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EU-Kandidat - und dann?

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Ukrainer demonstrierten gestern in Brüssel für einen Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union. © dpa

Status, Geld und hohe Hürden - So leicht kommt man nicht ins europäische Haus

Brüssel -Wenn es um die Frage eines möglichen EU-Beitritts ging, wurde die Ukraine immer wieder vertröstet. Russlands Krieg gegen das osteuropäische Land hat nun unerwartet Tempo in die Annäherung Kiews an die EU gebracht. Bei einem Gipfel in Brüssel sollte die Ukraine nun am Donnerstag zum EU-Beitrittskandidat gemacht werden.

Was bedeutet der Kandidatenstatus?

Relevant ist der Status vor allem psychologisch und symbolisch. Die EU will den mehr als 40 Millionen Ukrainern zeigen, dass sie eine Perspektive haben, EU-Bürger zu werden. Er soll zudem ein Zeichen dafür sein, dass es sich lohnt, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen. "Die Ukraine steht an der Frontlinie und verteidigt europäische Werte", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich.

Ist der Kandidatenstatus mit Finanzhilfen verbunden?

Einen Automatismus zwischen Kandidatenstatus und Finanzhilfe gibt es nicht. Für die EU-Beitrittskandidaten sind von 2021 bis 2027 allerdings insgesamt 14,16 Milliarden Euro als sogenannte Heranführungshilfen eingeplant. Das Geld soll Reformen unterstützen, die Auszahlung müsste jedoch von den Mitgliedstaaten bewilligt werden. Unterm Strich dürften diese Hilfen aber ohnehin nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Der Wiederaufbau der hoch verschuldeten Ukraine wird weit mehr als eine Billion Euro kosten.

Wie lange dauert der Weg vom Kandidatenstatus bis zum EU-Beitritt?

Das kann niemand vorhersagen. Die Türkei etwa wurde 1999 EU-Kandidat - und war wohl noch nie weiter von einer Mitgliedschaft entfernt als heute. Relevant ist auch, dass jeder Schritt der Annäherung einstimmig von den EU-Staaten beschlossen werden muss.

Wie geht es jetzt für die Ukraine weiter, wenn sie EU-Kandidat ist?

Es wurde erwartet, dass sich die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Brüsseler Gipfel hinter eine Empfehlung der EU-Kommission stellen. Demnach müsste das Land vor dem Beginn von Beitrittsverhandlungen zunächst sieben Voraussetzungen erfüllen. Es geht unter anderem um das Auswahlverfahren ukrainischer Verfassungsrichter und eine stärkere Korruptionsbekämpfung - insbesondere auf hoher Ebene. Auch fordert die EU-Kommission, dass Standards im Kampf gegen Geldwäsche eingehalten werden.

Kann die Ukraine diese Voraussetzungen in absehbarer Zeit erfüllen?

Das ist äußerst unwahrscheinlich. Der Europäische Rechnungshof stellte dem Land noch im September ein verheerendes Zeugnis aus. "Obwohl die Ukraine Unterstützung unterschiedlichster Art vonseiten der EU erhält, untergraben Oligarchen und Interessengruppen nach wie vor die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine und gefährden die Entwicklung des Landes", hieß es damals. Zwar hätten EU-Projekte und EU-Hilfen dazu beigetragen, die ukrainische Verfassung sowie eine Vielzahl von Gesetzen zu überarbeiten. Die Errungenschaften seien allerdings ständig gefährdet, und es gebe zahlreiche Versuche, Gesetze zu umgehen und die Reformen zu verwässern. Das gesamte System der strafrechtlichen Ermittlung und Strafverfolgung sowie der Anklageerhebung bei Korruptionsfällen auf höchster Ebene sei kaum gefestigt.

Ist die EU überhaupt in der Lage, weitere Länder aufzunehmen?

Kanzler Olaf Scholz mahnt, die EU müsse sich "erweiterungsfähig" machen. Dazu gehöre, für einige Entscheidungen das Prinzip der Einstimmigkeit aufzuheben. Jedoch ist unwahrscheinlich, dass alle Staaten bereit sind, ihr Veto-Recht aufzugeben.

Welche Länder streben noch in die Europäische Union?

Bereits seit längerem Beitrittskandidaten sind neben der Türkei die Länder Albanien, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien. Hinzu kommen Bosnien-Herzegowina und das Kosovo als potenzielle Kandidaten. Kurz nach der Ukraine hatten sich im März auch Georgien und Moldau beworben. Moldau sollte beim EU-Gipfel wie die Ukraine zum EU-Kandidaten gemacht werden. Georgien sollte zunächst Reformen erfüllen, ehe es so weit ist. Die Hoffnungen der Balkan-Staaten auf Fortschritt auf ihrem Weg in die EU wurden bei einem gemeinsamen Treffen mit der Staatengemeinschaft am Donnerstag enttäuscht.

In Gesundheitskrisen wie der Corona-Pandemie wird auf EU-Ebene künftig deutlich enger zusammengearbeitet. Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments einigten sich am Donnerstag auf eine verstärkte Kooperation über Landesgrenzen hinweg. Dazu soll die EU-Kommission erstmals dazu in der Lage sein, einen EU-weiten Gesundheitsnotstand auszurufen und damit ein koordiniertes Vorgehen etwa beim Kauf und der Lagerung von wichtigen Gütern auszulösen. Die Einigung ist Teil eines Pakets für eine "Gesundheitsunion", das der EU mehr Kompetenzen in Gesundheitsfragen verschafft als vor der Pandemie. Die Befugnisse der EU-Gesundheitsbehörden ECDC und EMA wurden zuletzt bereits ausgeweitet, zudem wurde die neue Behörde Hera zur Vorsorge geschaffen. dpa

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