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Proteste im Iran: Menschenrechtsaktivisten gehen von 72 Getöteten innerhalb einer Woche aus

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Von: Bettina Menzel

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Bei Protesten gegen die iranische Regierung wurden am Donnerstag (17. November) in Teheran Mülltonnen verbrannt und die Straßen blockiert. © IMAGO/Anonymous/ ZUMA Wire

Die Proteste im Iran gehen weiter. Das Regime greift hart durch. Die Zahl der Todesurteile steigt, es werden erneut Ziele im Nordirak angegriffen. Der News-Ticker.

Update vom 22. November, 19.26 Uhr: Menschenrechtsaktivisten gehen davon aus, dass iranische Sicherheitskräfte bei ihrem gewaltsamen Vorgehen gegen die landesweiten Proteste allein in der vergangenen Woche 72 Menschen getötet haben. Davon seien 56 in hauptsächlich von Kurden bewohnten Gebieten ums Leben gekommen, erklärte die in Oslo ansässige Organisation Iran Human Rights (IHR). Insgesamt wurden demnach seit Beginn der Proteste vor zehn Wochen 416 Menschen von Sicherheitskräften getötet, darunter 51 Kinder und 21 Frauen.

Iran: CNN-Recherche zeigt Grausamkeiten gegenüber Frauen in iranischer Haft

Update vom 22. November, 17.10 Uhr: Im Iran demonstrieren vor allem Frauen gegen die repressive Politik des Regimes. Eine Recherche von CNN zeigt nun, dass ihnen in Haft wohl oft Grausames widerfährt. Offenbar sind in iranischen Gefängnissen systematische Vergewaltigungen von Demonstranten keine Seltenheit, betroffen sind angeblich Frauen wie Männer. Mehr über die schlimmen Vorwürfe lesen Sie hier.

Update vom 21. November, 22.36 Uhr: Das Europaparlament reagiert auf iranische Sanktionen gegen Europaabgeordnete, nachdem mehrere Parlamentsmitglieder derzeit zum Beispiel nicht in den Iran reisen dürfen: Die Abgeordneten des Europaparlaments haben den offiziellen Kontakt zu iranischen Stellen abgebrochen. Mitglieder von Delegationen und Ausschüssen des Parlaments werden keinen direkten Kontakt mehr mit ihren iranischen Kollegen haben, wie Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Montagabend ankündigte. Auch Einladungen von iranischen Stellen sollen abgelehnt werden.

Nordirak: Iranische Angriffe töten einen Menschen

Update vom 21. November, 20.48 Uhr: Kurdischen Angaben zufolge ist bei den erneuten Angriffen des Iran auf iranisch-kurdische Oppositionsgruppen im Nordirak mindestens ein Mensch ums Leben gekommen. „Ein Mitglied der Peschmerga wurde bei einem iranischen Angriff getötet“, erklärte Ali Budaghi von der Demokratischen Partei Iranisch-Kurdistans (PDKI) am Montag. Als Peschmerga werden die Streitkräfte der autonomen Kurdenregion im Nordirak bezeichnet. Die Regionalregierung und die Regierung in Bagdad verurteilten die iranischen Angriffe. Die iranischen Revolutionsgarden erklärten, sie hätten „Hauptquartiere und Verschwörungszentren“ kurdischer Gruppen im Irak angegriffen.

Iran: Heftige Auseinandersetzungen am Montag - Sicherheitskräfte sollen wahllos geschossen haben

Update vom 21. November, 17.49 Uhr: Bürgerkriegsähnliche Szenen bei Protesten in Kurdengebieten im Westen und Nordwesten des Iran: Laut Augenzeugen gab es in den Städten Dschwanrud und Piranschahr am Montag heftige Auseinandersetzungen, wobei iranische Sicherheitskräfte wahllos auf Demonstranten geschossen haben sollen. Die Schilderungen aus den Kurdengebieten wurden nicht unabhängig überprüft. Doch auch aus anderen Landesteilen gab es am Montag Berichte über Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.

