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Berühmte Protestjournalistin selbst erstaunt über „Lanz“-Auftritt - „Vielleicht bin ich für irgendjemanden gut“

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Die Talkrunde bei „Markus Lanz“ (ZDF) am 30. März
Die Talkrunde bei „Markus Lanz“ (ZDF) am 30. März © Screenshot: ZDF Mediathek/„Markus Lanz“

Am 35. Tag des Ukraine-Krieges ist bei „Markus Lanz“ die über Nacht berühmt gewordene russische Journalistin Marina Owsjannikowa zu Gast. Ihre Kritik an Putin ist nicht leiser geworden.

Hamburg – In der „Markus Lanz“-Runde analysieren am Mittwochabend (30. März) zunächst die Journalistin Katrin Eigendorf und Talkmaster Markus Lanz die Lage in der Ukraine. Die Bilder der ungeheuren Zerstörung aus Mariupol erzeuge Wladimir Putin* bewusst, um einerseits die Moral der ukrainischen Bevölkerung zu schwächen und andererseits der Weltgemeinschaft zu zeigen, dass Russland bereit sei, sehr weit zu gehen. Der Politiker Michael Roth (SPD)* sagt, er sehe die Bilder zum ersten Mal und ringt um Fassung. „Das lässt ja niemanden kalt. Wir schauen auf eine gescheiterte Hoffnung“, konstatiert der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses.

Russische Journalistin Marina Owsjannikowa bei „Markus Lanz“: „Vielleicht bin ich für irgendjemanden gut“

Die russische Journalistin Marina Owsjannikowa, die mit ihrem Sechs-Sekunden-Protest im staatlichen Fernsehen weltberühmt wurde*, ist im Anschluss per Video aus Moskau zugeschaltet. Noch sei sie nicht für ihre Liveschalte verurteilt worden, der „Verwaltungsvorgang“ ruhe derzeit sogar. Owsjannikowa wisse nicht, was das zu bedeuten habe, sie warte derzeit darauf, welche Entscheidung getroffen werde. Sie habe Angst, weiter strafrechtlich verfolgt und von ihrem Arbeitgeber disziplinarisch belangt zu werden.

Freunde hätten Owsjannikowa nahegelegt, mit ihrem Pass zur französischen Botschaft zu gehen und Asyl zu beantragen. Doch die Journalistin sagt, sie wolle in Russland bleiben: „Ich suche kein warmes Plätzchen im Ausland.“ Ihre Protestaktion habe dem Zweck gedient, „das Publikum wachzurütteln, das quasi zu Zombies geworden ist dieser Propaganda“. Dass Owsjannikowa überhaupt im deutschen Fernsehen ein Putin-kritisches Interview geben kann, verwundert Gastgeber Lanz. Auch Owsjannikowa selbst ist sich nicht sicher, welchen Zweck Russland damit verfolgt: „Vielleicht bin ich für irgendjemanden gut. Vielleicht für unsere Regierung. Vielleicht wollen sie, dass durch mich irgendein Dialog mit dem Westen stattfindet. Ich weiß nicht, welche Ziele sie verfolgen.“

Informationskrieg im Ukraine-Konflikt – Marina Owsjannikowa bei „Markus Lanz“: „In Russland herrscht ein Informationsvakuum“

Bei ihrem Sender, dem staatlichen Perwy Kanal (Erster Kanal), seien alle Informationen vorhanden. Wenn sie in das Büro komme, sehe sie die Bilder der westlichen Nachrichtenagenturen auf den Bildschirmen. Darauf Zugriff zu haben sei keine Selbstverständlichkeit, sagt Owsjannikowa: „Ich war in dem Moment kein gewöhnlicher Otto-Normal-Bürger Russlands, denn ich hatte viel mehr Zugang zu Informationen als andere Menschen.“ Sie habe die Realität gesehen, die im russischen Fernsehen verschwiegen worden sei, nach Kriegsbeginn habe der Sender auf die Verwendung westlicher Bilder komplett verzichtet.

„Markus Lanz“ - das waren seine Gäste am 30. März:

Von der Journalistin Cordula Tutt möchte Moderator Lanz im Anschluss wissen, was es bedeute, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas ausgerufen habe. Diese erklärt, dass es sich dabei um einen staatlichen Plan der Energiesicherung handle, bei dem „wir abgestuft abschalten, wenn nicht mehr vorhanden ist. Da sind wir jetzt bei der ersten von drei Stufen“. Es sei ein formelles Anerkennen der Situation, dass bald nicht mehr genug Gas für den deutschen Bedarf vorhanden sein werde.

