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16 Jahre Kanzlerin Merkel: Hartes Urteil zum Thema Klima - Aktivistin und Ökonomin in erstaunlicher Einhelligkeit

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Von: Florian Naumann

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Kanzlerin Angela Merkel 2015 mit einer Inka-Seeschwable im Vogelpark Marlow.
Angela Merkel in Kontakt mit der Natur: Die Kanzlerin 2015 im Vogelpark Marlow. © Jens Büttner/dpa

2021 gehen 16 Jahre Kanzlerschaft Angela Merkels zu Ende - Zeit für eine Bilanz. In Sachen Klimapolitik sind Deutschlands größtes Wirtschaftsforschungsinstitut und Aktivisten weitgehend einig.

München/Berlin - Es könnte sich zunächst surreal anfühlen, aber im Laufe des Herbst wird es soweit sein: Deutschland wird nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel einen neuen Kanzler bekommen - oder auch eine neue Kanzlerin.

Der Neuanfang wird auch Chancen bergen. Etwa auf Politikfeldern, die Kritiker stark vernachlässigt sahen. Dazu zählt das Riesen-Thema Klima: Schon Anfang 2019 hatte der Autor Stephan Hebel eine erste Bilanz der Ära Merkel gezogen - und im Interview mit Merkur.de* erklärt, eine „neue Politik der Nachhaltigkeit im umfassenden Sinn“ sei für den oder die Nachfolger/in zwingend notwendig: „Nicht nur bei Umwelt und Klima, da auch - die Hörigkeit der Politik etwa gegenüber der Autoindustrie muss ein Ende haben“, betonte er.

Angela Merkel und die Klimapolitik: Bilanz nach 16 Jahren - So urteilen Wirtschaftswissenschaftler und Klima-Aktivisten

Von „Konsens“ ist bei möglicherweise auch finanziell schmerzhaften Weichenstellungen schwer zu sprechen. Aber klar scheint: Darüber, dass sich in der Klimapolitik etwas bewegen muss, herrscht große Einigkeit. In Teil zwei einer Mini-Serie vor dem Wahljahr 2021 hat die Ippen-Digital-Zentralredaktion zwei sehr unterschiedliche Akteure um ein Fazit zur klimapolitischen Ägide Angela Merkels und ein Ausblick auf die drängendsten Probleme für eine neue Bundesregierung gebeten. Die Antworten lesen sich erstaunlich ähnlich.

Hier die Klimaaktivisten der von Greta Thunberg gegründeten Bewegung Fridays For Future (FFF), dort das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, die größte deutsche Forschungsinstitution auf ihrem Feld. Und sowohl staatstragende Ökonomen wie auch jugendliche Aktivisten haben eine im Kern gleichlautende Forderung: Beim Klimaschutz muss es schneller vorangehen. Mehr erwartet haben beide Seiten ganz offensichtlich auch bei den Corona-Wirtschaftshilfen... Auf der neuen Regierungskoalition lasten schon jetzt große Erwartungen.

Video: Problembereich Pflege - Wie geht es nach der Ära Merkel weiter?

Wahljahr 2021: Nachfolger für Angela Merkel gesucht - FFF-Sprecherin hofft auf Besserung: „Es ist machbar!“

Die Bundesregierung hat gezeigt: Sie ist nicht bereit, dieses völkerrechtlich bindende Abkommen einzuhalten.

„Fridays For Future“- Sprecherin Annika Rittmann über das Pariser Klimaabkommen und die Klimapolitik der letzten beiden Regierungen von Kanzlerin Angela Merkel.

Annika Rittmann, Fridays For Future: „Ein bisschen mehr als fünf Jahre ist es her, dass Deutschland das Pariser Klimaabkommen unterschrieben hat. Gemessen an der dort festgesetzten 1,5-Grad-Grenze ist die Bilanz der Bundesregierung der letzten drei Jahre unterirdisch. Mit der Rodung eines uralten Waldes für die Braunkohle, einem unwirksamen Klimapäckchen inklusive Kohleverlängerungsgesetz und zuletzt der Rodung eines gesunden Waldes für eine Autobahn hat sie gezeigt: Sie ist nicht bereit, dieses völkerrechtlich bindende Abkommen einzuhalten. Umso mehr Verantwortung trägt die kommende Bundesregierung. Sie wird die letzte sein, die den deutschen Beitrag zur Einhaltung der 1,5 Grad Grenze leisten kann. Sie trägt die Verantwortung für die Zukunft aller folgenden Generationen.

Dazu wird sie passende Klimaziele aufstellen müssen und in einem nachvollziehbaren und messbaren Plan zeigen, wie diese einzuhalten sind. Mit der Studie des Wuppertal Instituts haben wir gezeigt: Es ist eine unglaubliche Herausforderung, aber es ist machbar! Dazu müssen die Corona-Wirtschaftshilfen genutzt werden, um eine nachhaltige und krisenresistente Wirtschaft aufzubauen. Es braucht einen wirksamen CO2-Preis, einen pariskonformen Kohleausstieg und einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und des Schienennetzes. Darüber hinaus darf sich die kommende Regierung nicht alleine auf die ökologischen Aspekte von Klimaschutz beschränken. Sie muss ein klimagerechtes Deutschland gestalten und jegliche Gerechtigkeitsprobleme in jeder ihrer Entscheidungen bedenken - das bedeutet: weg von Lobbyinteressen hin zu einer transparenten Politik, die für das Wohl aller Bürger*innen und des Planeten arbeitet.“

Angela Merkel: Kanzlerschaft endet nach 16 Jahren - DIW-Ökonomin Kemfert sieht gravierende Versäumnisse

Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist nahezu zum Erliegen gekommen.

Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zieht Bilanz über die Arbeit der GroKo unter Angela Merkel.

Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Die nächste Bundesregierung steht vor der Herausforderung, die Energiewende wieder auf Kurs zu bringen. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben überhaupt. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist nahezu zum Erliegen gekommen. Eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland hält den Klimawandel Umfragen zufolge nach wie vor für ein ungelöstes drängendes Problem. Gerade jetzt lohnt es sich, auch mit Blick auf die künftige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands, mehr in grüne Technologien zu investieren. Das Ausbautempo der erneuerbaren Energien muss mindestens verdoppelt werden, wenn die verschärfen Emissionsminderungsziele der EU umgesetzt werden müssen.

Die Klimaziele von Paris werden wir nur erreichen, wenn wir so schnell wie möglich ganz auf fossile Energieträger verzichten und unseren Bedarf zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien decken. Der Kohleausstiegsplan ist in diesem Zusammenhang viel zu wenig ambitioniert und sollte beschleunigt werden. Die EEG-Reform muss neben der Verminderung von Barrieren und Hemmnissen vor allem höhere Ausbaumengen für den Zubau erneuerbarer Energien ermöglichen. Zudem muss die Verkehrswende endlich angegangen werden: Nötig ist eine Strategie, wie Verkehre vermieden und optimiert werden können. Wir brauchen dringend eine verstärkte Elektrifizierung des Verkehrs – dazu gehören etwa ein Ausbau der Ladeinfrastruktur und auch ein größerer Fokus auf den Schienenverkehr.“

Die Klimapolitik ist freilich nicht das einzige Problem einer neuen Bundesregierung: Experten-Einschätzungen zur Lage in der Pflege sowie zu den Herausforderungen der Rente lesen Sie ebenfalls bei uns.

(fn) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks. Die Hervorhebungen in den Statements wurden redaktionell vorgenommen.

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