Viele iranische Aktivistinnen und Aktivisten hatten unterdessen im Vorfeld der Fußball-WM davon gesprochen, dass die iranische Mannschaft im Spiel gegen England sich mit der demonstrierenden Bevölkerung solidarisieren solle. Als Zeichen der Unterstützung hatte dann die gesamte Mannschaft die Nationalhymne nicht mitgesungen.

„Sie singen nicht. Keiner von ihnen. Schaut in ihre Gesichter“, schrieb die Journalistin und Politikwissenschaftlerin Gilda Sahebi auf Twitter. Und weiter: „Sie wissen, dass in diesen Minuten vielleicht schon ihre Familien dafür zahlen müssen und bald sie selbst. Sie wurden unter immensen Druck gesetzt, genau das nicht zu machen. Sie machen es trotzdem, für die Revolution.“ Drohen der iranischen Mannschaft Konsequenzen?

Iranische Revolutionsgarden greifen erneut Ziele im Nordirak an

Update vom 21. November, 07.25 Uhr: Die iranischen Revolutionsgarden (IRGC) haben in der Nacht zum Montag erneut Ziele im benachbarten Nordirak angegriffen. Mit Raketen und Drohnen seien Stützpunkte kurdischer Separatistengruppen angegriffen worden, berichtete die Nachrichtenagentur Tasnim auf Twitter. Bereits in den vergangenen Wochen hatte die Islamische Republik immer wieder Stellungen im Nordirak bombardieren lassen. Teheran wirft den kurdischen Gruppen im Nordirak vor, die landesweiten Proteste gegen die Regierung und das islamische Herrschaftssystem im Iran zu unterstützen.

Rakete der Revolutionsgarde in Iran
Die Revolutionsgarden verfügen über ein großes militärisches Potenzial. Darunter sind auch Kurzstreckenraketen des Typs Qiam. (Archivfoto) © Sobhan Farajvan/imago

Zudem sind die beiden bekannten Schauspielerinnen Hengameh Ghasiani und Katajun Riahi festgenommen worden, nachdem sie in der Öffentlichkeit ihr Kopftuch abgenommen hatten. Das berichteten iranische Staatsmedien am Sonntag. Die 52-jährige Ghasiani hatte am Samstagabend auf Instagram ein Video veröffentlicht, in dem sie ihr Kopftuch ablegt. „Vielleicht ist dies mein letzter Beitrag“, schrieb sie. Vergangene Woche hatte sie die iranische Staatsführung als „Kindermörder“ bezeichnet und ihr vorgeworfen, mehr als 50 Kinder „ermordet“ zu haben. Riahi hatte im September dem in London ansässigen TV-Sender Iran International ein Interview gegeben, bei dem sie kein Kopftuch trug.

Justiz im Iran: Sechstes Todesurteil im Zusammenhang mit Protesten gefällt

Update vom 20. November, 21.55 Uhr: Im Iran ist erneut ein Angeklagter im Zusammenhang mit den Protesten zum Tode verurteilt worden. Das Revolutionsgericht in Teheran befand ihn für schuldig, „während der jüngsten Unruhen ein Messer gezogen“ zu haben, „mit der Absicht zu töten, Terror zu verbreiten und die Gesellschaft zu verunsichern“, wie die iranische Justizbehörde auf ihrer Internetseite Misan Online am Sonntag bekannt gab. Es ist bereits das Sechste im Zusammenhang mit den Demonstrationen verhängte Todesurteil.

Proteste im Iran: Polizei marschiert mit Panzern in kurdische Stadt

Update vom 20. November, 14.50 Uhr: In der kurdischen Stadt Mahabad im Nordwesten des Irans ist es Augenzeugen zufolge bei Protesten zu massiver Gewalt gekommen. Demnach sollen Polizei- und Sicherheitskräfte am Samstagabend mit Panzern in die Stadt einmarschiert sein und wahllos auf Demonstranten geschossen haben. Auch der Strom in der Stadt wurde demnach kurzfristig abgeschaltet. Die Situation sei eskaliert – zahlreiche Einwohner wurden verletzt, wie Augenzeugen berichteten. Unklar war, ob es auch Tote gegeben hat. Die Schilderungen ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Insgesamt kamen seit Beginn der Proteste im Iran Angaben der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights zufolge mindestens 378 Menschen ums Leben.

