Wie ein Film ohne Leinwand

Fast sein halbes Leben war Hermann Otto Solms aus Lich Mitglied des Deutschen Bundestags. Als einer der wichtigsten Köpfe der FDP prägte und gestaltete Solms Politik und Partei. Ob als Parlamentarier oder in seinen privaten Entscheidungen: Immer war es der liberale Kerngedanke der Selbstbestimmung, der ihn bei seinen Entscheidungen geleitet hat. Kürzlich hat der FDP-Ehrenvorsitzende, Nachfahre einer schon 1129 erwähnten hochadeligen Familie, seine Biografie in Berlin vorgestellt.
In seinem neuen Erzählband »Mein Sternzeichen ist der Regenbogen« präsentiert sich Autor Rafik Schami auf dem Höhepunkt seiner Erzählkunst. Der gerade 75 Jahre alt gewordene Schriftsteller jongliert in seinem Werk wieder mit absurden Begebenheiten, bitteren Schilderungen, bester Unterhaltung - und viel treffendem Sprachwitz. »Die deutsche Sprache ist so poetisch wie die französische, arabische oder italienische Sprache«, sagt Schami selbst dazu. »Ich habe nie einen Mangel an Farbigkeit bei ihr empfunden - auf Arabisch klingen meine Geschichten nicht poetischer.«
Der in Damaskus (Syrien) geborene Autor unterteilt das Buch in Themen wie »Geheimnis« und »Sehnsucht« und brennt in jedem der sechs Kapitel ein Feuerwerk an skurrilen Situationen ab. Schami erzählt etwa, wie Frauen sich verschwörerisch in einer Pizzeria an ihrem ehemaligen Liebhaber rächen oder wie eine Feier nach ehrlich gehaltenen Festreden eskaliert. Er schildert auch, warum man mit einem Lachen gut Gedanken schmuggeln kann, und warum der Vatikan den Himmel für Heilige aus Europa reserviert hat.
Nie belehrend
»Es sind Geschichten, die oft in Deutschland spielen, deren Helden aber aus aller Welt stammen«, sagt Schami, der 1971 nach Deutschland kam und 1979 in Heidelberg in Chemie promovierte. Heute lebt er in einem kleinen Ort in Rheinland-Pfalz. Rafik Schami ist ein Pseudonym und bedeutet »Damaszener Freund«. Sein wirklicher Name lautet Suheil Fadél. Längst gilt er als wichtiger Erzähler deutscher Sprache und brillanter Beobachter der Lebenswirklichkeit um ihn herum. Um sein Deutsch zu verbessern, schrieb Schami einst Thomas Manns Monumentalwerk »Buddenbrooks« mit der Hand ab.
In »Mein Sternzeichen ist der Regenbogen« entwickelt er seine Geschichten auch immer wieder aus gescheiterten Beziehungen heraus. Ein mittelloser Mann wird im Urlaub von seiner untreuen Frau verlassen und muss sein Geld plötzlich als Strandverkäufer verdienen. Oder: Vor einer langen Kreuzfahrt muss sich der Ehemann seiner Frau zuliebe einer pikanten Operation unterziehen. Doch keine Sorge - der Humor kommt nicht zu kurz. Denn Schami erzählt etwa auch, wie ein Witz einen Diktator stürzt und von einem ziemlich anrüchigen Wettbewerb um eine Auszeichnung namens »Goldener Pujol«.
In einer der vielleicht schönsten Geschichten begibt sich Herr Moritz nach dem Tod seiner Frau auf Weltreise, ohne aber Deutschland zu verlassen. Hier wird Schami wie an manch anderen Stellen des Buches durchaus politisch - ohne jedoch belehrend den Zeigefinger zu heben.
