertreter der Nachrichtenagentur AFP.
Ukraine-Krieg: Wie sich Mariupol in Tunneln vor Russland schützt
Auch 80 Jahre später und trotz moderner Militärtechnik hat der Untergrund für Verteidiger seine Vorzüge nicht eingebüßt. Angriffe aus der Luft genau wie Scharfschützen und Satellitenüberwachung sind weitgehend nutzlos, wenn sich der Gegner unter der Erde versteckt. „Es ist nicht möglich, von oben zu bombardieren, man muss unterirdisch aufräumen“, sagt der Militärvertreter Basurin über die Lage in Mariupol. „Das wird Zeit brauchen.“
Für die russischen Streitkräfte ist es „unmöglich“, in die Tunnel einzudringen, sagt Alexander Grinberg, Analyst am Jerusalem Institute for Security and Strategy (JISS). Sie „können es versuchen, aber dann werden sie massakriert, weil die Verteidiger der Tunnel den absoluten taktischen Vorteil haben“
Nichtsdestotrotz ist Mariupol nach Angaben aus Kiew* in der Nacht zum Mittwoch (13.04.2022) erneut Ziel russischer Luftangriffe gewesen. Wie das ukrainische Militär mitteilte, griffen Truppen aus Russland* auch den Hafen der Stadt sowie das Stahlwerk Asowstal an.
Ukraine-Krieg: Setzt Russland chemische Waffen ein?
Die Probleme der Tunnel-Verteidiger sind allerdings ebenfalls dieselben wie vor 80 Jahren: die schwierige Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und natürlich auch Munition – die Bestände sollen zur Neige gehen. Die erschwerte Kommunikation, die Gefahr von Einstürzen. Den ukrainischen Soldaten in Mariupol fehlt es wahrscheinlich auch an technischer Ausstattung wie Nachtsichtgeräten.
Die russischen Angreifer könnten versuchen, die Tunnel zu fluten. Auch der Einsatz von Gas oder anderen Chemikalien, wie er im Ukraine-Konflikt* immer wieder diskutiert wird, ist denkbar. Separatistenführer Basurin hatte vergangene Woche bereits erwogen, sich „an chemische Truppen zu wenden, die einen Weg finden werden, die Maulwürfe in ihren Löchern auszuräuchern“. (as/AFP) *fr.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.