Stilles Ergriffensein ist einfacher. Die documenta fifteen stellt unser Bild von Ausstellungen und von Kunst an sich auf den Kopf. Museumsbesuche funktionieren oft als Ehrfurchtserzeuger. Die Meisterschaft früherer Künstlergenerationen und auch ihr Glaube sind in den Werken durch Jahrhunderte spürbar. So lassen wir uns beim Betrachten gern in ein Gefühl der Erhabenheit fallen.
Zeitgenössische Kunst funktioniert - in der Regel - so nicht. Und gerade für Besucher, die sonst nicht andauernd auf Vernissagen unterwegs sind, ist es wichtig, sich dies bewusst zu machen.
Ist das Kunst oder kann das weg? Diese wunderbare Formulierung weist auf den Umstand hin, dass heutige Künstler es häufig nicht auf meisterliche Technikbeherrschung anlegen. Sie wollen mit Kunst unsere Wahrnehmung verändern. Anders, als es zum Beispiel ein Zeitungsartikel kann. Denn Kunst spricht uns nicht nur über den Verstand an, sondern auch emotional, intuitiv, sinnlich. Das eröffnet neue Wege des Begreifens.
Die documenta fifteen weitet den Begriff Kunst nochmal deutlich aus. Auch Kochen, Zusammensitzen oder Reden zählen nun dazu. Die Künstler öffnen uns Besuchern eine Tür. Wir können mittun. Uns dazusetzen, Tee trinken, Party feiern, uns mit ihnen direkt austauschen.
Stilles Ergriffensein ist einfacher. Vielen von uns mag im ersten Moment so ein partizipativer Ansatz ein bisschen unangenehm sein. Man will lieber durch Säle wandeln, sich feierlich fühlen, stumm nicken, wenn es um die Situation in anderen Weltgegenden geht: Ja, ja, schon mal gehört.
Die documenta fifteen gibt Menschen und Initiativen eine Stimme, die in der globalen Öffentlichkeit sonst kein Gehör finden. Durch kontinentübergreifende Vernetzung konkrete Verbesserungen für das Leben der Menschen zu erreichen, ist ihr Ziel. Daran arbeitet das Team schon seit seiner Berufung, nicht erst jetzt in Kassel.
Nun können wir Teil dieses einzigartigen Miteinanders werden. Letztlich müssen wir nur eine kleine innere Hürde überwinden. Und haben dann die Chance, uns mittragen zu lassen, in ein neues Miteinander.