Er habe stets eine kritische innere Distanz zu allen Figuren einer Geschichte, sagt Schami der Deutschen Presse-Agentur zu seinem neuen Buch. Diese Distanz sei die Voraussetzung für gutes Erzählen. »Es ist ein häufiger Fehler mancher Autorinnen und Autoren, dass sie sich in eine Figur verlieben und sie zu einer Heiligen erhöhen und deren Gegner wie Verbrecher behandeln.« Ein Erzähler sei aber kein Richter. »Er muss Leserinnen und Lesern das Urteil überlassen - und auch dumme oder unangenehme Personen so sachlich wie nur möglich beschreiben.«
Die Pandemie erwischte Schami im vergangenen Jahr mitten in einer Tournee. Vorerst werde es keine weitere Lesereise geben, sagt er. »Ich bin angesichts der steigenden Zahlen misstrauisch, ob uns Corona im Herbst oder Winter verlässt.« Seit 40 Jahren halte er Lesungen. »Nun zwingt mich die Vernunft, daheim zu bleiben - zu meinem Ärger, muss ich sagen. Weil ich doch so gerne Menschen mündlich erzähle.« Wolfgang Jung
Rafik Schami, Mein Sternzeichen ist der Regenbogen, 320 Seiten, 23 Euro, ISBN: 978-3-446-27 087 -9
Hermann Otto Solms war 26 Jahre lang FDP-Bundesschatzmeister, acht Jahre führte er die Fraktion im Bundestag. Von 1998 bis 2013 war er dessen BT-Vizepräsident. Drei glückliche Umstände sind in seiner Person zusammengekommen: Seine freiheitliche Gesinnung, seine Fähigkeit, widerstrebende Meinungen zu vernünftigen Kompromisslösungen zusammenzuführen, und seine wirtschaftliche Unabhängigkeit. So verstand er es bei den entscheidenden Weichenstellungen der jüngeren Politik - nach einem Wort von Max Weber - harte Bretter zu bohren mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.
Solms musste aber auch erleben, dass Politik immer nur die Kunst des Möglichen ist. Die von ihm für richtig befundene Schaffung einer Sonderwirtschaftszone in den neuen Bundesländern mit langjähriger Steuerfreiheit für wirtschaftliche Investitionen scheiterte am Widerstand grenznaher Bundesländer wie insbesondere Bayern, im Bundeskabinett damals prominent vertreten durch den Finanzminister und CSU-Vorsitzenden Theo Waigel. So kam es zu den durch Sonderabschreibungen geförderten Übersubventionen, anstatt zum Aufbau wettbewerbsfähiger Produktionseinheiten in den neuen Ländern.
Bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Pflegeversicherung hat sich die FDP, auch auf Betreiben von Solms, der als Fraktionsvorsitzender einen Kompromiss suchte, leider gegen das Kapitaldeckungsverfahren entschieden.
Nach der Bundestagswahl 1994 hat man sich in der FDP geschworen, bei Wahlkämpfen nie wieder als Steigbügelhalter einer anderen Partei aufzutreten. Das bleibt richtungsweisend. Vor allem ist es der Partei endlich gelungen, die ewige Grabenbildung zwischen einem »sozialliberalen« Flügel und dem »wirtschaftsliberalen« Flügel zu überwinden. Für Solms gehören beide Elemente auch heute inhaltlich zusammen, ohne sich im Wege zu stehen.
Ausführlich legt der Autor dar, warum es 2017 nach der für die FDP so erfolgreichen Wahl doch richtig war, die Verhandlungen über die damals mögliche Jamaika-Koalition zu beenden. Es habe neben Querschüssen grüner Fundamentalisten vor allem an der rigorosen Verhandlungsführung von Angela Merkel gelegen. Die FDP wurde mit all ihren auch heute unverändert aktuellen Themen abgeblockt: Steuergerechtigkeit und Haushaltsstabilität, weltoffenes und kontrolliertes Einwanderungsrecht, Rationalität in der Klimapolitik - alles wurde abgebügelt, weil die Union sich ausschließlich darauf konzentriert hatte, die Grünen an Bord zu holen. So wurde gemeinsam - nicht nur vom Bundesvorsitzenden Christian Lindner - entschieden: »Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.« Der neue Aufschwung der FDP, die guten Umfragewerte, mit denen man in die kommende Bundestagswahl geht, zeigen, dass der Autor auch in diesem Punkt richtig mitentschieden haben dürfte.
