1. Gießener Allgemeine
  2. Politik

EU-Beitritt der Ukraine: Solidaritätsbekundungen, aber keine Zusagen

Erstellt:

Von: Nail Akkoyun

Kommentare

Auf einer EU-Sondersitzung am Dienstag (01.03.2022) könnten die Weichen für einen Beitritt der Ukraine gestellt werden. (Symbolfoto)
Auf einer EU-Sondersitzung am Dienstag (01.03.2022) könnten die Weichen für einen Beitritt der Ukraine gestellt werden. (Symbolfoto) © Robert Michael/dpa

Auf einer Sondersitzung thematisiert das EU-Parlament einen möglichen Beitritt der Ukraine. Auch Präsident Selenskyj hält eine emotionale Rede.

+++ 16.19 Uhr: Die Europäische Union zeigt sich offen für den Beitrittswunsch der von Russland attackierten Ukraine. Allerdings werde dies „ein langer Weg“, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Europaparlament. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj, der live zugeschaltet vor den Abgeordneten eindringlich um die EU-Aufnahme seines Landes bat, bekam zunächst vor allem Solidaritätsbekundungen – und zusätzliche Finanzzusagen. 500 Millionen Euro will die EU für humanitäre Hilfe und die Versorgung von Flüchtlingen bereitstellen.

Selenskyj hatte am Montag (28.02.2022) vor dem Hintergrund der schweren Kämpfe mit Russland an die EU einen Antrag auf „unverzügliche Aufnahme der Ukraine nach einer neuen speziellen Prozedur“ gestellt. Rednerinnen und Redner der Sondersitzung drückten ihr Entsetzen über den russischen Angriff aus und Bewunderung für die Gegenwehr des ukrainischen Volkes. Sie machten deutlich, dass die Ukraine zu Europa gehöre und dass man sie nicht hängen lassen wolle. Aber ein Beitritt zum Club der derzeit 27 Staaten sei normalerweise sehr kompliziert und langwierig.

Das ließ auch EU-Ratspräsident Charles Michel durchblicken. Das Thema Beitritt sei schwierig, und es gebe unterschiedliche Auffassungen der Mitgliedstaaten, sagte Michel im Parlament. „Aber der Rat wird sich da seiner Verantwortung nicht entziehen können.“ Zumindest eine ernsthafte Prüfung von Selenskyjs Gesuch sagte Michel zu. Man werde „auf das Ziel hinarbeiten“, formulierte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Dabei geht es zunächst darum, ob die Ukraine offiziell Kandidatin für einen Beitritt werden kann.

EU-Beitritt der Ukraine: Korruption gilt nach wie vor als großes Problem

Im Falle der Ukraine, die seit 2017 ein Assoziierungsabkommen mit der EU hat, gilt Korruption als hohe Hürde. Der EU-Rechnungshof hatte 2021 festgestellt, dass „Oligarchen und Interessengruppen nach wie vor die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine“ untergrüben. Die Rechnungsprüfer beschrieben Korruption in der Ukraine als großes Problem - und zwar trotz der EU-Unterstützung, etwa bei Justizreformen.

Nach der Logik der EU ist kaum denkbar, dass dies alles ignoriert wird und die Ukraine an den übrigen Beitrittskandidaten vorbeizischt. So hat es auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock deutlich gemacht. Allen sei bewusst, „dass ein EU-Beitritt nichts ist, was man in einigen Monaten vollzieht“, sagte die Grünen-Politikerin am Montag. Zugleich betonte Baerbock: „Die Ukraine ist Teil des Hauses Europa.“ In diesem Spannungsfeld bewegten sich auch die Äußerungen von der Leyens und Michels: enge Verbundenheit signalisieren, aber ohne allzu konkrete Zusagen.

