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Der heimliche Panzer

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Eine Panzerhaubitze verlässt die Hindenburg-Kaserne mit niedersächsischen Munster. © AFP

Auf welchen Wegen Deutschland schwere Waffen in die Ukraine liefert

München - Im Krieg gelten keine Fahrpläne. Niemand soll wissen, wann etwa eine Waffenlieferung eintrifft, schon gar nicht die Gegenseite. Entsprechend groß war die Irritation, als eine ukrainische Nachrichtenagentur die Ankunft deutscher Panzerhaubitzen rund um den 22. Juni ankündigte und sich dabei auf Andriy Melnyk berief, den Botschafter in Berlin. "Was zum Himmel", schäumte der Münchner Politikwissenschaftler Carlo Masala bei Twitter. "Wollen Sie sie auf dem Schlachtfeld oder dass sie vor der Ankunft zerstört werden?" Am Ende blieb der Ärger dann aber überschaubar. Am Dienstag, einen Tag früher als avisiert, bestätigte Kiew das Eintreffen der ersten Haubitzen. Unbeschadet.

Seit Wochen prägt die Frage, ob und mit wie vielen schweren Waffen Deutschland der Ukraine helfen kann, die Debatte um den Krieg. Doch während einerseits rasche Lieferungen angemahnt werden, ist weitgehend unklar, wie diese Lieferungen im Detail überhaupt ablaufen. Denn logistisch könnte es kaum eine größere Herausforderung geben als den Transport riesiger, tonnenschwerer Rüstungsgüter, hunderte Kilometer quer durch ein Kriegsgebiet, befördert auf schwer beschädigter Infrastruktur - und das unter den Augen des Gegners, der nur darauf wartet, sie noch vor dem ersten Einsatz unbrauchbar zu machen.

Von einer "gigantischen Herausforderung" spricht Torben Schütz, Sicherheitsexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Der Anfang ist dabei noch das geringste Problem. Panzer, Haubitzen oder Mehrfachraketenwerfer aus den USA, Großbritannien oder Deutschland Richtung Osten zu transportieren, ist militärlogistischer Alltag. Umso heikler ist die letzte Etappe, die an der polnisch-ukrainischen Grenze beginnt.

Das fängt schon damit an, dass der Güterverkehr auf der Schiene von der westlichen Normalspur auf die Breitspur wechselt, die in den ehemaligen Staaten der Sowjetunion noch heute üblich ist. Das gesamte Gerät muss umgeladen werden. Die Waffen auf Tiefladern zu transportieren, ist nur bedingt eine Alternative. Der Spritverbrauch in einem Land, in dem Sprit schon jetzt knapp und kriegswichtig ist, sowie die benötigte Anzahl an Lkw sprechen ebenso dagegen wie die Tatsache, dass die Waffen damit nur einzeln transportiert werden können. Unterwegs gibt es sowohl bauliche als auch natürliche Hilfe. Tunnel und Waldstrecken sind ein Schutz vor russischer Beobachtung.

Und dennoch ist es alles andere als selbstverständlich, dass die Transporte rollen können. Das Gleisnetz trotz russischer Angriffe intakt zu halten und stets Wege sowie Umwege zu bieten, sei eine "Herkulesaufgabe", sagt Schütz.

Ladung oft zu wuchtig

Wie geschickt die staatliche ukrainische Eisenbahngesellschaft agiert, belegen nicht nur die vielen Besuche ausländischer Politiker. Auch Waffen, Munition und sonstiger Nachschub gelangen auf der Schiene an ihren Einsatzort. Russische Erfolgsmeldungen, wonach westliche Lieferungen zerstört worden seien, halten sich bisher in Grenzen.

Nicht nur der Zustand der Gleise ist von Bedeutung. Längst nicht jede Brücke lässt sich nutzen, selbst wenn sie nicht von Bomben getroffen ist. Für manche Strecken ist die Ladung schlichtweg zu wuchtig. "Viele westliche Waffensysteme sind tendenziell schwerer als die russischen", an denen sich die Ingenieure beim Bau orientierten, weiß Schütz. Die Panzerhaubitze 2000 mit ihren rund 55 Tonnen etwa reize die Grenzen der Belastbarkeit voll aus.

Sind auch diese Hindernisse überwunden, wird es erst recht gefährlich. 80 bis 100 Kilometer vor der Frontlinie geraten die Transporte in die Reichweite der russischen Raketenartillerie. Hier, am Rande ihres unmittelbaren Einsatzgebietes, greift nun jene Logistik, die mit dafür verantwortlich ist, dass die sehnlichst erwarteten Lieferungen sich so lange zogen. Denn natürlich ist der Transport schwerer Waffen ein anderes Kaliber als eine Online-Bestellung.

Monatelang sind die Nachschublinien vorbereitet worden, damit Panzer und Raketenwerfer am Ziel auch mit Munition versorgt werden. 2,5 Tonnen wiegt eine Batterie mit sechs Raketen für einen Mehrfachraketenwerfer - nach wenigen Sekunden sind sie verschossen. Experten schätzen den täglichen Bedarf der ukrainischen Truppen auf mehr als 20 000 Tonnen. Die müssen verlässlich kommen. Und das alles auf der Basis eines Plans, der darauf beruht, keinem vorhersehbaren Plan zu folgen.

Tunnel und Wälder schützen vor Beobachtung, ebenso Dunkelheit. Viele Fahrten finden nachts statt. Damit scheinen sich Risiken minimieren zu lassen, zumindest erweist sich das Ausspähen durch russische Satelliten, Radar und Flugzeuge als lückenhaft. "Nach allem, was bekannt ist, haben sie entweder mit der Aufklärung oder der zeitnahen Verarbeitung der Informationen und Bekämpfung der Ziele Schwierigkeiten", sagt Sicherheitsexperte Torben Schütz.

Moskau verfügt über keine Flugzeuge, die auf weite Entfernung, außerhalb der ukrainischen Luftverteidigung, aufklären. Drohnen haben eine geringe Reichweite. mb

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