Donnerschlag im Parlament

Frankreichs Präsident Macron bekommt mächtige Opposition
Paris -Bei seinem rasanten Aufstieg vor einigen Jahren hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die traditionelle Rechte und Linke forsch zur Seite geschoben. Nun kommt die Opposition von beiden Seiten in extremerer Form kraftvoll zurück: Ohne eigene Mehrheit und zwischen Links- und Rechtsaußen wird das Regieren in der zweiten Amtszeit für Macron deutlich schwieriger. Dies dürfte auch seine internationale Rolle schwächen.
Eine unerwartete Folge der Parlamentswahl: Macron bekommt seine Langzeit-Gegnerin Marine Le Pen zurück. Der Vorsitz der größten Oppositionsfraktion in der Nationalversammlung ist ein Amt, mit dem die Rechtspopulistin - nach dreimaligem Scheitern bei der Präsidentschaftswahl - selbst kaum gerechnet hätte.
Ihre Partei wird nun sehr viel mehr Geld, Mitarbeiter und Redezeit in der Nationalversammlung bekommen. Es ist damit zu rechnen, dass die Abgeordneten der Le-Pen-Partei Rassemblement National (RN) Macrons Reformvorhaben massiv behindern werden. Die Sitze ihrer Partei dürften von derzeit sechs auf 75 bis 95 zunehmen. "Die Rente mit 65 ist tot", erklärte die 53-jährige Le Pen schon gestern nach der Wahl triumphierend.
Das überraschend gute Abschneiden der Rechtspopulisten zeigt, dass die Partei mittlerweile in der Fläche verwurzelt ist. Le Pens Konzept ist aufgegangen: Sie hat ihre Partei zum Sprachrohr von vielen gemacht, die sich in Frankreich benachteiligt und abgehängt fühlen. Dass Macrons Wahlbündnis die absolute Mehrheit verlor, geht aber in erster Linie auf das Konto der Linken, die sich nach der Präsidentschaftswahl unter der Führung des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon zusammengeschlossen hatten.
Das Wahlbündnis Nupes aus Linken, Grünen, Kommunisten und Sozialisten ging zwar als stärkste Oppositionskraft aus der Parlamentswahl hervor, wird jedoch voraussichtlich vier Fraktionen bilden, die inhaltlich stark voneinander abweichen. Macron wird nun nicht mehr durchregieren können, wie er das zu Beginn seiner ersten Amtszeit getan hatte.
Vor fünf Jahren war seine kurz zuvor gegründete Partei La République en Marche allein auf die absolute Mehrheit gekommen. Die ersten Reformen konnte er daher im Eiltempo durchsetzen. Die Nationalversammlung glich zeitweise einem Abnickverein.
In seinem zweiten und letzten Mandat könnte sich Macron nach deutschem Vorbild in Koalitionsverhandlungen mit den konservativen Republikanern versuchen - die ihm aber schon eine Absage erteilt haben. Oder er muss für jedes Vorhaben eine neue Mehrheit finden - ob links oder rechts. In jedem Fall wird die Rolle der Nationalversammlung deutlich aufgewertet werden.
"Ist Frankreich noch regierbar?" fragten gestern Morgen manche Kommentatoren besorgt. "Es wird kompliziert", räumte Regierungssprecherin Olivia Grégoire ein. Die Zeitung "Le Monde" warnte bereits vor "einer Regierungsdauerkrise".
Auf der Suche nach Schuldigen zeigen manche mit dem Finger auf Macron, der durch seinen als arrogant empfundenen Regierungsstil viele Wähler verschreckt habe.
"Die Regierungszeit von Jupiter ist vorbei", sagte der Verfassungsrechtler Dominique Rousseau in Anspielung auf den Spitznamen des Präsidenten. "Die nächste Amtszeit wird von Verhandlungen und Kompromissen bestimmt werden", fügte er hinzu.
Die politische Kompromisskultur ist im präsidialen System Frankreichs allerdings nicht sonderlich ausgeprägt. Nun wird die Regierung daran arbeiten müssen. Auf dem Regierungsprogramm stehen bereits ein Gesetz zur Verbesserung der Kaufkraft - was der Opposition auf beiden Seiten nicht weit genug gehen wird - und die umstrittene Rentenreform.
Als erstes wird Macron sich allerdings um seine ausgedünnte Regierungsmannschaft kümmern müssen. Von 15 Kabinettsmitgliedern, die bei der Parlamentswahl angetreten sind, haben drei verloren und müssen damit auch ihren Kabinettsposten aufgeben.
Die neuen Herausforderungen in Frankreich dürften dazu führen, dass Macron auch auf der internationalen Bühne an Einfluss verliert - zumal die französische EU-Ratspräsidentschaft in wenigen Tagen endet und sein anfänglich sehr intensives Engagement im Ukraine-Krieg keine Erfolge gezeigt hat.
Das Image, das er vor fünf Jahren als politischer Aufsteiger hatte, der alte Strukturen hinwegfegt und neue Akzente setzt, ist deutlich angeschlagen.
Ein Zimmermädchen wird in Frankreich erstmals Abgeordnete der Nationalversammlung. Rachel Keke, die für das neue Linksbündnis bei der Parlamentswahl antrat, setzte sich am Sonntag in einem Wahlkreis im Pariser Umland gegen eine Ex-Ministerin durch. In Frankreich erlangte die fünffache Mutter zuvor bereits landesweite Bekanntheit, weil sie sich an die Spitze eines beispiellosen Protests gegen die Arbeitsbedingungen der Zimmermädchen in einer großen Hotelkette stellte - mit Erfolg. Nach monatelangem Protest gab es eine Lohnerhöhung, eine Senkung der Zimmerzahl, die die Frauen pro Schicht zu reinigen haben und eine Gratis-Mahlzeit. "Seitdem können wir morgens mit erhobenem Haupt zur Arbeit gehen", meinte die 48-Jährige, die als junge Frau von der Elfenbeinküste nach Frankreich gekommen war. dpa