Sitzung des EU-Parlaments: Putin soll als „Kriegsverbrecher“ verurteilt werden

+++ 15.47 Uhr: Die Vorsitzenden der politischen Gruppen im Europaparlament haben fraktionsübergreifend den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilt. „Wir werden nicht ruhen, bis Putin als Kriegsverbrecher verurteilt wird“, sagte die sozialdemokratische Fraktionschefin Iratxe García. EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) sagte, eine neue Zeit habe begonnen. Auch wenn man einen langen Atem brauche, sei es wichtig, die europäische Lebensart zu verteidigen. „Den Preis der Freiheit zahlt man erst, wenn man sie verliert“, sagte Weber.

Stéphane Séjourné von der liberalen Renew-Fraktion betonte, man sei bereit dazu, auch die negativen Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland für die EU zu tragen. Die Opfer der Europäer hätten Europa zum freisten Kontinent der Welt gemacht. Der Chef der rechten EKR-Gruppe, Ryszard Legutko, übte in seiner Rede unter anderem Kritik an der deutschen und der französischen Regierung, die zu freundlich mit Putin umgegangen seien. „Ihre Glaubwürdigkeit als Anführer ist dahin“, sagte er.

Von der Leyen stellt Ukraine EU-Beitritt in Aussicht: „Gehört zu unserer europäischen Familie“

+++ 15.15 Uhr: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Ukraine bei ihren Hoffnungen auf einen EU-Beitritt auf einen langen Weg eingestellt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe bei ihrem bisher letzten Gespräch erneut vom Traum seines Volks erzählt, der EU beizutreten, sagte von der Leyen. Schon heute seien sich die Ukraine und die Europäische Union näher als je zuvor. „Aber es liegt noch ein langer Weg vor uns.“

Der Krieg müsse beendet und über die nächsten Schritte gesprochen werden, sagte von der Leyen. „Ich bin sicher: Niemand in diesem Plenarsaal kann daran zweifeln, dass ein Volk, das so mutig für unsere europäischen Werte steht, zu unserer europäischen Familie gehört.“

Derzeit erlebe die unabhängige Ukraine die dunkelsten Stunden. „Gleichzeitig hält das ukrainische Volk die Fackel der Freiheit stellvertretend für uns alle aufrecht.“ Die Ukrainer verteidigten ihr Leben. „Sie kämpfen aber auch für universelle Werte und sind bereit, für sie zu sterben.“ Von der Leyen schloss ihre Rede mit den Worten: „Lang lebe Europa. Und lang lebe die freie und unabhängige Ukraine.“

Humanitäre Hilfe an die Ukraine: EU will mindestens 500 Millionen Euro ergänzen

+++ 14.30 Uhr: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat der Ukraine mindestens 500 Millionen Euro an humanitärer Hilfe in Aussicht gestellt. Die Mittel aus dem EU-Haushalt sollten sowohl im Land selbst als auch für die Flüchtlinge eingesetzt werden, sagte von der Leyen bei einer Sondersitzung des Europaparlaments. Sie nannte den Krieg in der Ukraine „einen Moment der Wahrheit für Europa“.

Die Mittel sollen nach von der Leyens Worten weitere 500 Millionen Euro ergänzen, welche die EU-Staaten der Ukraine zuvor zugesagt hatten. Das Geld aus der sogenannten Europäischen Friedensfazilität ist für die Lieferung von Waffen, Munition und Treibstoff an die Ukraine vorgesehen. Das ist ein Novum in der EU.

Update vom Mittwoch, 01.03.2022, 13.30 Uhr: Der ukrainische Präsident Selenskyj hat in einer Sondersitzung vor dem EU-Parlament eine emotionale Ansprache gehalten. Selenskyj, der per Videoschalte zugeschaltet war, forderte Europa unter anderem auf, sich deutlicher zu positionieren: „Beweist, dass Ihr wirklich Europäer seid, und dann wird das Leben über den Tod siegen.“ Er fügte hinzu: „Wir wollen unsere Kinder am Leben sehen.“

EU-Sondersitzung: Wird die Ukraine nun doch EU-Mitglied?

