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Scholz spricht überraschend mit Xi: Ganz unterschiedliche Prioriäten – Streit über Ukraine?

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Von: Christiane Kühl

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Der Staatschef Chinas, Xi Jinping, während der Videoschalte am Montag (9. Mai) mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz besprach sich am Montag mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. © Yue Yuewei/Xinhua/Imago

Bundeskanzler Scholz hat überraschend mit Chinas Staatschef Xi Jinping gesprochen. Danach betonten beide Seiten ganz unterschiedliche Schwerpunkte. Eine Mitteilung Pekings deutet Differenzen an.

Berlin/Peking/München – Im Schatten von Ukraine-Krieg und dem Streit um Waffenlieferungen an Kiew hat Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag überraschend mit Chinas Staatschef Xi Jinping gesprochen. Wirkliche Details aus dem Videogespräch wurden weder aus dem dürren Statement von Regierungssprecher Steffen Hebestreit noch aus der langen Mitteilung der chinesischen Seite bekannt. Die chinesische Regierung bezeichnet das Gespräch als „tiefgehend und freimütig“ – was meist auf Differenzen hindeutet. Ob es Streit über den Umgang mit dem Ukraine-Konflikt gab, ist unklar. Doch das Thema belastet die Beziehungen derzeit wie kein anderes.

Beide Seiten dürften vom aktuellen Stand der Beziehungen gleichermaßen enttäuscht sein. Während Peking bislang vergeblich auf eine Fortsetzung des wirtschaftsfreundlichen China-Kurses von Ex-Kanzlerin Angela Merkel hofft, deuteten die Ampel-Koalitionäre schon im Wahlkampf eine Korrektur ebendieses Kurses an. Die Kritik an Pekings harter Linie im Umgang mit Menschenrechten ist lauter geworden. Hinzu kommt der Frust in Deutschland und Europa über Chinas pro-russische Haltung im Ukraine-Krieg. Das gegenseitige Verständnis scheint abzunehmen.

Einer aktuellen Online-Umfrage des US-amerikanischen Carter Center China Focus zufolge antworteten 75 Prozent der teilnehmenden Chinesinnen und Chinesen auf die Frage, ob eine Unterstützung Russlands im nationalen Interesse Chinas liege, mit Ja – darunter 35 Prozent sogar mit Nachdruck (“strongly agree”). 61 Prozent sprachen sich für eine „moralische Unterstützung“ Russlands aus.

Die Haltung der chinesischen Regierung wird also von einer überwältigen Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen. In den Staatsmedien findet sich keine andere Sichtweise, und auch in sozialen Medien überwiegen pro-russische Töne. Immerhin unterstützten nur 16 Prozent der Befragten chinesische Waffenlieferungen an Russland. Umgekehrt wird das China-Bild in Deutschland immer negativer, wie verschiedene Umfragen schon vor dem Ukraine-Krieg zeigten.

China: Am liebsten keine Veränderungen der Beziehungen zu Deutschland

Und so betonten beide Seiten am Montag auch ganz unterschiedliche Aspekte des Gespräches. Fast trotzig hob das chinesische Außenministerium hervor, dass sich aus Sicht Chinas gar nichts an den langjährigen Beziehungen ändern müsse: „Chinas Engagement für die Entwicklung der Beziehungen zu Deutschland hat sich nicht geändert; der aufrichtige Wunsch Chinas nach einer engeren Zusammenarbeit mit Deutschland hat sich nicht geändert. Und es hat sich nichts an der Überzeugung Chinas geändert, dass China und Deutschland gemeinsam einen Unterschied machen können.“ Als Prioritäten der Zusammenarbeit nannte Xi demnach „Klimawandel, makroökonomische Politik, Finanzstabilität, Energiesicherheit, Ernährungssicherheit und die Stabilität von Industrie- und Lieferketten“.

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Bei der deutschen Seite klang das ganz anders: „Thema des Gesprächs war auch der russische Angriff auf die Ukraine und seine Auswirkungen unter anderem auf die globale Nahrungsmittelversorgung und Energiesicherheit“, hieß es in der knappen Mitteilung des Bundeskanzleramtes. Dann folgte die allgemeine Erwähnung üblicher Themen wie der „Vertiefung der bilateralen Beziehungen und der Wirtschaftskooperation, die Pandemie, der Klimaschutz und die Beziehungen zwischen Europa und China“.

Als Hamburger Bürgermeister traf Olaf Scholz im Jahr 2017 Chinas Staatschef Xi Jinping. Seit seiner Wahl zum Bundeskanzler allerdings noch nicht.
Als Hamburger Bürgermeister traf Olaf Scholz im Jahr 2017 Chinas Staatschef Xi Jinping. Seit seiner Wahl zum Bundeskanzler allerdings noch nicht. © Xie Huanchi/Xinhua/Imago

Die EU bezeichnet die Beziehungen zu China seit einiger Zeit offiziell als eine Mischung aus „Kooperation, Konkurrenz und Systemrivalität“. Auch Deutschland unterschreibt zunehmend diese Lesart. Scholz selbst war Anfang Mai demonstrativ auf seiner ersten Asienreise als Kanzler nach Japan geflogen – und nicht wie seine Vorgänger zuerst nach China. Außenministerin Annalena Baerbock spricht sich für eine werteorientierte Außenpolitik gegenüber autoritären Staaten aus und will im Umgang mit China einen Mix aus „Dialog und Härte.“ Ob in der deutschen China-Politik auch eine „Zeitenwende“ bevorsteht, ist indes unklar. Das Auswärtige Amt und auch das Kanzleramt arbeiten an einer China-Strategie. Doch derzeit überlagert der Ukraine-Krieg ohnehin alles.

China: Europas Sicherheit liegt „in den Händen der Europäer selbst“

Chinas Rolle in dem Konflikt ist dabei für Deutschland und Europa ausgesprochen unbefriedigend. Diplomaten beklagen, dass Xi seinen Einfluss auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin nicht nutze, um ihn zur Aufgabe seines Angriffskrieges zu bewegen. Im Gespräch mit Scholz warnte Xi Jinping dagegen erneut vor einer Eskalation des Ukraine-Krieges. „Es müssen alle Bemühungen unternommen werden, um eine Intensivierung und Ausweitung des Konflikts zu vermeiden, die zu einer unbeherrschbaren Lage führen.“ Alle betroffenen Parteien sollten die Ukraine und Russland unterstützen, Frieden durch Verhandlungen zu erreichen. Die europäische Seite solle auf „verantwortliche Weise“ eine Lösung suchen, so Xi. Offenbar in einem indirekten Hinweis auf den Einfluss der USA hob Xi Jinping hervor, dass die europäische Sicherheit „in den Händen der Europäer selbst“ liegen sollte. (ck/mit dpa)

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