Das richtige Buch zur richtigen Zeit
Diese Autobiografie des Liberalen Hermann Otto Solms ist das richtige Buch zur richtigen Zeit. Eine spannende Lektüre für jeden, der sich Gedanken macht, wie es nach der nächsten Bundestagswahl weitergehen könnte. Hermann Otto Solms schließt seine Erinnerungen mit der vielleicht wichtigsten Erkenntnis eines Mannes, der jahrzehntelang Politik in unserer Demokratie entscheidend mitgestaltet hat: »No man is an Island« - es geht nur gemeinsam.
Hermann Otto Solms: Frei heraus. Mein selbstbestimmtes Leben.Verlag Langenmüller, 450 Seiten, 26 Euro; ISBN: 978-3-7844-3609-8
Die Großen haben ja keine Ahnung, was in einem Kinderleben so alles los ist. Da gibt uns Deef einen tollen kleinen Einblick! In fünfzehn kleinen Geschichten erzählt er uns, wie er mal was Schönes machen sollte, wie er mal vom Dreier springen sollte und ihn von unten alle anstarrten, dann aber doch nur Mama applaudierte, als er tatsächlich sprang. Wie er einen Klub gründete, in dem man tolle Sachen zu wissen bekam (den »KSWK«), und wie er dann den Klub ziemlich doof fand, weil alle das, was sie wussten, am wichtigsten fanden... Wir lernen Deef als fantasievollen Jungen kennen, dessen Ideen und Überlegungen richtig philosophisch sind und uns damit nicht nur zum Schmunzeln bringen, sondern auch mal nachdenklich machen. Wie würde man zum Beispiel aussehen, wenn man an jeder Hand zehn Finger hätte? Wie sagt man seinem Papa etwas, das man eigentlich lieber gar niemandem erzählen würde, und wie gut tut es, doch den Mut zu haben, drüber zu reden! Joke van Leeuwens Kinderbuch macht uns umso mehr Spaß, weil sie Deefs Ideen in witzigen kleinen Zeichnungen umsetzt. Das ist urkomisch, besonders dann, wenn Deef sich überlegt, wie ungerecht es ist, dass nur Tiere gemustert sind - wie würden wir wohl mit Streifen oder Flecken aussehen?
»Als ich mal ...« ist ein großartiges Kinderbuch, das sich auch wunderbar gemeinsam mit der Familie lesen lässt, denn Deefs Ideen regen zum Fantasieren und Reden an - ganz toll, findet heute
eure Maren
Joke van Leeuwen: Als ich mal. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers. Hildesheim: Gerstenberg, 2021. 95 Seiten. 13 Euro. Ab 8. ILLUSTRATION: GERSTENBERG
Selbstbestimmt leben - das war und ist das Credo von Hermann Otto Solms, FDP-Urgestein aus Lich mit steilster politischer Karriere in Stadt, Kreis, Land und Bund. Ein paar Jahre weniger als 40 gehörte er dem Deutschen Bundestag an. Ein Goethe-Wort hat er einmal als Lebensmaxime bezeichnet: »Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss!« Der Spitzen-Liberale wird in seiner Partei und darüber hinaus als Ratgeber und Mensch mit hoher moralischer Integrität geschätzt. Nun hat er seine Biografie vorgelegt - kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Parlament. Ein Muss für politisch Interessierte.
Wer stattdessen, gleichzeitig oder danach ebenfalls etwas Hochklassiges lesen möchte, dem sei das neue Buch von Rafik Schami ans Herz gelegt: Erzählkunst vom Feinsten. pi