Erstmeldung: Brüssel – Das EU-Parlament kommt am Dienstag (01.03.2022) um 12.00 Uhr zu einer Sondersitzung zum Ukraine-Konflikt* zusammen. Bei der Plenardebatte diskutieren die Europaabgeordneten mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über den russischen Einmarsch in die Ukraine* und das Vorgehen der EU. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und EU-Ratspräsident Charles Michel nehmen an der Sitzung in Brüssel teil.

Anschließend stimmen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier über eine gemeinsame Position zum Krieg in der Ukraine ab. Die Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament hatten den Einmarsch von Russland* in die Ukraine vergangene Woche „auf das Schärfste“ verurteilt und ihn als „Bedrohung für die europäische und regionale Stabilität“ bezeichnet. Dementsprechend soll auch ein möglicher EU-Betritt der Ukraine thematisiert werden.

Ukraine vor EU-Beitritt? Aufnahme könnte nach „spezieller Prozedur“ erfolgen

In einer Resolution des Parlaments, die der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorliegt, werden die EU-Institutionen aufgefordert, dem Land den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu verleihen. In der Zwischenzeit soll der Resolution zufolge weiter darauf hingearbeitet werden, den ukrainischen Markt in den Binnenmarkt der EU zu integrieren. Sie ist den Angaben zufolge zwischen den Fraktionen abgestimmt worden, mit Ausnahme der rechtsnationalen ID-Fraktion.

Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj pocht angesichts des russischen Angriffs auf den EU-Beitritt seines Landes. „Wir wenden uns an die EU zur unverzüglichen Aufnahme der Ukraine nach einer neuen speziellen Prozedur“, sagte Selenskyj am Montag (28.02.2022).

„Wenn Präsident Selenskyj um die EU-Mitgliedschaft bittet, dann bittet er um Frieden, Freiheit und Demokratie für sein Land“, sagte Manfred Weber (CSU*), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Die Mitgliedschaft sei zwar ein langwieriger Prozess, dennoch laute das Signal: „Die Ukraine gehört zur EU.“

Ukraine: Michael Roth (SPD) dämpft Hoffnung auf baldigen EU-Beitritt

Ein Sprecher der Europäischen Kommission dämpfte jedoch die Erwartungen auf einen schnellen Beitritt. Es gebe einen Prozess für die Beitrittsverhandlungen, um EU-Mitglied zu werden, erklärte der Sprecher. Die endgültige Entscheidung liege bei den EU-Ländern und nicht der Kommission. Bevor Länder EU-Mitglieder werden können, müssen sie die geltenden EU-Gesetze in nationales Recht umsetzen und eine Reihe von Kriterien erfüllen.

Der Vorsitzende des Auswärtiges Ausschusses im Bundestag, Michael Roth, ist grundsätzlich für einen EU-Beitritt der Ukraine – schnell werde das aber nicht gehen. „Das ist ein schwerer und mühseliger Weg für alle Staaten“, sagte der SPD-Politiker* Michael Roth am Montag dem TV-Sender Welt. „Es müssen die politischen Voraussetzungen erbracht werden, eine stabile Demokratie, ein Rechtsstaat, unabhängige Justiz, effektive Korruptionsbekämpfung, ein funktionierender Binnenmarkt – das dauert Jahre.“ Er könne sich nicht vorstellen, dass es ein verkürztes Verfahren geben wird.

In der zur Abstimmung stehenden Resolution wird zudem die „nicht provozierte und ungerechtfertigte“ militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine verurteilt. Es wird gefordert, dass Russland seine Truppen umgehend zurückzieht. Auch eine Beschränkung der Einfuhr der wichtigsten russischen Exportgüter, einschließlich Öl und Gas, wird gefordert. (nak mit AFP/dpa)

Auch interessant

Kommentare