Versuch zur Neuordnung der Welt

Wirtschaftliche Macht als Überwältigung: Ein neues Buch analysiert die ausgeklügelte Strategie Chinas zur Unterminierung des Westens.
China steht am Pranger. Die Ausbreitung des Coronavirus soll es wochenlang vertuscht, die WHO in ihrem Sinne beeinflusst, eine weltweite Warnung verzögert haben. Andererseits geriert es sich in Ländern wie Italien mit Hilfsaktionen als Retter in der Not. Mit seinem Image scheint das kommunistische Regime trotzdem unzufrieden zu sein.
So kam auch heraus, dass die chinesische Botschaft in Berlin Beamte der Regierung kontaktierte, damit diese sich positiv über Chinas Krisenmanagement äußern. Keine Frage, der Blick auf China ist in letzter Zeit kritischer geworden. Das zeigt auch die Diskussion über das Neue-Seidenstraßen-Projekt oder die Beteiligung von Huawei beim Ausbau des 5G-Netzes. Ein Buch wird nun China-Kritiker in ihrem Misstrauen bestätigen.
»Die lautlose Eroberung« von Clive Hamilton und Mareike Ohlberg ist eine systematische Analyse der Politik Chinas, die Welt in seinem autoritären Sinne neu zu ordnen. Und zwar mit allen Mitteln: Desinformation, Einschüchterung, wirtschaftliche Erpressung, Unterwanderung und Spaltungsversuche. Die Autoren werfen dem Westen vor, China gegenüber lange Zeit viel zu naiv gewesen zu sein und die »zutiefst ideologische Natur des Xi-Regimes« immer noch zu ignorieren.
Schon die Vorgeschichte des Buches scheint den Vorwurf der Unterwerfung zu bestätigen. Clive Hamiltons erstes Buch zum Thema China »Silent Invasion. China’s Influence in Australia« wollten drei australische Verlage aus Angst vor Repressionen nicht veröffentlichen. Beim vierten Verlag wurde das Buch dann zu einem Bestseller und beeinflusste nicht unerheblich die neue Sicht Australiens auf China. In dem aktuellen Werk weitet sich der Blick auf die gesamte westliche Welt aus. Co-Autorin Mareike Ohlberg arbeitete bis vor Kurzem am Berliner Mercator Institute for Chinese Studies und promovierte über Chinas Außenpropaganda. Beeindruckend ist die enorme Fülle an Fakten, die die Autoren über Chinas wachsenden Einfluss in westlichen Ländern zusammengetragen haben. Dieser Einfluss erstreckt sich von der Politik bis zur Kultur.
Rolle der KP nicht richtig verstanden
Die zentrale Rolle spielt dabei immer die Kommunistische Partei Chinas mit ihren 90 Millionen Mitgliedern. Diese Rolle wird nach Ansicht der Autoren im Westen nicht richtig verstanden. Es gibt so gut wie keine chinesische Organisation, die mit westlichen Ins-tituten oder Vereinen zusammenarbeitet, hinter der nicht am Ende die Partei steht. Das zeigt schon eindrucksvoll ein Organigramm im Buch: Alle Fäden laufen im Politbüro zusammen. Selbst Auslandschinesen entgehen dieser Vereinnahmung nicht.
Eines der wichtigsten Ziele Chinas ist seit jeher die Mobilisierung der westlichen Eliten. Das ist auf beängstigende Weise gelungen. Ob aus wirtschaftlichen Gründen oder weil man glaubte, China entwickele sich irgendwann doch noch zu einer Demokratie. Viele Politiker im Westen sahen jahrelang über den zutiefst autoritären Charakter Chinas hinweg. Kanzler Gerhard Schröder setzte sich für die Aufhebung des Waffenembargos gegen China ein. Helmut Schmidt fand sogar Entschuldigungen für die blutige Niederschlagung des Tiananmen-Aufstandes. Und das sind nur zwei Beispiele.
Hinter allem aber steht Xi Jinpings »Traum von der nationalen Wiederauferstehung« Chinas. Diesem Traum dient auch die milliardenschwere Neue-Seidenstraßen-Initiative. Propagandistisch wird sie als »Schicksalsgemeinschaft der Menschheit« beworben, vor allem aber ist sie gut für China. Die Uneinigkeit Europas bietet hier beste Ansatzpunkte. Wirtschaftlich schwache und von der EU enttäuschte Länder werden zuerst ins Visier genommen: »Italiens Beitritt zur Seidenstraßen-Initiative war ein Coup für China.«
»China setzt seine wirtschaftliche Macht wie eine überwältigende Waffe ein«, schreiben die Autoren. Das spüren Autobauer, Internet-Giganten, aber auch Filmemacher, die etwa gegen die drei Tabus verstoßen: Tibet, Taiwan, Tiananmen.
