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Der Siegeszug des einfachen Bahnfahrens

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Chaos am Bahnsteig, Menschen, die in volle Regionalzüge drängen und ihr Fahrrad nicht mitnehmen können - wer solche Bilder sucht, wird sie in diesem Sommer finden. Doch das trübt nicht die positive Bilanz des 9-Euro-Tickets, das mit einer Verkaufszahl von bisher rund 21 Millionen Fahrscheinen ein voller Erfolg ist. Sicherlich herrscht dadurch auf touristischen Strecken noch mehr Andrang - das liegt auch an einem starken Nachholbedürfnis bei Reisen und Besuchen. Und es werden viele Bahnprobleme noch deutlicher, die bereits vorher bestanden: ein überlastetes Schienennetz, zu wenige Verbindungen, zu viele Verspätungen, zu wenige Abteile für Räder bei zunehmendem Fahrradtourismus, oft kein barrierefreier Einstieg auch für Rollstühle und Kinderwagen. In dieser Situation und mit vielen Baustellen musste sich die Bahn sehr kurzfristig auf das Großexperiment 9-Euro-Ticket einstellen. Jetzt aber ist klar: Eine größere Nachfrage kann mit den richtigen Anreizen angestoßen werden - und sie muss es auch weiterhin, wenn der Klimaschutzgedanke nicht verpuffen soll. Der extrem günstige Preis für eine begrenzte Zeit ist dabei derzeit sicherlich ein wichtiger Faktor. Bietet dieser doch eine Reisemöglichkeit für viele finanziell belastete Haushalte und für die wachsende Zahl der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Vor allem aber vereinfacht das 9-Euro-Ticket endlich den Tarif-Wirrwarr des regionalisierten Nahverkehrs. Selbst für ausgefuchste Bahnfahrer ist es sonst eine Hürde, sich in Waben, Tarifzonen und Sparangeboten auszukennen. Da muss ein Kunde etwa wissen, wie er schon in Hessen an das Fahrradticket für Bayern kommt, das er im eigenen Nahverkehr gar nicht braucht. Wer nur selten Bahn fährt, wird von solchen Komplikationen leicht abgeschreckt. Als Flatrate-Ticketbesitzer dagegen einfach spontan in einen Zug oder eine S-Bahn steigen - das gibt dem Nahverkehr etwas von der Flexibilität, die sonst ein Vorteil des Autofahrens ist. Auch wenn sich der staatlich geförderte Preis von 9 Euro nicht halten lässt, sollte diese Vereinfachung daher unbedingt beibehalten werden - ob das Anschlussangebot nun ein höherer Einheitspreis pro Monat oder ein "Klimaticket" für 365 Euro im Jahr ist. Und die Entscheidung darüber sollte so bald wie möglich fallen. Es wird leider einige Zeit dauern, langjährige Versäumnisse rückgängig und den ÖPNV so attraktiv zu machen, wie er sein müsste. Bei der Preisgestaltung aber ist das jetzt schon möglich. © Fnp roessler

Chaos am Bahnsteig, Menschen, die in volle Regionalzüge drängen und ihr Fahrrad nicht mitnehmen können - wer solche Bilder sucht, wird sie in diesem Sommer finden. Doch das trübt nicht die positive Bilanz des 9-Euro-Tickets, das mit einer Verkaufszahl von bisher rund 21 Millionen Fahrscheinen ein voller Erfolg ist.

Sicherlich herrscht dadurch auf touristischen Strecken noch mehr Andrang - das liegt auch an einem starken Nachholbedürfnis bei Reisen und Besuchen. Und es werden viele Bahnprobleme noch deutlicher, die bereits vorher bestanden: ein überlastetes Schienennetz, zu wenige Verbindungen, zu viele Verspätungen, zu wenige Abteile für Räder bei zunehmendem Fahrradtourismus, oft kein barrierefreier Einstieg auch für Rollstühle und Kinderwagen. In dieser Situation und mit vielen Baustellen musste sich die Bahn sehr kurzfristig auf das Großexperiment 9-Euro-Ticket einstellen. Jetzt aber ist klar: Eine größere Nachfrage kann mit den richtigen Anreizen angestoßen werden - und sie muss es auch weiterhin, wenn der Klimaschutzgedanke nicht verpuffen soll.

Der extrem günstige Preis für eine begrenzte Zeit ist dabei derzeit sicherlich ein wichtiger Faktor. Bietet dieser doch eine Reisemöglichkeit für viele finanziell belastete Haushalte und für die wachsende Zahl der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Vor allem aber vereinfacht das 9-Euro-Ticket endlich den Tarif-Wirrwarr des regionalisierten Nahverkehrs. Selbst für ausgefuchste Bahnfahrer ist es sonst eine Hürde, sich in Waben, Tarifzonen und Sparangeboten auszukennen. Da muss ein Kunde etwa wissen, wie er schon in Hessen an das Fahrradticket für Bayern kommt, das er im eigenen Nahverkehr gar nicht braucht. Wer nur selten Bahn fährt, wird von solchen Komplikationen leicht abgeschreckt. Als Flatrate-Ticketbesitzer dagegen einfach spontan in einen Zug oder eine S-Bahn steigen - das gibt dem Nahverkehr etwas von der Flexibilität, die sonst ein Vorteil des Autofahrens ist.

Auch wenn sich der staatlich geförderte Preis von 9 Euro nicht halten lässt, sollte diese Vereinfachung daher unbedingt beibehalten werden - ob das Anschlussangebot nun ein höherer Einheitspreis pro Monat oder ein "Klimaticket" für 365 Euro im Jahr ist. Und die Entscheidung darüber sollte so bald wie möglich fallen. Es wird leider einige Zeit dauern, langjährige Versäumnisse rückgängig und den ÖPNV so attraktiv zu machen, wie er sein müsste. Bei der Preisgestaltung aber ist das jetzt schon möglich.

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