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"Wir versinken nicht im Chaos"

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Katharina Wagner, Intendantin der Bayreuther Festspiele, sieht dem diesjährigen dicht gedrängten Premierenreigen mit Gelassenheit entgegen. © dpa

INTERVIEW Katharina Wagner über die Herausforderungen der Bayreuther Festspiele

Frankfurt - Richard Wagners "Ring"-Tetralogie im Outfit einer Streaming-Serie? Glaubt man Intendantin Katharina Wagner, kann das in gut zwei Wochen auf dem Grünen Hügel unter der Regie von Valentin Schwarz bestens funktionieren. Wir sprachen mit der umtriebigen Urenkelin Wagners, die seit 2009 in große Fußstapfen getreten ist, über die abenteuerliche Premierenballung in diesem Sommer.

Frau Wagner, Sie zünden dieses Jahr ein Premierenfeuerwerk nach zwei Jahren Pandemie. Aktuell ballen sich die Generalproben zum "Ring" und zur Eröffnung mit dem neuen "Tristan" am 25. Juli. Kann dabei noch Kunst herauskommen oder droht Chaos?

Wir proben diesen "Ring" ja schon länger, er sollte schon 2020 herauskommen. Valentin Schwarz hat bereits letztes Jahr sehr intensiv zwei Monate im Sommer daran gearbeitet. Das Ergebnis ist sehr fein, sehr detailliert. Man sieht bei den Bühnenproben, dass im Vorfeld eine wahnsinnig akribische Arbeit stattgefunden hat mit sehr viel Liebe, Witz, Charme und Tiefgang. Wir sind ja eins der ganz wenigen Häuser, das immer alle Teile des "Ring" zusammen herausbringt. Das ist unsere Kernkompetenz, das ist mit unserer Technik und unserer ganzen Dispo abgestimmt. Deswegen versinken wir nicht im Chaos, wir machen das sehr gern.

Es ist durchgesickert, das Valentin Schwarz die Tetralogie im Stil einer Netflix-Serie herausbringen wird.

Er zeigt sie als intensive Familiensaga. Was eine gute Netflix-Serie ausmacht, ist die Tatsache, dass man immer wissen will, wie es weiter geht.

Cliffhanger inbegriffen?

Auf jeden Fall hat Valentin es geschafft, dass man unbedingt das nächste Stück sehen will.

Sie sind der letzte Wagner-Spross, der aktiv in Bayreuth gestalten will. Sind Bayreuther Festspiele vorstellbar, die nicht mehr unter den Fittichen der Familie Wagner stehen?

Das wird man sich früher oder später vorstellen müssen. Wenn es eines Tages keinen Wagner mehr gibt, der Interesse daran hat oder der kompetent genug ist, dann wird das vermutlich so kommen, egal, ob das gefällt oder nicht.

Und Ihre eigene Vertragsverlängerung, die 2025 ansteht, wie sieht es denn damit aus?

Wie bereits die ehemalige Staatsministerin Monika Grütters gesagt hat, gibt es bei den Festspielen einen klaren Handlungsbedarf, die Strukturen zu reformieren. Sie hat sich da hauptsächlich auf die Stiftung bezogen, jedoch ist dies auch in der GmbH dringend von Nöten. Um eines der wichtigsten Festspiele der Welt zukunftsgerecht aufgestellt zu wissen, müssen auch die entsprechenden Strukturen und Bedingungen geschaffen werden. Ein Interesse um jeden Preis meinerseits gibt es nicht, jedoch die Bereitschaft, wenn eben diese seriösen Strukturen und Bedingungen als Grundlage meiner Arbeit verhandelt werden.

Ist das junge Publikum im Zeitalter von Wokeness und PC überhaupt noch für einen unter ewigem Antisemitismus-Verdacht stehenden Richard Wagner zu haben? Wie sind Ihre Erfahrungen?

Ich bin aufgrund der Kinderoper häufig in intensiven Gesprächen mit Kindern. Dort drängt sich das Thema natürlich nicht unmittelbar auf. Ich habe das Gefühl, dass die Kinder der Sache sehr folgen, sehr offen sind und alles intensiv miterleben. Ich mache ja keine Vorlesung mit ihnen, ich bringen ihnen eine kindgerechte Fassung des Werkes von Richard Wagner nahe. Beim erwachsenen Publikum und jüngeren Publikum wird die Problematik oft regieseitig mitgedacht und auch so rezipiert. Wir setzen uns hier aktiv damit auseinander. Das finde ich auch richtig und wichtig. In unserer Gesprächsreihe "Diskurs Bayreuth" setzen wir uns ebenfalls mit dem Thema auseinander und erleben einen großen Zulauf auch von jungem Publikum.

Es tobt ein furchtbarer Krieg in Europa: Was bedeutet es, Bayreuther Festspiele im Krieg zu veranstalten?

Mich macht das persönlich sehr betroffen. Die Ukrainerin Oksana Lyniv wird in diesem Jahr den "Fliegenden Holländer" dirigieren, obwohl ihr Bruder zeitgleich an der Front kämpft. Diese Vorstellung macht mir persönlich zu schaffen. Ich habe großes Mitgefühl, wie es ihr jetzt gehen muss. Gleichzeitig muss ich sagen: Wir haben auch viele russische Künstler hier, die man nicht in Sippenhaft nehmen darf. Viele darunter haben sich von der ersten Minute an mehr als deutlich öffentlich von Putin und dem Krieg distanziert. Das ist für alle Seiten eine sehr schwierige Situation, aber die Kunst ist das verbindende Element, das merkt man hier. Die unbedingte Konzentration auf die großen Wagner-Werke an diesem Ort ist einmalig. Kunst verbindet, und das ist schön.

INTERVIEW: BETTINA BOYENS

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