1. Gießener Allgemeine
  2. Politik

"Keine Denkverbote" gilt für alle

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

polfnp_komm-pia_020622_4c_3
Vor einem Jahr im Wahlkampf schien die politische Welt noch übersichtlich: Die Grünen plädierten für den Klimaschutz, die FDP pochte auf die Freiheit. Völlig klar, wer da für ein Tempolimit war und wer nicht. Doch die Zeiten haben sich geändert. Denn die von Bundeskanzler Olaf Scholz beschworene "Zeitenwende" bedeutet auch, dass die Parteien angesichts der drohenden Energiekrise liebgewonnene Positionen aufgeben müssen. Die Grünen sollen in der Energiepolitik weitere Abstriche an ihren einst grundlegenden Prinzipien machen. "Keine Denkverbote bei der Kernkraft" hat CDU-Chef Friedrich Merz ebenso wie die FDP im Hinblick auf eine Laufzeitverlängerung der verbliebenen Kraftwerke gefordert. Und sicherlich ist es in der derzeitigen Lage nötig, alle Optionen auszuloten, obwohl ein Weiterbetrieb der schon in Abwicklung befindlichen Kraftwerke neue Probleme aufwirft, etwa bei den Brennstäben oder beim qualifizierten Personal. Doch genauso sollte sich die FDP nicht gegen ein befristetes Tempolimit sperren, das Energie spart - hier hat CDU-Vize Andreas Jung völlig Recht. Nicht weil das innerhalb der Ampel-Koalition ein Kuhhandel des Einlenkens wäre - sondern weil keine Maßnahme allein ausreicht. Und in der Vergangenheit gab es schon schärfere Einschränkungen: 1973 verhängte die Bundesregierung wegen der Ölkrise neben einem Tempolimit vier autofreie Sonntage. Umfragen zeigen, dass die Bürger mehrheitlich zum Umdenken bereit sind: 61 Prozent waren im Juni für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, 57 Prozent bereits im April für ein dauerhaftes Tempolimit - damals war eine zeitliche Begrenzung keine Option, diese dürfte in der inzwischen verschärften Lage noch mehr Befürworter finden. Aber dass der Wille der oft stillen Mehrheit wenig Beachtung findet, ist leider nicht neu - schließlich sind ja auch 63 Prozent bereits jetzt für eine Maskenpflicht ab Herbst. "Keine Denkverbote" gilt jedoch ebenfalls für Kommunen, die Gebäude nachts anstrahlen oder für energieintensive Großveranstaltungen wie das Oktoberfest. Das muss nicht bedeuten, alles abzusagen - Hinterfragen, Abspecken, Verkürzen sollte jedoch kein Tabu sein. Denn jedes Handeln nach dem Sankt-Florians-Prinzip, dass immer nur die anderen zum Sparen aufruft, kostet Glaubwürdigkeit und kratzt an der Bereitschaft zur Solidarität. © Fnp roessler

Vor einem Jahr im Wahlkampf schien die politische Welt noch übersichtlich: Die Grünen plädierten für den Klimaschutz, die FDP pochte auf die Freiheit. Völlig klar, wer da für ein Tempolimit war und wer nicht. Doch die Zeiten haben sich geändert.

Denn die von Bundeskanzler Olaf Scholz beschworene "Zeitenwende" bedeutet auch, dass die Parteien angesichts der drohenden Energiekrise liebgewonnene Positionen aufgeben müssen. Die Grünen sollen in der Energiepolitik weitere Abstriche an ihren einst grundlegenden Prinzipien machen. "Keine Denkverbote bei der Kernkraft" hat CDU-Chef Friedrich Merz ebenso wie die FDP im Hinblick auf eine Laufzeitverlängerung der verbliebenen Kraftwerke gefordert. Und sicherlich ist es in der derzeitigen Lage nötig, alle Optionen auszuloten, obwohl ein Weiterbetrieb der schon in Abwicklung befindlichen Kraftwerke neue Probleme aufwirft, etwa bei den Brennstäben oder beim qualifizierten Personal.

Doch genauso sollte sich die FDP nicht gegen ein befristetes Tempolimit sperren, das Energie spart - hier hat CDU-Vize Andreas Jung völlig Recht. Nicht weil das innerhalb der Ampel-Koalition ein Kuhhandel des Einlenkens wäre - sondern weil keine Maßnahme allein ausreicht. Und in der Vergangenheit gab es schon schärfere Einschränkungen: 1973 verhängte die Bundesregierung wegen der Ölkrise neben einem Tempolimit vier autofreie Sonntage.

Umfragen zeigen, dass die Bürger mehrheitlich zum Umdenken bereit sind: 61 Prozent waren im Juni für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, 57 Prozent bereits im April für ein dauerhaftes Tempolimit - damals war eine zeitliche Begrenzung keine Option, diese dürfte in der inzwischen verschärften Lage noch mehr Befürworter finden. Aber dass der Wille der oft stillen Mehrheit wenig Beachtung findet, ist leider nicht neu - schließlich sind ja auch 63 Prozent bereits jetzt für eine Maskenpflicht ab Herbst.

"Keine Denkverbote" gilt jedoch ebenfalls für Kommunen, die Gebäude nachts anstrahlen oder für energieintensive Großveranstaltungen wie das Oktoberfest. Das muss nicht bedeuten, alles abzusagen - Hinterfragen, Abspecken, Verkürzen sollte jedoch kein Tabu sein. Denn jedes Handeln nach dem Sankt-Florians-Prinzip, dass immer nur die anderen zum Sparen aufruft, kostet Glaubwürdigkeit und kratzt an der Bereitschaft zur Solidarität.

Auch interessant

Kommentare