Protest gegen Chinas Staats- und Parteichef: Wer ist „Bridge Man“, der Xi Jinping die Show stahl?

Kurz vor dem laufenden Parteitag von Chinas Kommunisten entrollte ein einzelner Mann ein Banner, das zum Sturz von Xi Jinping aufrief. Die Aktion überschattet noch immer das Event. Doch wer ist „Bridge Man“?
- Die Aktion eines einzelnen Demonstranten auf einer Pekinger Brücke findet großes Echo im In- und Ausland: „Bridge Man“ stahl der Partei die Show.
- Gerade internationale Medien konzentrierten sich zu Beginn des Parteitags mehr auf Bridge Man als auf das große Politereignis.
- Dieser Text liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 17. Oktober 2022.
Peking/Berlin – Die Aktion eines Demokratie-Aktivisten an der Sitong-Brücke in Peking hallt auch nach mehreren Tagen weiterhin nach. Auf der einen Seite handelte es sich nur um einen einzigen von 1,4 Milliarden Chinesen – und eine Massenbewegung ist nicht zu erkennen. Rein theoretisch könnte der Mann mit seiner Meinung ziemlich alleine dastehen und lediglich die Unterstützung eines kleinen Kreises politisch interessierter Intellektueller erhalten.
Auf der anderen Seite besitzt die Aktion enormen Symbolwert. Der Mann hat bewiesen: Auch das lückenlos überwachte Peking lässt sich nicht vollständig kontrollieren. Alleine das zeigt die Grenzen der Herrschaft über die physische Realität, die die Partei anstrebt. In diesem ersten auffälligen Protest seit Jahren wurde zudem deutlich, dass sich die chinesische Zivilgesellschaft nicht im völligen Kälteschlaf befindet. Der Rauch über der Sitong-Brücke könnte auch als Anzeichen für einen Schwelbrand unter der scheinbar geschlossenen Oberfläche der Gesellschaft gesehen werden. Die internationalen Medien erhielten zudem vor einem drögen Parteitag ihre Sensation.
Chinas Parteitag: Anti-Xi-Banner an einer Verkehrsbrücke
Am Donnerstag (13. Oktober) hatte der Demonstrant mehrere Spruchbänder an der Straßenbrücke im Bezirk Haidian entrollt. Er bezeichnete Xi Jinping als Diktator und forderte unter anderem Freiheit statt Lockdowns, Würde statt Lügen und Wahlen statt eines obersten Führers. Ebenso bemerkenswert war jedoch, wie er die Aktion organisiert hatte. Er hatte sich als Bauarbeiter angezogen, war in einem offiziell aussehenden Lieferwagen vorgefahren und soll sogar noch die Hilfe der anwesenden Polizisten eingefordert haben, um seine „Baustelle“ zu sichern. Nachdem er die Banner in Seelenruhe aufgehängt hatte, legte er das Feuer, um noch zusätzlich auf sie aufmerksam zu machen. Diese Sorte Cleverness kommt gerade in China gut an und spricht sich herum, wenn dazu noch der Obrigkeit ein Schnippchen geschlagen wurde.
Um die Brücke herum befinden sich zahlreiche Unis und Technik-Firmen. Es wimmelt dort nur so von Angehörigen der jungen Generation, die alles Interessante mit dem Handy filmen. Die Zensur hatte daher viel zu tun. Unter den blockierten Suchbegriffen befanden sich zeitweilig „Feuer“, „Sitong-Brücke“, „mutig“, „Banner“ und sogar „Dritter Ring“, eine der Hauptstraßen von Peking.
China: „Bridge Man“ ist Wissenschaftler und Firmengründer
Im Netz erhielt der Mann den Spitznamen „Bridge Man“ – angelehnt an den „Tank Man“, der sich 1989 den Panzern entgegenstellte (während der Niederschlagung der Proteste gegen die Kommunistische Partei Chinas auf dem Platz des Himmlischen Friedens, d. Red.).

Vor allem die Twitter-Gemeinde war sich schnell sicher, ihn identifiziert zu haben. Demnach soll es sich um den Physiker Peng Lifa handeln. Das starke Indiz dafür: Im deutschen Wissenschafts-Portal ResearchGate wurden unter seinem Konto zeitgleich mit der Aktion dieselben Protestsprüche veröffentlicht, schön grafisch aufbereitet fürs Weiterteilen. Peng ist auch an einer Pekinger Firma für Werkstoffe beteiligt. Derselbe Peng Lifa ist zudem seit Donnerstag verschwunden. „Bridge Man“ hatte sich ohne Widerstand festnehmen lassen, nachdem die Polizisten auf den Inhalt der Banner aufmerksam geworden waren. Ihm drohen nun Folter, Gefängnis und Verschwinden.
Peking: Doppelte Überwachung nach Protestaktion gegen Xi
Alle Pekinger Brücken sind jetzt doppelt überwacht. Aber eventuelle Nachahmer würden wohl ohnehin andere Orte und Formen wählen, um den Protest weiterzuspinnen. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob Funken von der Aktion bei anderen jungen Leuten verfangen und sie das Feuer weitertragen. Aufgrund der Allgegenwart der Handy-Kameras und der chaotischen Natur des Internets würden auch weitere Proteste bekannt werden. Erste Berichte für weitere Kleinstproteste auch in anderen Städten – etwa mit digitalen Flugblättern in U-Bahnen – sind bereits auf Sozialmedien im Umlauf. Vielleicht ist das Internet nicht nur das geniale Herrschaftsinstrument, als das es die Kommunistische Partei zuletzt genutzt hat – sondern doch auch eine potenzielle Gefahr für die absolute Machtentfaltung.
Parteitage der Kommunistischen Partei Chinas
Die Parteitage mit ihren inzwischen rund 2.300 Delegierten aus allen Regionen Chinas fanden seit Gründung der KPCh im Jahr 1921 mehr oder weniger durchgehend alle fünf Jahre statt. Diese Partei-Plenarsitzungen treffen Entscheidungen über den politischen Kurs der nächsten fünf Jahre oder nehmen ideologische Traktate des jeweiligen Generalsekretärs in die Parteiverfassung auf. Auch „wählen“ die Parteitage für einen Zyklus von je fünf Jahren ein neues Zentralkomitee (ZK) mit rund 230 Mitgliedern. Das ZK wiederum bestimmt das 25-köpfige Politbüro und dessen Ständigen Ausschuss, die eigentliche Machtzentrale der KP Chinas.
In den Perioden zwischen den Parteitagen treffen sich nur gelegentlich Zentralkomitee und Politbüro zu Plenarsitzungen. Die wirklich wichtigen Entscheidungen trifft der Ständige Ausschuss des Politbüros. Dieser hat mal sieben, mal neun Mitglieder – aber immer eine ungerade Zahl, um eine Blockade zu vermeiden. Am Sonntag stellt sich der neue Machtzirkel um Xi voraussichtlich kurz der Öffentlichkeit vor.
Von Finn Mayer-Kuckuk
Seit Mai 2021 ist Finn Mayer-Kuckuk Redaktionsleiter des China.Table Professional Briefing. Zuvor war er Hauptstadtkorrespondent in der Bundespressekonferenz in Berlin und China-Korrespondent unter anderem für das Handelsblatt und die DuMont-Gruppe. Er berichtet unter anderem über das Zusammenspiel der chinesischen mit der deutschen Wirtschaft, Digitalisierung und IT sowie über China-Trends in der deutschen Hauptstadt.