Als „Ökonom der Stunde“ kündigt Talkmaster Lanz daraufhin den Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann an, der aus den USA per Video zugeschaltet ist. Bachmann ist davon überzeugt, dass Putin die Devisen aus dem Rohstoffhandel brauche, dafür spreche sein Rückzieher, nur noch Rubel für Rohstoffe akzeptieren zu wollen: „Man kann streiten, wie wichtig sie für die Kriegsführung sind. Aber sie sind wichtig für Russland und das Regime Putin. Sonst hätte er heute nicht zurückgezogen.“

Ökonom Rüdiger Bachmann bei „Markus Lanz“: „Wir könnten uns ein Rohstoff-Embargo leisten“

Zusammen mit einem internationalen Forschungsteam hat Bachmann in den letzten Wochen mit seinen Kollegen versucht, die Behauptung von Vizekanzler Habeck zu überprüfen, dass ein Verzicht auf russische Rohstoffe zu Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut führe. Das Forscherteam wolle sich nicht in der Frage um ein Rohstoff-Embargo positionieren, sondern sich ansehen: „Was wäre wenn? Das wollten wir einfach mal wissen. Stimmt denn eigentlich diese, ich würde sagen eher Bauchgefühl-Behauptung von Robert Habeck*?“

Dazu habe das Team Modellrechnungen durchgeführt, die in der Folge eines russischen Rohstoff-Importstopps „im schlimmsten Fall“ eine Rezession von drei Prozent zur Folge hätten. „Diese Zahlen sind inzwischen auch von anderen Instituten und anderen Forscherteams bestätigt worden“, führt Bachmann aus und weist darauf hin, dass nach weiteren Modellrechnungen ein Worst-Case-Szenario von einem sechsprozentigen Rückgang der deutschen Volkswirtschaft ausgehe. Für Bachmann wäre auch das tragbar: „Ich darf daran erinnern, dass die Corona-Rezession auch minus fünf Prozent war.“

Ukraine-Krieg und Rohstoff-Abhängigkeit von Russland – SPD-Mann Roth bei „Lanz“: „Die Politik muss eine Antwort finden“

Trotz dieser Analyse spricht sich SPD-Politiker Roth gegen einen Stopp der Rohstoff-Importe aus: „Wenn wir es rein moralisch zu beurteilen hätten, wäre ich sofort dafür, dieses Embargo auszusprechen. Ich finde es fürchterlich, dass wir jeden Tag eine Milliarde Dollar an Putin und seine Helfershelfer überweisen, um unsere Energieversorgung zu sichern.“ Roth findet allerdings, dass er sich in diesem Fall ebenfalls „schuldig“ mache, indem er Arbeitslosigkeit, Inflation und steigende Energiekosten in Deutschland begünstige. Der Sozialdemokrat berichtet aus seinem eigenen Wahlkreis, in dem ein Düngemittelhersteller im Fall eines Embargos „erst einmal für ein bis zwei Jahre den Laden dicht machen“ müsste, weil er mit russischer Energie produziere. Sollte die Produktion ausfallen, seien die größten Düngemittelhersteller auf dem Weltmarkt Russland und Belarus – dann drohe als notwendige Folge eine Düngemittelknappheit.

„Darauf muss die Politik eine Antwort finden. Ich kann mich nicht hierhin stellen und sagen, ich bin mir meiner Sache völlig sicher“, gibt Roth zu und drückt seine Dankbarkeit gegenüber Bachmann aus. Dessen Arbeit verdeutliche das ernsthafte Ringen um die Situation. Wirtschaftsminister Habeck rechne er es hoch an, dass dieser die Abhängigkeit beim Gas in kurzer Zeit von 55 auf 40 und bei Kohle und Öl auf 25 Prozent senken konnte. Bachmann findet hingegen, die Rohstoff-Importe könnten gestoppt und um gefährdete Unternehmen ein Schutzschirm gelegt werden, so wie die Politik während der Corona-Pandemie* die Existenz von Gastronomien, der Tourismus-Wirtschaft und der Lufthansa gesichert habe. Der Ökonom betont energisch: „Das ist eine Frage der Wirtschaftspolitik. Das heißt: Es ist eine Frage des Willens.“

„Markus Lanz“ - Das Fazit der Sendung

Bei „Markus Lanz“ meldet sich am Mittwochabend die russische Journalistin Marina Owsjannikowa per Video aus Russland und spricht mutig über die russische Propaganda, an der sie selbst mitgewirkt hat. Die Journalistinnen Katrin Eigendorf und Cordula Tutt kommentieren das Geschehen in der Ukraine und in Russland, ehe sie mit dem Politiker Michael Roth und dem aus Washington zugeschalteten Rüdiger Bachmann darüber diskutieren, wie praktikabel ein russisches Rohstoff-Embargo ist. Einig sind sich Bachmann und Roth nur in der perspektivischen Frage von Steuererhöhungen für Reiche, denn, so Roth: „Am Ende muss es ja auch irgendwer bezahlen.“ (Hermann Racke) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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