Die regierungsnahe Nachrichtenagentur Tasnim stellte die Situation anders dar: In der Nacht zum Sonntag hätten „bewaffnete Terroristen“ Privathäuser und öffentliche Einrichtungen in Brand gesetzt und die ganze Stadt und deren Einwohner in Panik versetzt. Mehrere Anführer der „Terrorgruppen“ hätten jedoch überführt und inhaftiert werden können, so der Tasnim-Bericht unter Berufung auf örtliche Sicherheitsbehörden. Medienberichten zufolge gab es am Samstagabend auch in anderen Teilen des Landes erneut Proteste gegen den repressiven Kurs der islamischen Führung.

Iranische Justiz leitet Ermittlungsfahren ein: Auch Prominente aus Politik, Film und Sport betroffen

Die iranische Justiz leitete unterdessen Medienberichten zufolge Ermittlungsverfahren gegen mehrere Prominente aus Politik, Film und Sport ein. Zwei ehemalige Abgeordnete, fünf Schauspielerinnen und ein Fußballtrainer wurden demnach zum Verhör einbestellt. Ihnen werde vorgeworfen, sich in den sozialen Medien „provokant und beleidigend“ Offiziellen gegenüber geäußert zu haben.

Offenbar gibt es Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Regimes Iran

Update vom 19. November, 12.40 Uhr: Innerhalb des Regimes im Iran gibt es offenbar Meinungsverschiedenheiten. Das geht aus einem Bericht des Institute for the Study of War (ISW) vom Freitag hervor. Demnach gäbe es unterschiedliche Ansichten über Taktiken zur Unterdrückung der Proteste im Iran. Ein Regierungsbeamter habe erklärt, das Regime könne die Unruhen schnell beenden, sobald „die zuständigen Behörden dazu bereit seien“. Offenbar herrschen innerhalb des Regimes unterschiedliche Ansichten darüber, wie viel Gewalt das Sicherheitspersonal anwenden sollte, um Demonstranten zu unterdrücken.

Proteste im Iran: Im Regime herrscht Uneinigkeit über Gewalt gegen Demonstranten

Seit Beginn der Proteste im Iran sind nach Angabe von Menschenrechtsorganisationen über 330 Menschen ums Leben gekommen. Unter den Getöteten waren 50 Kinder, wie das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef am Freitag mitteilte. Trotz der Gefahr gehen die Menschen im Iran weiterhin auf die Straße. Am Freitag fanden laut ISW-Bericht mindestens 33 Proteste in 31 Städten in 13 Provinzen statt.

Iran muss wegen der Lieferung von Drohnen an Russland mit neuen Sanktionen rechnen

Update vom 18. November, 18.45 Uhr: Der Iran muss wegen der Lieferung von Kamikaze-Drohnen an Länder wie Russland mit neuen Strafmaßnahmen des Westens rechnen. „Wir stimmen uns mit Partnern und Verbündeten ab, um in Reaktion auf die Proliferation iranischer Drohnen weitere Sanktionen zu verhängen“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag bei der Sicherheitskonferenz IISS Manama Dialogue im Königreich Bahrain.

Die Weitergabe von Waffen durch den Iran stelle für „uns alle“ ein Sicherheitsrisiko dar. Als Beispiele für die Folgen des Exports von iranischen Drohnen vom Typ Shahed 136 nannte von der Leyen den vor wenigen Tagen vor der Küste Omans erfolgten Angriff auf den Öltanker Pacific Zircon sowie russische Attacken auf zivile Ziele in den Städten der Ukraine. Letztere könnten als Kriegsverbrechen eingestuft werden. Welche neuen Strafmaßnahmen gegen den Iran vorbereitet werden, sagte von der Leyen nicht.

Iran-Proteste: Ayatollah Khomeini-Haus offenbar in Brand gesteckt

Update vom 18. November, 14.30 Uhr: Demonstranten haben im Iran das mutmaßliche Geburtshaus des Republikgründers Ayatollah Khomeini in Brand gesetzt. Von der Nachrichtenagentur AFP verifizierte Aufnahmen vom Donnerstagabend zeigten jubelnde Demonstranten vor einem in Flammen stehenden Gebäude in der Stadt Khomein in der westlichen Provinz Markasi.