Oft genügt schon Chinas Drohung, um klein beizugeben. Am Ende aber ist Kuschen der falsche Weg: »Der Westen muss sich gegen diesen Druck abschirmen, wo immer das möglich ist. Wo es nicht möglich ist, muss er sich zu schwierigen Entscheidungen durchringen und Verbindungen kappen.«
Mit seinen wertvollen detaillierten Informationen füllt das Buch eine wichtige Lücke. Denn unser Wissen über das aktuelle China und sein weltpolitisches Agieren ist trotz der überragenden Bedeutung des Themas immer noch relativ unterentwickelt.
Clive Hamilton/Mareike Ohlberg: Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet, DVA, München, 496 S., 26 Euro, ISBN 978-3-421-04 863 -9
Ein ganz normaler Freitagabend in Berlin, damals in Vor-Corona-Zeiten. Langsam füllen sich die Kneipen, Scharen von feierwütigen Touristen bevölkern die Straßen im Szenekiez Kreuzberg.
In den Hostels ist die Hölle los, und der Taxifahrer Heinz-Georg Bederitzky beginnt seine Nachtschicht, von der er noch nicht weiß, dass sie ihn an den Rand der Verzweiflung bringen wird.
So fängt Thorsten Nagelschmidts facettenreicher, mitunter sozialdokumentarischer Berlinroman »Arbeit« an. Der 1976 im westfälischen Rheine geborene Autor und Sänger der Indiepopband Muff Potter entwirft ein pralles Kaleidoskop des hauptstädtischen Nachtlebens, aber aus der Perspektive derjenigen, die diesen weltweit bewunderten Unterhaltungsbetrieb am Laufen halten: Türsteher, Hostelangestellte, Rettungssanitäter und Polizisten, Kioskbetreiber und Drogendealer. Der Fokus wechselt mit jedem Kapitel, aber eines bleibt: Der Glamour ist woanders.
Wir lernen Marcela kennen, die Studentin aus Kolumbien, die bei einem Lieferdienst jobbt und sich mit ihrem klobigen Thermorucksack auf dem Fahrrad mühsam einen Weg durch das Verkehrschaos bahnt.
Oder Felix, der Drogendealer, ein nicht unsympathischer Typ, der permanent an Zahnschmerzen leidet und für viele seiner langjährigen Kunden auch Freund und Sozialarbeiter zugleich ist.
Die Abstürze ereignen sich in diesem mit viel Empathie verfassten Roman fast zwangsläufig, die Nacht bringt das Elend an den Tag. Dafür sind dann die Rettungssanitäter Tanja und Tarek zuständig. Dabei träumt die hellwache Tanja beim Dauerstress im Notfallmodus von einem Medizinstudium, und übersieht völlig, dass ihr Kollege Tarek schwer in sie verknallt ist.
Nagelschmidt bringt uns diese traurigen Nachtgestalten sehr nah, aber manchmal schlägt er mit seinem dokumentarischen Eifer etwas über die Stränge: Wir müssen nicht die Namen von sämtlichen Pillen und Schmerzmitteln kennen, um zu begreifen, dass der Drogen-Maniac Felix ein ganz einsamer Hund ist. Aber es gibt auch ganz starke Kapitel, vielleicht weil sie näher an der Lebenswirklichkeit des Autors angesiedelt sind.
Da ist Ingrid, nicht mehr ganz jung, ihr Mann ist vor ein paar Jahren an Krebs gestorben. Jetzt sitzt sie allein in dem ehemals gemeinsamen Kreuzberger Antiquariat. Die Geschäfte gehen schlecht, Bücher sind eigentlich kein Thema mehr, und manchmal rät Ingrid sogar vom Kauf ab.
Da bekommt dann der Pop-Literat Rainald Goetz sein Fett weg, und im gleichen Kapitel erweist Nagelschmidt dem Asphaltlyriker Rolf Dieter Brinkmann seine Reverenz. Aber Ingrid kann von den alten Büchern heutzutage nicht mehr leben und zieht nachts als Flaschensammlerin durch die Straßen und Parks.
