Was Sie sehen, ist was Sie sehen

Wiesbaden ehrt Frank Stella, den Altmeister der abstrakten Malerei
Wiesbaden -Die schwarzen Streifenbilder sind nur das, was sie sind, sie zeigen nichts anderes. Folglich ist ein Gemälde keine Darstellung mehr, sondern nur noch ein Objekt: Farbe auf Leinwand also, sonst nichts. "What you see is what you see" (Was Sie sehen, ist was Sie sehen), konstatierte Frank Stella trocken. Sein Satz wurde flugs zur Losung der Kunst der 1960er Jahre. Damals war der Maler ganz schön frech, einfach das illusionistische Abbild für tot zu erklären. Aber wenn man jetzt im Museum Wiesbaden vor seinen schwarzen Gemälden der späten 50er Jahre steht, erscheint das nicht mehr ganz so revolutionär. Die abstrakte Kunst ist vertraut geworden.
Heute gilt der mittlerweile 86-jährige US-Amerikaner zu Recht als Altmeister der Farbfeldmalerei, die gerühmt wird für ihre großen und homogenen Farbflächen, ohne dass dabei eine Form dominiert. Doch beim Rundgang durch die Wiesbadener Übersichtsschau des Künstlers mit 25 Werken aus rund sechs Jahrzehnten wird rasch deutlich, dass er sich immer wieder neu erfindet. Frank Stella scheint ein ewiger Jungbrunnen zu sein, der zuverlässig jedes Mal erfrischend andere Bilder liefert.
Formen werden immer freier
Das liegt wohl daran, dass er die Malerei ständig aus einer anderen Sicht befragt, auf der Suche nach einem Weg zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Dass er jetzt den nur alle fünf Jahre ausgelobten Alexej-von-Jawlensky-Preis der Stadt Wiesbaden erhielt, leuchtet ein. Denn Stella umkreist seine Themen in Serien, wie Jawlensky (1864-1941) mit den "Meditationen", die man mit Fug und Recht als abstrahierte Gesichter bezeichnen kann. Ohnehin hat das Wiesbadener Museum seit Langem einen Schwerpunkt an moderner amerikanischer Kunst aufgebaut; diese Sammlung ist einzigartig im Rhein-Main-Gebiet.
Mit seiner Malerei durchlöcherte Stella jedoch immer mehr die Grenze hin zur Skulptur. Seine Bilder wurden erst Reliefs, dann wuchsen sie zu raumgreifenden Arbeiten heran, die sich in den Raum vortasten. Das 1964 entstandene Gemälde "Rabat", eigens für die Schau aus dem Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK) entliehen, ist da noch ein erster Zwischenschritt. Es besteht aus gelben und blauen Streifen, die sich in der Diagonale treffen und umkehren. In der linken Bildhälfte liegen die Streifen in der Horizontalen, in der rechten Hälfte stehen sie in der Vertikalen. Diese hell leuchtende Acrylfarben-Malerei täuscht keinen Raum vor, sie zeigt die Fläche als bloße Fläche.
Frank Stella hat also früh die Farbe für sich entdeckt, sich aber auch bald von der rechteckigen Leinwand verabschiedet. Mit mal oval, mal rund geformten Leinwänden passte er die Umrisse seiner Bilder den Motiven an. Doch seine Gemälde wurden zusehends geometrischer; oft bestehen sie aus mehreren übereinandergestapelten Formen, etwa bei "Dawidgrodek" von 1971. So kam Stella später zur Pop-Art, die er munter mit der Antike verquirlte. Überhaupt kennt er die Kunstgeschichte gut, von der Renaissance über den Barock bis zum Rokoko.
Kein Wunder also, dass seine Formen viel freier wurden und üppiger gerieten. Stella wurde vom Puristen zum Manieristen, er schneidet Kegel, Zylinder und Säulen auf und verformt sie zu fragilen Gebilden. Diese geometrischen Bilder, inzwischen aus dem 3-D-Drucker kommend, sind eine Pracht für das Auge. Neuerdings hängen die Objekte oft an Stangen, wie ein Stück Fleisch oder Fisch, aber schillernd, als sei alles am Verwesen.
Ohnehin treiben ihn das Wasser und die Fische seit geraumer Zeit um. Stella ist fasziniert von Wogen und Wellen, Strudel und Kurven. Die übersetzt er in wilde Formen und kühne Farben, am schönsten gelungen in der "Vermessung des Walskeletts". Die in den Raum ausgreifende Wandinstallation gehört zum 138-teiligen Werkzyklus "Moby Dick", angelehnt an Herman Melvilles gleichnamigen Roman von 1851. Stellas aktuelle Serie "Salmon River" wiederum abstrahiert die klaren Flüsse Kanadas mit ihren verschiedenen Lachsarten.
Museum Wiesbaden
Friedrich-Ebert-Allee 2. Bis 9. Oktober, Di/Do 10-20, Mi/Fr 10-17, Sa/So 10-18 Uhr. Eintritt 10 Euro. Telefon (0611) 335 22 50. www.museum-wiesbaden.de
