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Aufrüstung statt Rückzug

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Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär © dpa

Die wiederauferstandene Nato wappnet sich gegen Putins Russland

Madrid -Was mag Russlands Präsident Wladimir Putin durch den Kopf gehen an diesem Mittwoch? Rund 3000 Kilometer entfernt von Moskau beraten an diesem Tag in Madrid US-Präsident Joe Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Staats- und Regierungschefs der anderen Mitgliedstaaten der Nato über seinen Krieg gegen die Ukraine und das, was er für das größte Militärbündnis der Welt bedeutet.

Sie beschließen, künftig mehr als 300 000 Soldaten in hoher Einsatzbereitschaft zu halten, die Nato-Präsenz an der Ostflanke massiv auszubauen und das Verfahren für die Aufnahme der bislang neutralen Länder Schweden und Finnland zu starten.

Es sind Entscheidungen, die im absoluten Gegensatz zu dem stehen, was Putin eigentlich erreichen wollte. Noch Ende vergangenen Jahres hatte der Kremlchef der Nato einen Vorschlag für neue Sicherheitsvereinbarungen unterbreitet. Konkret wollte er unter anderem, dass die Nato den Rückzug von Streitkräften aus östlichen Bündnisstaaten einleitet und von einer erneuten Erweiterung absieht.

Statt auf Gesprächsangebote des Westens einzugehen, ließ Putin dann allerdings am 24. Februar das Nachbarland Ukraine angreifen. Seitdem läuft ein Krieg, der die Welt verändert hat und die Alliierten zusammenschweißt. "Falls Wladimir Putin gehofft hat, als Resultat seiner unprovozierten, illegalen Invasion in die Ukraine weniger Nato an seiner westlichen Front zu bekommen, lag er komplett falsch. Er bekommt mehr Nato", sagt der britische Premierminister Boris Johnson in Madrid. US-Präsident Joe Biden äußert sich mit Blick auf die lange Neutralität des russischen Nachbarlandes Finnland ähnlich: "Putin wollte die Finnlandisierung Europas. Er wird die Natoisierung Europas bekommen."

Besonders bitter dürften die Entwicklungen für Putin sein, da die Nato zuletzt eigentlich alles andere als stark und geschlossen wirkte. Im vergangenen Sommer erlebte das Bündnis das vielleicht größte Debakel in seiner Geschichte, als der Rückzug aus Afghanistan in der Wiedereroberung des Landes durch die Taliban endete. Bereits 2019 attestierte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dem Bündnis den "Hirntod". Zuvor hatte US-Präsident Donald Trump die Nato in eine schwere Krise gestürzt. Zum Entsetzen der Alliierten drohte er sogar mit Austritt. Das alles ist seit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine kaum ein Thema mehr. Die Entwicklungen der vergangenen Monate haben viele Kritiker der Nato verstummen lassen.

Schlechte Nachrichten für Putins Krieg gegen die Ukraine gab es schließlich auch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er stellte der Ukraine am Rande des Gipfeltreffens in Madrid weitere Waffenlieferungen in Aussicht. Neben der humanitären und finanziellen Hilfe werde man auch "Waffen zur Verfügung stellen, die die Ukraine dringend braucht", sagte er. "Die Botschaft ist: Das werden wir so lange fortsetzen und auch so intensiv fortsetzen wie es notwendig ist, damit die Ukraine sich verteidigen kann."

Dass auch in Zukunft in der Nato nicht alles einfach sein wird, machte allerdings zuletzt das Verhalten des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan deutlich. Er verzögerte wochenlang den Start des Verfahrens für die Aufnahme von Schweden und Finnland.

Die Regierung in Moskau äußerte sich am Mittwoch zunächst nur kurz zu den Entscheidungen des Nato-Gipfels. "Wir betrachten die Erweiterung des nordatlantischen Bündnisses als einen rein destabilisierenden Faktor in den internationalen Angelegenheiten", sagte Vize-Außenminister Sergej Rjabkow der Nachrichtenagentur Interfax zufolge.

Gibt es einen Ausweg aus dem Konflikt? Aus Sicht der Nato lautet die Antwort auf die Frage Ja. Die Beziehungen könnten sich wieder ändern, wenn Russland sein aggressives Verhalten einstelle und das Völkerrecht in vollem Umfang einhalte. dpa

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