Das ist eine eindringliche Figur, die in Erinnerung bleibt, genauso wie der Taxifahrer Bederitzky, der zwischen den Kapiteln immer wieder um die Ecke kurvt. Er stammt aus dem Osten, Halle an der Saale, und hat sich nach der Wende mühsam berappelt. Er ist auch Hobbymusiker, manchmal legt er in seinem Taxi einen Song von sich auf und ist gespannt, ob der Fahrgast eine Reaktion zeigt.
Aber diese Nacht bringt ihm kein Glück, auch wenn die lange Fahrt zurück in seine Heimatstadt auf den ersten Blick wie ein Sechser im Lotto aussah. »Einmal falsch abgebogen, und das Leben stellt dir für immer ein Bein«, heißt es ganz lapidar.
So ein Satz hätte auch vom früh verstorbenen Jörg Fauser stammen können, einem weiteren Vorbild für diesen lesenswerten Trip durch die Berliner Nacht.
Johannes von der Gathen
Thorsten Nagelschmidt: Arbeit, S. Fischer Verlag, 334 Seiten 22 Euro, ISBN 978-3-10-397 411 -9
Seit Jahrzehnten sucht China nach einer größeren Machtstellung in der Welt. Doch unter keinem anderen Führer scheint der Drang der Atommacht nach mehr Einfluss größer gewesen zu sein, als unter dem aktuellen Präsidenten Xi Jinping. Der meist freundlich lächelnde Politiker mit autokratischer Machtfülle ließ sich vor zwei Jahren erst als Führer auf Lebenszeit bestätigen. Und immer unverhohlener ignoriert er sogar internationale Abkommen - wie die Menschen in Hongkong gerade erfahren. Weniger geräuschvoll strebt Xis China nach immer mehr wirtschaftlicher Macht. Die Autoren Clive Hamilton und Mareike Ohlberg sprechen von einer »lautlosen Eroberung«. Ein Buch, das sicherlich kontrovers diskutiert werden wird. rüg
»Donaumelodien« - Praterblut« - Wien, glanzvolle Hauptstadt der Donaumonarchie, hat auch ihre Schattenseiten. Hieronymus Holstein wacht in einem der Armenviertel in einem üblen Etablissement auf, neben sich eine grauenvoll zugerichtete Frauenleiche. Hieronymus kann sich an nichts mehr erinnern, auch die Tote ist ihm völlig unbekannt. Panisch ergreift er die Flucht. Für die Polizei ist er der Täter, überall hängt sein Steckbrief aus.
Es kommt noch schlimmer, denn zwei weitere zerstückelte Frauenleichen werden gefunden, die ebenfalls Hieronymus in die Schuhe geschoben werden. Da ihm niemand glaubt, macht er sich mit seinem Freund Franz auf die Suche nach dem wahren Mörder.
Bastian Zachs Krimidebüt »Donaumelodien - Praterblut« führt in die Elendsquartiere Wiens des Jahres 1876. Die Menschen sind mit ihren Problemen und Sorgen sehr lebensecht gestaltet. Die Hauptfiguren wirken daher authentisch und sympathisch. Die Handlung ist dramaturgisch geschickt aufgebaut und erzählerisch sehr unterhaltsam.
»Hagebuttenblut« - In ihrem sehr erfolgreichen Romandebüt »Löwenzahnkind« stellte die Schwedin Lena Bengtsdotter die Kriminalpolizistin Charlie Lager als hartnäckige, aber auch labile Ermittlerin vor.
Auch in ihren neuen Roman »Hagebuttenblut« hat sie Charlie wieder in den Mittelpunkt der Handlung gestellt. Um einer Freundin mit Familienproblemen zu helfen, kehrt die Polizistin in ihren Heimatort in der Provinz zurück. Dort stößt sie auf einen seit vielen Jahren ungelösten Fall. Die damals 16-jährige Francesca verschwand, und ihr Schicksal wurde nie geklärt.
Je tiefer Charlie sich in den alten Fall einarbeitet, desto klarer wird ihr, dass niemand im Ort auf diesen Teil der Vergangenheit angesprochen werden möchte. In diese Handlung eingeflochten sind kurze Abschnitte, in denen Francesca als Erzählerin ihrer eigenen Geschichte eingesetzt ist.
Bengtsdotter erzählt die beiden Handlungsstränge in vielen kurzen Kapiteln, die durch Abwechslung und zahlreiche Cliffhanger für Spannung sorgen. dpa