Khomeini war ein scharfen Kritiker des im Iran herrschenden – und von den USA unterstützten – Schah Mohammed Resa Pahlawi. 1979 kehrte Khomeini aus dem Exil in Frankreich zurück, um die Islamische Revolution im Iran anzuführen. Er starb 1989, aber er wird von den Klerikern um das heutige geistliche Oberhaupt des Iran, Ali Chameini, bis heute tief verehrt.

Die seit Mitte September andauernden Proteste nach dem Tod der Kurdin Mahsa Amini, die von der iranischen Sittenpolizei festgenommen worden war, sind eine der größten Machtproben für die Herrschenden im Iran seit der Revolution von 1979. Die Proteste richteten sich zunächst gegen die unter Khomeini verhängte Verpflichtung zum Tragen einer Kopfbedeckung für Frauen, weiteten sich aber zu einer massiven Bewegung mit Rufen nach einem Ende der Islamischen Republik aus.

Dieser Screenshot soll ein Feuer am Geburtshaus Khomeinis im Iran zeigen.
Dieser Screenshot soll ein Feuer am Geburtshaus Khomeinis im Iran zeigen. © ESN/AFP

Proteste im Iran — 18 Menschen an einem Tag getötet

Überblick vom 18. November: Teheran - Die Proteste im Iran gehen auch nach zwei Monaten weiter. Die Sicherheitskräfte gehen weiterhin brutal gegen die Demonstrierenden vor, innerhalb nur eines Tages sind mindestens 18 weitere Menschen getötet worden, wie am Donnerstag (17. November) bekannt wurde. Sowohl in der Stadt Bukan der Provinz West-Aserbaidschan sowie in Sanandasch, Hauptstadt der Provinz Kurdistan, seien Sicherheitskräfte mit scharfer Munition gegen Protestteilnehmer vorgegangen.

Proteste im Iran: Augenzeugen widersprechen Staatsmedien

Im Nordwesten des Iran wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen am Mittwoch mindestens fünf Demonstranten von Sicherheitskräften getötet. In der zentralen Metropole Isfahan sollen Unbekannte drei Mitglieder der Basidsch-Milizen getötet haben, wie Staatsmedien berichteten. Die Mehrheit der Proteste in der Stadt war Augenzeugen zufolge jedoch friedlich. Im Südwesten hätten in der Stadt Iseh Unbekannte mit Sturmgewehren auf eine Menschenmenge geschossen. Die staatliche Nachrichtenagentur Irna sprach von einem „Terrorangriff“.

Augenzeugen aus der Stadt dementierten die Informationen der Staatsmedien jedoch. Nach Angaben von Einwohnern eröffneten am Mittwoch Sicherheitskräfte in Iseh das Feuer, mindestens zehn Menschen sollen dabei getötet worden sein, darunter auch ein Kind. Die Stadt in der Provinz Chusestan war demnach fast einen Tag lang ohne Internet.

Iran: Mindestens 360 Menschen seit Beginn der Proteste getötet

Nach Schätzungen von Menschenrechtlern wurden im Zuge der Proteste bisher mindestens 360 Menschen getötet. Unter den Toten seien auch 56 Minderjährige und 46 Sicherheitskräfte, berichtete die Organisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) mit Sitz in den USA. Rund 16.000 Menschen seien zudem festgenommen worden. Die Proteste erfassten seit ihrem Beginn demnach mehr als 140 Städte. Zudem sprach das Regime Todesurteile gegen inhaftierte Demonstrierende aus. Angaben von Amnesty International vom Donnerstag zufolge sind mindestens 21 Menschen mit der Todesstrafe bedroht.

Die jüngste Welle des Protests gegen die autoritäre Politik der Islamischen Republik war vom Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini ausgelöst worden. Sie starb am 16. September in Polizeigewahrsam, nachdem sie wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden war (dpa/bme).

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