Recht und Realpolitik
Die Europäische Union spricht gern und viel von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Doch auf die Frage, ob Griechenland sich bei seinem harten Vorgehen gegen Migranten an der Grenze zur Türkei an internationales und europäisches Recht hält, reagiert EU-Innnenkommissarin Ylva Johansson hilflos. »Niemand kann sicher sagen«, ob das der Fall sei. Sie könne nur dazu aufrufen, das Recht zu achten. Auch der Europa- und Völkerrechtler Daniel Thym tut sich schwer mit einer klaren Bewertung. Griechenland verstoße gegen den Geist der europäischen Asylpolitik. Die Frage, wie und ob es auch gegen den Buchstaben der Gesetze verstößt, sei sehr viel schwieriger zu beantworten, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR).
?Darf Griechenland seine Grenze überhaupt abriegeln?
Ja - das ist eine Frage der staatlichen Souveränität. Wie Menschenrechtler betont aber auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, dass die Behörden dabei auf übermäßigen Einsatz von Gewalt verzichten und ein System für die Bearbeitung von Asylanträgen aufrechterhalten müssen.
?Griechenland will aber doch keine Asylanträge mehr annehmen?
Stimmt. Dabei heißt es in der Dublin-III-Verordnung wörtlich: »Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt.« Doch dazu muss man den Antrag ja erst mal stellen können. »Eigentlich kann man an Grenzübergängen immer Asylanträge stellen. Solange diese geschlossen sind, gibt es faktisch jedoch keine Einreisemöglichkeit mehr«, sagt Jurist Thym.
?Was ist, wenn die Menschen noch gar nicht in Griechenland sind?
Das ist nach Ansicht von Thym der Knackpunkt. »Wenn das Recht auf einen Asylantrag absolut gilt, dann hieße das, dass im Extremfall alle 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei zur Grenze kommen und dort Schutz suchen dürften. Da stießen die rechtlichen Regelungen an politische Grenzen.«
?Dürfen die griechischen Behörden Schutzsuchende in die Türkei zurückschicken?
Sie berufen sich dabei auf EU-Recht: Im Rahmen der EU-Türkei-Vereinbarung gilt die Türkei als »sicherer Drittstaat«, in dem den Menschen keine Gefahr droht. Wenn jemand in der Türkei bereits formal Asyl oder eine andere Art von Schutz bekommen hat, gilt das Land außerdem nach europäischem Recht als »erster Asylstaat« - womit ein möglicher Anspruch auf Schutz in der EU hinfällig wird.
?Müssen die griechischen Behörden vorher Asylanträge prüfen?
Grundsätzlich schon. Und so haben griechische Gerichte bei Asylanträgen in den vergangenen Jahren oft anders entschieden und Antragsstellern recht gegeben - mit dem Hinweis, dass die Türkei kein sicherer Drittstaat sei. Die Sache wird allerdings nicht einfacher durch ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Demnach durfte Spanien zwei Migranten aus seiner Exklave Melilla bei ihrem Grenzübertritt umgehend nach Marokko zurückweisen. »Demnach wären Zurückweisungen erlaubt, falls es eine Möglichkeit gegeben hätte für die Betroffenen, schon an der Grenze um Asyl zu bitten«, erläutert Thym.
?Griechische Behörden wollen Menschen nicht nur in die Türkei, sondern auch in Herkunftsländer zurückschicken. Erlaubt?
Auch hier müsste der Einzelfall geprüft werden. »Leute ohne jegliches Verfahren in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken, wäre ein klarer Bruch des europäischen Asylrechts«, sagt Thym.
?Darf Griechenland Asylsuchende in Haft nehmen?
Nicht allein mit der Begründung, dass sie Asyl suchen. dpa