Pornos und Nötigung in "Pestminster"
London -Als ausgerechnet der "Porno-Abgeordnete" Neil Parish den britischen Premierminister über Moral in der Politik belehrte, war klar, dass Boris Johnson ein Problem hat. Der 58-Jährige hatte mal wieder so gehandelt, wie es seine Art ist: Ein Skandal taucht auf, der Premier will den Fall aussitzen. Aber unter dem Druck der Öffentlichkeit wird er doch zum Handeln gezwungen.
Das Problem: Während Johnson seinen Parteifreund Parish, der beim Pornogucken im Sitzungssaal beobachtet worden war, direkt aus dem Parlament drängte, durfte Christopher Pincher seinen Sitz zunächst behalten. Der bisherige stellvertretende Chef-Einpeitscher ("Whip") von Johnsons Konservativer Partei hatte - schwer betrunken - zwei Männer begrapscht. Erst nach heftigen Protesten wurde Pincher dann doch fürs Erste aus der Fraktion ausgeschlossen, aber nur so lange die Ermittlungen laufen. Nicht nur Parish sprach daraufhin von "Doppelmoral".
Willkommen in "Pestminster", wie der "verpestete" Londoner Parlamentsbezirk Westminster abschätzig genannt wird. Vor allem Johnsons Tories taumeln von einem Skandal um sexuelle Belästigung in den nächsten. Der Ex-Abgeordnete Charlie Elphicke wurde wegen sexueller Übergriffe ebenso zu einer Haftstrafe verurteilt wie der Ex-Parlamentarier Imran Khan wegen sexuellen Missbrauchs eines 15-Jährigen. Zuletzt wurde ein namentlich bisher nicht genannter Tory-Parlamentarier wegen Vergewaltigung festgenommen. Er ist gegen Kaution auf freiem Fuß. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Gegen rund 9 Prozent der 650 Unterhausmitglieder laufen polizeiliche Ermittlungen wegen sexuellen Fehlverhaltens. Auch Regierungsmitglieder werden auffällig. Dass Überwachungskameras dokumentierten, wie der verheiratete Gesundheitsminister Matt Hancock in seinem Büro mit einer engen Mitarbeiterin knutschte, zählt noch zu den harmlosen Vorgängen. In einer deutlich kompromittierenden Situation soll Johnson selbst 2018 in seinem Büro mit seiner heutigen Ehefrau Carrie ertappt worden sein.
Johnson bestreitet, von den Vorwürfen gegen "Whip" Pincher gewusst zu haben. Sein einst wichtigster Berater Dominic Cummings widersprach. Johnson habe gewitzelt, der Abgeordnete sei "Pincher vom Namen und Pincher von Natur". "Pincher" bedeutet "Kneifer".